Lot Nr. 104 -


Felice Ficherelli


Felice Ficherelli - Alte Meister

(San Gimignano 1603–1660 Florenz)
Die heilige Praxedis,
Öl auf Leinwand, 115 x 90 cm, gerahmt

Provenienz:
Sammlung Jacopo Serzelli, Florenz (vor 1681);
Sammlung Jacopo Leone Serzelli Del Garbo (1720–1803), Florenz;
im Erbgang an Enrico Bardi, Angehöriger einer jüngeren Linie der Familie Bardi, die ab 1803 den neuen Familienzweig der Bardi Serzelli, Conti di Vernio, begründete (1803);
Alberto di Ferdinando Bardi Serzelli (1866–1954), Florenz;
im Erbgang an dessen Schwester Maria Cattaneo della Volta, geb. Bardi Serzelli, Genf;
Weitergabe im Erbgang;
europäische Privatsammlung;
dort erworben durch den jetzigen Besitzer

Dokumentation:
Nota dei Quadri toccata nelle Divise e loro Prezzo di Assegna, unveröffentlichtes Inventarverzeichnis, Florenz 1877, Kat. Nr. 693: „Uno detto grande con cornice nero e dorata, entrovi una femmina, che spreme del Sangue in un Vaso“;
Inventario mobile, quadri, sopramobili e quanto arreda il palazzo del sig.conte Alberto Bardi Serzelli in Firenze, via de’ Benci N. 5, unveröffentlichtes maschingeschriebenes Inventarverzeichnis, Florenz um 1950, Nr. 347 (in der „Sala Rossa“): „Tre pitture su tela misure 90 x 110 del Ficherelli di San Gimignano 1600. Una representante Santa Prassede che raccoglie il sangue dei martiri, una Santa Marta e S. Agata, in cornice nera con fili oro e Quattro foglie ognuna intagliata e dorate“;
G. Poggi, unveröffentlichtes maschingeschriebenes Inventarverzeichnis der Sammlung Bardi-Sarzelli, Florenz 1956, Kat. Nr. 87 (in Übereinstimmung mit dem seitlich am Rahmen angebrachten Inventarzettel; Poggi verweist auch darauf, dass das Gemälde von Baldinucci beschrieben wurde)

Literatur:
F. Baldinucci, Notizie dei professori del disegno da Cimabue a qua, Florenz 1681 (Ausgabe 1717), S. 221

Literatur zu der von Baldinucci beschriebenen Fassung ohne Kenntnis des vorliegenden Gemäldes:

M. Gregori, Pitture e sculture del ‘600 e 700 fiorentino, Florenz 1965, S. 49 (mit Erwähnung, dass sich in der Sammlung Bardi-Sarzelli eine Praxedis befand);
J. Nismann, Florentine Baroque Art from American Collections, Ausstellungskatalog, Metropolitan Museum of Art, New York 1969, Nr. 39 (mit Hinweis auf Baldinucci, S. 221, sowie dessen Beschreibung des vorliegenden Gemäldes als Beweis des Vorhandenseins des Bildthemas im Oeuvre Ficherellis);
M. Gregori, Felice Ficherelli, in: Il Seicento Fiorentino. Arte a Firenze da Ferdinando I a Cosimo III, Ausstellungskatalog, Palazzo Strozzi, Florenz 1986, Bd. II, S. 88 (Gregori führt aus, dass Ficherelli sich dem Thema mehr als einmal gewidmet hat, wobei sich ein Beispiel einst in der Sammlung Bardi Serzelli befand);
G. Leoncini, Ficherelli, Felice, in: Dizionario Biografico degli Italiani, Bd. 47, 1997 (mit Hinweis auf das von Baldinucci beschriebene Gemälde als Vorbild für weitere Fassungen und Kopien, darunter die Kopie Vermeers, wobei die Provenienz Bardi Serzelli fälschlicherweise für die Ferrara-del Bravo-Fassung angegeben wird);
S. Bandera/A.K. Wheelock/W. Liedtke, Vermeer e il secolo d’oro dell’arte olandese, Ausstellungskatalog, Rom, Scuderie del Quirinale, Mailand 2012, Erwähnung unter Kat. 45 b (mit fälschlichem Hinweis auf eine vermutete Bardi-Sarzelli-Provenienz für Kat. 45 b, die Ferrara-del Bravo-Fassung)

Wir danken Sandro Bellesi, der die Zuschreibung des vorliegenden Gemäldes auf Grundlage hochaufgelöster Digitalfotografien bestätigt hat.

Außerdem danken wir Anna Orlando für ihre Hilfe bei der Erforschung der Provenienz und der Nachverfolgung der Geschichte des Gemäldes von der Sammlung Cattaneo in Genua zurück zur Sammlung Serzelli im Florenz des 17. Jahrhunderts.

Das vorliegende Gemälde des im 17. Jahrhundert tätigen toskanischen Künstlers Felice Ficherellis wurde erstmals 1681 von Filippo Baldinucci beschrieben (siehe F. Baldinucci, Notizie dei professori del desegno da Cimabue a qua, Florenz 1681, Ausgabe 1717, S. 221). Zum ersten Mal in seiner dokumentierten Geschichte wird das Bild nun hier zur Versteigerung angeboten. Das Werk war über Jahrhunderte in der Sammlung ein und derselben Familie verblieben und der Wissenschaft nicht zugänglich.

Bei dem vorliegenden Gemälde der Heiligen Praxedis scheint es sich um die Urfassung der Komposition zu handeln, die vor allem durch zwei weitere Fassungen bekannt ist: durch eine zweite eigenhändige Fassung Felice Ficherellis, die einst zur Sammlung von Carlo del Bravo in Florenz gehörte und sich heute in einer Privatsammlung in Ferrara befindet (Öl auf Leinwand, 108 x 80 cm, siehe Abb. 2), und durch die berühmte Johannes Vermeer (Delft 1632–1675) zugeschriebene Kopie der Komposition, die kürzlich bei Christie’s, London, zur Versteigung kam (Öl auf Leinwand, 101,6 x 81,6 cm, 8. Juli 2014, Lot 39, verkauft um € 7.900.000, siehe Abb. 1). Beide Fassungen waren in jüngerer Zeit in Rom ausgestellt (siehe Literatur). Vermeers Heilige Praxedis hing dort neben der Del-Bravo-Ferrara-Fassung, die allgemein als die ursprüngliche Fassung und Vorlage für Vermeers Gemälde angesehen wurde. Tatsächlich hat ihm jedoch womöglich eine andere Version als Vorbild gedient.

Arthur Wheelock glaubt, dass mit der von Vermeer kopierten Fassung der Bildkomposition dessen frühestes datiertes Werk und damit das Gemälde eines noch auf der Suche befindlichen jungen Künstlers vorliegt, der erst kurz davor zum katholischen Glauben konvertiert war und sich nachgewiesenermaßen an zeitgenössischer italienischer Kunst interessiert zeigte (siehe A. K. Wheelock, St. Praxedis: New Light on the Early Career of Vermeer, in: Artibus et Historiae, Bd. 7, Nr. 14, 1986, S. 71–89). Das vorliegende Gemälde hatte somit wohl nicht nur aus künstlerischen Gründen, sondern auch wegen seines Andachtscharakters einen tiefen Eindruck auf Vermeer gemacht.

Selbst wenn Vermeer Italien nie besucht hat, hat er wohl Zugang zu italienischen Gemälden gehabt. Es stellt sich jedoch die Frage, warum er sich dafür entschied, ausgerechnet eine Komposition Ficherellis zu kopieren. Natürlich besteht die Möglichkeit, dass er damit beauftragt worden war. Wenn dem nicht so war, mag er sich durch das Bildthema besonders angesprochen gefühlt haben: Die heilige Praxedis war eine von mehreren römischen Heiligen, die sich im 17. Jahrhundert in Jesuitenkreisen ziemlicher Beliebtheit erfreuten, zumal man bestrebt war, die frühen Traditionen der katholischen Kirche wieder mehr in den Vordergrund zu rücken. Vermeers Interesse an jesuitischem Gedankengut muss damals groß gewesen sein. Er war zwar in der reformierten Kirche getauft worden, doch heiratete er 1653 in eine katholische Familie ein und scheint bereits kurz davor den katholischen Glauben angenommen zu haben. Er nannte seinen jüngsten Sohn Ignatius und blieb den Jesuiten zeit seines Lebens verbunden. Zudem teilt das Bildthema der heiligen Praxedis mit anderen Frühwerken Vermeers wie etwa Christus im Hause von Martha und Maria (National Gallery of Scotland, Edinburgh) das Anliegen einer Würdigung der Dienstbarkeit.

Praxedis, eine römische Heilige des 2. Jahrhunderts, wurde für ihre Fürsorge verehrt, die sie Christen angedeihen ließ, die durch religiöse Verfolgung ums Leben kamen. Der Legenda aurea von Jacobus de Voragine zufolge war Praxedis die Schwester der heiligen Pudentiana; ihre Brüder waren der heilige Donatus und der heilige Timotheus. Während der Zeit der Verfolgung begruben die Geschwister die Leichen der Christen und verteilten Gaben unter den Armen. De Voragines kurzer Bericht gibt an, dass sie im Jahr 165 unter den römischen Kaisern Marcus und Antoninus II. den Tod fanden. Die Heilige ist hier in frommer Einkehr dargestellt, nachdem sie sich um einen geköpften Märtyrer gekümmert hat, der hinter ihr auf dem Boden liegt. In der Komposition kommt Ficherellis ungewöhnliche Verbindung von großer künstlerischer Schönheit und Drama beispielhaft zum Ausdruck.

Ficherellis Heilige Praxedis im Kontext seines Oeuvres:

Das Thema wurde von italienischen Künstlern selten behandelt, was Ficherellis Darstellung ungewöhnlich macht. Man weiß, dass der Maler sich dem Thema bereits 1681 widmete, als Filippo Baldinucci es beschrieb, während es sich in der Sammlung des Cavaliere Jacopo Serzelli befand. Er erwähnte dort eine Gruppe von vier Gemälden – eine „Vertreibung“ sowie drei Frauengestalten: eine „Heilige Agatha“, eine „Herodias“ und „una Santa Prassede che spreme il sangue de’Martiri“ (Baldinucci 1681, S. 221). Mit der „Santa Prassede“ ist das vorliegende Gemälde gemeint.

Von Baldinucci wissen wir, dass Ficherelli seiner Geburtsstadt San Gimignano in den 1620er-Jahren den Rücken kehrte und nach Florenz ging, wo er unter dem Schutz des Kunstsammlers Alberto de’ Bardi aus Vernio stand. De’ Bardi vertraute ihn Jacopo da Empoli an, der eine der erfolgreichsten Werkstätten der Hauptstadt des Großherzogtums führte. Diese Lehre war prägend für Ficherelli und beeinflusste ihn nachhaltig. Der Künstler trug ob seines umgänglichen, friedliebenden Wesens den Beinamen „Il Riposo“ [„der Ruhige“].

Das vorliegende Gemälde vereint unterschiedliche Entwicklungen der Florentiner Kunst zwischen 1640 und 1650. Zwar scheinen bestimmte Elemente von Ficherellis Lehrmeister Jacopo da Empoli angeregt, doch der dramatische Charakter der Szene ist zu einem guten Teil der durch Francesco Furini (1603–1646) in die Florentiner Kunst des 17. Jahrhunderts eingeführten Ikonografie geschuldet. Die sinnlichere und weichere Bildsprache Furinis scheint großen Eindruck auf Ficherelli gemacht zu haben. Sowohl Furini als auch Ficherelli bedienten sich einer weichen, von der venezianischen Kunst beeinflussten Malweise, um ihren Bildthemen eine subtile Note zu verleihen. Farbigkeit und Hintergrund erinnern an die Florentiner Kunst des 16. Jahrhunderts: an Jacopo da Empoli, aber auch an Andrea del Sarto. Dabei steht das vorliegende Gemälde auch beispielhaft für einen einfacheren, schmuckloseren und klassischeren Ansatz, durch den sich Ficherellis Stil der späten 1640er-Jahre auszeichnete – eine Entwicklung, die er allen voran mit Lorenzo Lippi teilte. Bandera bescheinigt der vorliegenden Komposition einen nahezu neoraffaelesken Klassizismus sowie eine schöne, akademische Harmonie und ein Gleichgewicht zwischen Farbigkeit und Gestaltung (S. Bandera/A.K. Wheelock/W. Liedtke, siehe Literatur).

Technische Untersuchung und Bildaufbau:

Die von Gianluca Poldi durchgeführte technische Untersuchung und Infrarotreflektografie (siehe Abb. 4) haben mehrere Pentimenti zutage gebracht, die auf eine Modifizierung der Bildkomposition während des Malprozesses schließen lassen. Offenbar hatte Ficherelli ursprünglich rechts eine viel aufwendiger geschmückte Architektur im Sinn; links hat er einer Säule mit attischer Basis skizziert (siehe Abb. 5), die in der finalen Version zu einem schlichten quadratischen Block mutiert ist. Die Unterzeichnung ist generell locker mit schwarzem Pinsel ausgeführt. Auch der enthauptete Märtyrer scheint zunächst etwas anders angelegt gewesen zu sein. Aufgrund der Tatsache, dass sowohl die Ferrara-Fassung als auch Vermeers Kopie der endgültigen Ausführung des vorliegenden Gemäldes folgen, handelt es sich bei diesem Bild mit hoher Wahrscheinlichkeit um die Urfassung der Komposition.

Eine Zeichnung in den Uffizien (siehe Abb. 3) gibt ebenfalls zu erkennen, dass Ficherelli mit mehreren Kompositionsschemen experimentierte. Die Mittelfigur mit dem elegant geschwungenen Gewand und dem besinnlichen Ausdruck, mit dem sie sich über das Gefäß mit dem Blut der Märtyrer neigt, scheint schon in diesem frühen Stadium ausformuliert gewesen zu sein, doch die Hintergrundarchitektur und die Kulisse dieser Hauptszene waren Gegenstand mehrerer Veränderungen. Auf der Zeichnung hat Ficherelli die Figur im rechten Bereich der Komposition vorgesehen, mit einem kleinen römischen Tempel im linken Hintergrund. Als er das vorliegende Bild auf Leinwand zu malen bzw. zu skizzieren begann, war ursprünglich eine Säule miteinbezogen, die er später übermalte, als hätte er sich auf die Idee mit dem Tempel links besonnen. Dasselbe mag für das viel reicher geschmückte Bauwerk rechts gelten.

Angesichts dieser Beobachtungen erscheint folgende Annahme einer Chronologie der Entwicklungsstufen der Komposition nachvollziehbar: Die Zeichnung stellt den ersten Schritt dar, mit dem die Figur der Heiligen bereits angelegt wurde; dann folgte die vorliegende Fassung, die Heilige Praxedis der Sammlung Bardi-Serzelli, bei deren Entstehungsprozess immer noch Veränderungen vorgenommen wurden, was als zweiter und dritter Schritt gelten kann. Es ist schwierig festzustellen, welche der beiden anderen Versionen – die Vermeer zugeschriebene Kopie oder die Ferrara-Version – zuerst auf Grundlage der vorliegenden Komposition ausgeführt wurde. Jedenfalls erscheint es schlüssig zu argumentieren, dass sich Vermeer für seine berühmte Kopie auf das vorliegende Gemälde stützte.

Wir danken Gianluca Poldi für die Durchführung der technischen Untersuchung.

Das Gemälde wird in seinem originalen geschnitzten und vergoldeten Florentiner Rahmen des 17. Jahrhunderts zum Verkauf angeboten. Wir danken Georg Smolka für seine Beurteilung.

Experte: Dr. Alexander Strasoldo Dr. Alexander Strasoldo
+43 1 515 60 403

old.masters@dorotheum.com

17.10.2017 - 18:00

Erzielter Preis: **
EUR 350.508,-
Schätzwert:
EUR 150.000,- bis EUR 200.000,-

Felice Ficherelli


(San Gimignano 1603–1660 Florenz)
Die heilige Praxedis,
Öl auf Leinwand, 115 x 90 cm, gerahmt

Provenienz:
Sammlung Jacopo Serzelli, Florenz (vor 1681);
Sammlung Jacopo Leone Serzelli Del Garbo (1720–1803), Florenz;
im Erbgang an Enrico Bardi, Angehöriger einer jüngeren Linie der Familie Bardi, die ab 1803 den neuen Familienzweig der Bardi Serzelli, Conti di Vernio, begründete (1803);
Alberto di Ferdinando Bardi Serzelli (1866–1954), Florenz;
im Erbgang an dessen Schwester Maria Cattaneo della Volta, geb. Bardi Serzelli, Genf;
Weitergabe im Erbgang;
europäische Privatsammlung;
dort erworben durch den jetzigen Besitzer

Dokumentation:
Nota dei Quadri toccata nelle Divise e loro Prezzo di Assegna, unveröffentlichtes Inventarverzeichnis, Florenz 1877, Kat. Nr. 693: „Uno detto grande con cornice nero e dorata, entrovi una femmina, che spreme del Sangue in un Vaso“;
Inventario mobile, quadri, sopramobili e quanto arreda il palazzo del sig.conte Alberto Bardi Serzelli in Firenze, via de’ Benci N. 5, unveröffentlichtes maschingeschriebenes Inventarverzeichnis, Florenz um 1950, Nr. 347 (in der „Sala Rossa“): „Tre pitture su tela misure 90 x 110 del Ficherelli di San Gimignano 1600. Una representante Santa Prassede che raccoglie il sangue dei martiri, una Santa Marta e S. Agata, in cornice nera con fili oro e Quattro foglie ognuna intagliata e dorate“;
G. Poggi, unveröffentlichtes maschingeschriebenes Inventarverzeichnis der Sammlung Bardi-Sarzelli, Florenz 1956, Kat. Nr. 87 (in Übereinstimmung mit dem seitlich am Rahmen angebrachten Inventarzettel; Poggi verweist auch darauf, dass das Gemälde von Baldinucci beschrieben wurde)

Literatur:
F. Baldinucci, Notizie dei professori del disegno da Cimabue a qua, Florenz 1681 (Ausgabe 1717), S. 221

Literatur zu der von Baldinucci beschriebenen Fassung ohne Kenntnis des vorliegenden Gemäldes:

M. Gregori, Pitture e sculture del ‘600 e 700 fiorentino, Florenz 1965, S. 49 (mit Erwähnung, dass sich in der Sammlung Bardi-Sarzelli eine Praxedis befand);
J. Nismann, Florentine Baroque Art from American Collections, Ausstellungskatalog, Metropolitan Museum of Art, New York 1969, Nr. 39 (mit Hinweis auf Baldinucci, S. 221, sowie dessen Beschreibung des vorliegenden Gemäldes als Beweis des Vorhandenseins des Bildthemas im Oeuvre Ficherellis);
M. Gregori, Felice Ficherelli, in: Il Seicento Fiorentino. Arte a Firenze da Ferdinando I a Cosimo III, Ausstellungskatalog, Palazzo Strozzi, Florenz 1986, Bd. II, S. 88 (Gregori führt aus, dass Ficherelli sich dem Thema mehr als einmal gewidmet hat, wobei sich ein Beispiel einst in der Sammlung Bardi Serzelli befand);
G. Leoncini, Ficherelli, Felice, in: Dizionario Biografico degli Italiani, Bd. 47, 1997 (mit Hinweis auf das von Baldinucci beschriebene Gemälde als Vorbild für weitere Fassungen und Kopien, darunter die Kopie Vermeers, wobei die Provenienz Bardi Serzelli fälschlicherweise für die Ferrara-del Bravo-Fassung angegeben wird);
S. Bandera/A.K. Wheelock/W. Liedtke, Vermeer e il secolo d’oro dell’arte olandese, Ausstellungskatalog, Rom, Scuderie del Quirinale, Mailand 2012, Erwähnung unter Kat. 45 b (mit fälschlichem Hinweis auf eine vermutete Bardi-Sarzelli-Provenienz für Kat. 45 b, die Ferrara-del Bravo-Fassung)

Wir danken Sandro Bellesi, der die Zuschreibung des vorliegenden Gemäldes auf Grundlage hochaufgelöster Digitalfotografien bestätigt hat.

Außerdem danken wir Anna Orlando für ihre Hilfe bei der Erforschung der Provenienz und der Nachverfolgung der Geschichte des Gemäldes von der Sammlung Cattaneo in Genua zurück zur Sammlung Serzelli im Florenz des 17. Jahrhunderts.

Das vorliegende Gemälde des im 17. Jahrhundert tätigen toskanischen Künstlers Felice Ficherellis wurde erstmals 1681 von Filippo Baldinucci beschrieben (siehe F. Baldinucci, Notizie dei professori del desegno da Cimabue a qua, Florenz 1681, Ausgabe 1717, S. 221). Zum ersten Mal in seiner dokumentierten Geschichte wird das Bild nun hier zur Versteigerung angeboten. Das Werk war über Jahrhunderte in der Sammlung ein und derselben Familie verblieben und der Wissenschaft nicht zugänglich.

Bei dem vorliegenden Gemälde der Heiligen Praxedis scheint es sich um die Urfassung der Komposition zu handeln, die vor allem durch zwei weitere Fassungen bekannt ist: durch eine zweite eigenhändige Fassung Felice Ficherellis, die einst zur Sammlung von Carlo del Bravo in Florenz gehörte und sich heute in einer Privatsammlung in Ferrara befindet (Öl auf Leinwand, 108 x 80 cm, siehe Abb. 2), und durch die berühmte Johannes Vermeer (Delft 1632–1675) zugeschriebene Kopie der Komposition, die kürzlich bei Christie’s, London, zur Versteigung kam (Öl auf Leinwand, 101,6 x 81,6 cm, 8. Juli 2014, Lot 39, verkauft um € 7.900.000, siehe Abb. 1). Beide Fassungen waren in jüngerer Zeit in Rom ausgestellt (siehe Literatur). Vermeers Heilige Praxedis hing dort neben der Del-Bravo-Ferrara-Fassung, die allgemein als die ursprüngliche Fassung und Vorlage für Vermeers Gemälde angesehen wurde. Tatsächlich hat ihm jedoch womöglich eine andere Version als Vorbild gedient.

Arthur Wheelock glaubt, dass mit der von Vermeer kopierten Fassung der Bildkomposition dessen frühestes datiertes Werk und damit das Gemälde eines noch auf der Suche befindlichen jungen Künstlers vorliegt, der erst kurz davor zum katholischen Glauben konvertiert war und sich nachgewiesenermaßen an zeitgenössischer italienischer Kunst interessiert zeigte (siehe A. K. Wheelock, St. Praxedis: New Light on the Early Career of Vermeer, in: Artibus et Historiae, Bd. 7, Nr. 14, 1986, S. 71–89). Das vorliegende Gemälde hatte somit wohl nicht nur aus künstlerischen Gründen, sondern auch wegen seines Andachtscharakters einen tiefen Eindruck auf Vermeer gemacht.

Selbst wenn Vermeer Italien nie besucht hat, hat er wohl Zugang zu italienischen Gemälden gehabt. Es stellt sich jedoch die Frage, warum er sich dafür entschied, ausgerechnet eine Komposition Ficherellis zu kopieren. Natürlich besteht die Möglichkeit, dass er damit beauftragt worden war. Wenn dem nicht so war, mag er sich durch das Bildthema besonders angesprochen gefühlt haben: Die heilige Praxedis war eine von mehreren römischen Heiligen, die sich im 17. Jahrhundert in Jesuitenkreisen ziemlicher Beliebtheit erfreuten, zumal man bestrebt war, die frühen Traditionen der katholischen Kirche wieder mehr in den Vordergrund zu rücken. Vermeers Interesse an jesuitischem Gedankengut muss damals groß gewesen sein. Er war zwar in der reformierten Kirche getauft worden, doch heiratete er 1653 in eine katholische Familie ein und scheint bereits kurz davor den katholischen Glauben angenommen zu haben. Er nannte seinen jüngsten Sohn Ignatius und blieb den Jesuiten zeit seines Lebens verbunden. Zudem teilt das Bildthema der heiligen Praxedis mit anderen Frühwerken Vermeers wie etwa Christus im Hause von Martha und Maria (National Gallery of Scotland, Edinburgh) das Anliegen einer Würdigung der Dienstbarkeit.

Praxedis, eine römische Heilige des 2. Jahrhunderts, wurde für ihre Fürsorge verehrt, die sie Christen angedeihen ließ, die durch religiöse Verfolgung ums Leben kamen. Der Legenda aurea von Jacobus de Voragine zufolge war Praxedis die Schwester der heiligen Pudentiana; ihre Brüder waren der heilige Donatus und der heilige Timotheus. Während der Zeit der Verfolgung begruben die Geschwister die Leichen der Christen und verteilten Gaben unter den Armen. De Voragines kurzer Bericht gibt an, dass sie im Jahr 165 unter den römischen Kaisern Marcus und Antoninus II. den Tod fanden. Die Heilige ist hier in frommer Einkehr dargestellt, nachdem sie sich um einen geköpften Märtyrer gekümmert hat, der hinter ihr auf dem Boden liegt. In der Komposition kommt Ficherellis ungewöhnliche Verbindung von großer künstlerischer Schönheit und Drama beispielhaft zum Ausdruck.

Ficherellis Heilige Praxedis im Kontext seines Oeuvres:

Das Thema wurde von italienischen Künstlern selten behandelt, was Ficherellis Darstellung ungewöhnlich macht. Man weiß, dass der Maler sich dem Thema bereits 1681 widmete, als Filippo Baldinucci es beschrieb, während es sich in der Sammlung des Cavaliere Jacopo Serzelli befand. Er erwähnte dort eine Gruppe von vier Gemälden – eine „Vertreibung“ sowie drei Frauengestalten: eine „Heilige Agatha“, eine „Herodias“ und „una Santa Prassede che spreme il sangue de’Martiri“ (Baldinucci 1681, S. 221). Mit der „Santa Prassede“ ist das vorliegende Gemälde gemeint.

Von Baldinucci wissen wir, dass Ficherelli seiner Geburtsstadt San Gimignano in den 1620er-Jahren den Rücken kehrte und nach Florenz ging, wo er unter dem Schutz des Kunstsammlers Alberto de’ Bardi aus Vernio stand. De’ Bardi vertraute ihn Jacopo da Empoli an, der eine der erfolgreichsten Werkstätten der Hauptstadt des Großherzogtums führte. Diese Lehre war prägend für Ficherelli und beeinflusste ihn nachhaltig. Der Künstler trug ob seines umgänglichen, friedliebenden Wesens den Beinamen „Il Riposo“ [„der Ruhige“].

Das vorliegende Gemälde vereint unterschiedliche Entwicklungen der Florentiner Kunst zwischen 1640 und 1650. Zwar scheinen bestimmte Elemente von Ficherellis Lehrmeister Jacopo da Empoli angeregt, doch der dramatische Charakter der Szene ist zu einem guten Teil der durch Francesco Furini (1603–1646) in die Florentiner Kunst des 17. Jahrhunderts eingeführten Ikonografie geschuldet. Die sinnlichere und weichere Bildsprache Furinis scheint großen Eindruck auf Ficherelli gemacht zu haben. Sowohl Furini als auch Ficherelli bedienten sich einer weichen, von der venezianischen Kunst beeinflussten Malweise, um ihren Bildthemen eine subtile Note zu verleihen. Farbigkeit und Hintergrund erinnern an die Florentiner Kunst des 16. Jahrhunderts: an Jacopo da Empoli, aber auch an Andrea del Sarto. Dabei steht das vorliegende Gemälde auch beispielhaft für einen einfacheren, schmuckloseren und klassischeren Ansatz, durch den sich Ficherellis Stil der späten 1640er-Jahre auszeichnete – eine Entwicklung, die er allen voran mit Lorenzo Lippi teilte. Bandera bescheinigt der vorliegenden Komposition einen nahezu neoraffaelesken Klassizismus sowie eine schöne, akademische Harmonie und ein Gleichgewicht zwischen Farbigkeit und Gestaltung (S. Bandera/A.K. Wheelock/W. Liedtke, siehe Literatur).

Technische Untersuchung und Bildaufbau:

Die von Gianluca Poldi durchgeführte technische Untersuchung und Infrarotreflektografie (siehe Abb. 4) haben mehrere Pentimenti zutage gebracht, die auf eine Modifizierung der Bildkomposition während des Malprozesses schließen lassen. Offenbar hatte Ficherelli ursprünglich rechts eine viel aufwendiger geschmückte Architektur im Sinn; links hat er einer Säule mit attischer Basis skizziert (siehe Abb. 5), die in der finalen Version zu einem schlichten quadratischen Block mutiert ist. Die Unterzeichnung ist generell locker mit schwarzem Pinsel ausgeführt. Auch der enthauptete Märtyrer scheint zunächst etwas anders angelegt gewesen zu sein. Aufgrund der Tatsache, dass sowohl die Ferrara-Fassung als auch Vermeers Kopie der endgültigen Ausführung des vorliegenden Gemäldes folgen, handelt es sich bei diesem Bild mit hoher Wahrscheinlichkeit um die Urfassung der Komposition.

Eine Zeichnung in den Uffizien (siehe Abb. 3) gibt ebenfalls zu erkennen, dass Ficherelli mit mehreren Kompositionsschemen experimentierte. Die Mittelfigur mit dem elegant geschwungenen Gewand und dem besinnlichen Ausdruck, mit dem sie sich über das Gefäß mit dem Blut der Märtyrer neigt, scheint schon in diesem frühen Stadium ausformuliert gewesen zu sein, doch die Hintergrundarchitektur und die Kulisse dieser Hauptszene waren Gegenstand mehrerer Veränderungen. Auf der Zeichnung hat Ficherelli die Figur im rechten Bereich der Komposition vorgesehen, mit einem kleinen römischen Tempel im linken Hintergrund. Als er das vorliegende Bild auf Leinwand zu malen bzw. zu skizzieren begann, war ursprünglich eine Säule miteinbezogen, die er später übermalte, als hätte er sich auf die Idee mit dem Tempel links besonnen. Dasselbe mag für das viel reicher geschmückte Bauwerk rechts gelten.

Angesichts dieser Beobachtungen erscheint folgende Annahme einer Chronologie der Entwicklungsstufen der Komposition nachvollziehbar: Die Zeichnung stellt den ersten Schritt dar, mit dem die Figur der Heiligen bereits angelegt wurde; dann folgte die vorliegende Fassung, die Heilige Praxedis der Sammlung Bardi-Serzelli, bei deren Entstehungsprozess immer noch Veränderungen vorgenommen wurden, was als zweiter und dritter Schritt gelten kann. Es ist schwierig festzustellen, welche der beiden anderen Versionen – die Vermeer zugeschriebene Kopie oder die Ferrara-Version – zuerst auf Grundlage der vorliegenden Komposition ausgeführt wurde. Jedenfalls erscheint es schlüssig zu argumentieren, dass sich Vermeer für seine berühmte Kopie auf das vorliegende Gemälde stützte.

Wir danken Gianluca Poldi für die Durchführung der technischen Untersuchung.

Das Gemälde wird in seinem originalen geschnitzten und vergoldeten Florentiner Rahmen des 17. Jahrhunderts zum Verkauf angeboten. Wir danken Georg Smolka für seine Beurteilung.

Experte: Dr. Alexander Strasoldo Dr. Alexander Strasoldo
+43 1 515 60 403

old.masters@dorotheum.com


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
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Auktion: Alte Meister
Auktionstyp: Saalauktion
Datum: 17.10.2017 - 18:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 07.10. - 17.10.2017


** Kaufpreis inkl. Käufergebühr und Mehrwertsteuer(für Lieferland Österreich)

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