Lot Nr. 6


Venezianische Schule, um 1500


Venezianische Schule, um 1500 - Alte Meister

Die Taufe Christi,
Öl auf Holz, 107 x 102 cm, gerahmt

Provenienz:
Privatsammlung, Norditalien

Wir danken Mauro Lucco, der eine Zuschreibung an Boccaccio Boccaccino vorgeschlagen hat, für seine Hilfe bei der Katalogisierung des vorliegenden Gemäldes.

Boccaccio Boccaccino verbrachte die letzten neunzehn Jahre seines Lebens in Cremona und kann als der Begründer der dortigen Renaissancemalerei gelten. Er wird zwar von Vasari in dessen Viten (Le Vite delle più eccellenti pittori, scultori, ed architettori) besprochen, doch ist wenig über die Anfänge seiner Laufbahn – die Zeit von 1485 bis circa 1500 – bekannt.

Urkundlich ist belegt, dass Antonio Constabili, der Botschafter von Ferrara am Hof der Sforza, Boccaccino 1497 aus dem Gefängnis in Mailand und zurück in die Stadt der d’Este holte (siehe A. Venturi, La R. Galleria Estense in Modena, Modena 1882, S. 38). Dort ermordete Boccaccino jedoch im Jahr 1500 seine untreue und geständige Ehefrau („amazò sua moiera chel trovò farle le corna et che gel confessò“; siehe A. Pattanaro, Regesto della pittura a Ferrara [1497–1548], in: A. Ballarin, Dosso Dossi. La pittura a Ferrara negli anni del ducato di Alfonso I, Cittadella 1995, Bd. I, S. 113). Er war daher gezwungen, aus Ferrara zu fliehen. Ein weiteres – undatiertes, jedoch mit Sicherheit aus der Zeit vor 1506 stammendes – Dokument bestätigt die Mietzahlung für ein Haus in der Calle del Paradiso in Venedig (G. Ludwig, Archivalische Beiträge zur Geschichte der venezianischen Malerei […], in: Jahrbuch der Königlich Preußischen Kunstsammlungen, Beiheft, 1905, S. 10), was nahelegt, dass er in Venedig Zuflucht gesucht hatte.

Lucco sieht in dem vorliegenden Gemälde stilistische Übereinstimmungen mit anderen in Venedig entstandenen Werken Boccaccinos aus der Zeit um 1500: Die Gesichtszüge des Täufers gleichen jenen desselben Heiligen seiner Pala di San Giuliano, während der Engel im rosafarbenen Gewand dem Evangelisten Johannes desselben Altarbilds ähnelt. Vergleichbare Physiognomien finden sich auf fragmentarisch erhaltenen Fresken Boccaccinos, die sich heute im Museo Civico Ala Ponzone in Cremona befinden, insbesondere auf jenen mit den Inventarnummern 149 und 152, die um 1515–1518 zu datieren sind.

Boccaccinos Altarbild des hl. Julianus in Venedig wurde 1502 vollendet und aufgestellt (siehe P. Humfrey, The Altarpiece in Renaissance Venice, New Haven/London, 1993, S. 351), was mit dem Zeitpunkt des Eintreffens des aus Ferrara kommenden Künstlers in der Stadt vereinbar ist. Zudem war das Thema der Taufe Christi um 1500/1501 von Cima da Conegliano behandelt worden, der sein Meisterwerk für San Giovanni in Bragora nur kurz davor vorgelegt hatte; wenig später vollendete Giovanni Bellini – vermutlich spätestens 1502 – seine wunderbare Fassung des Sujets für Santa Corona in Vicenza. Laut Lucco scheint Boccaccino hier erstaunlicherweise die seltene Ikonografie der Taufe im Beisein von Engeln vorweggenommen zu haben, die der große venezianische Meister sodann übernahm und die dann viel später, nämlich 1540, in dem Gemälde Francesco da Santacroces im Museo di Castevecchio in Verona (Inv. 80-1B247) wiederholt wurde.

Laut Lucco ist das Hauptkriterium, das eine Entstehung des vorliegenden Gemäldes um 1500 nahelegt, das Vorhandensein des auffällig geformten grünen Berges links im Bild: Er steht in Zusammenhang mit der Landschaft des Gemäldes Hommage an einen Dichter in der National Gallery in London (Inv. 1173), die man Giorgione oder dessen Werkstatt zugeschrieben hat. Dass das Motiv hier wiederkehrt, legt nahe, dass das Londoner Gemälde damals große Beachtung fand, was es indirekt als eigenhändiges, wenn auch frühes, noch im Quattrocento entstandenes Werk Giorgiones ausweist. Die im Wind flackernden zarten Blattknospen des vorliegenden Gemäldes verweisen auf eine vorklassische Kultur Ferrareser Ursprungs; andererseits erinnern die Äste des Strauchwerks an zwei Bilder des venezianischen Meisters in den Uffizien (Inv. P723, P724). Aufgrund dieser stilistischen Bezüge sieht Lucco im vorliegenden Gemälde das erste in Venedig ausgeführte Gemälde Boccaccio Boccaccinos, entstanden im Jahr 1500.

Technische Untersuchung:

Die Infrarotreflektografie lässt eine Unterzeichnung mit dünnen Umrisslinien entlang der Figuren und Berge sowie mehrere Veränderungen erkennen. Spuren einer anderen, etwas stärkeren Linienzeichnung finden sich in einigen Details wie dem Mund Christi und im Bereich der Engel. Die Füße Christi wurden in der gemalten Ausführung leicht versetzt. Weitere Veränderungen betreffen den erhobenen Arm des Täufers, der ursprünglich gerader angelegt war, und die Ufer des Flusses hinter der Figur Christi, die sich mit einem Streifen Land rechts und einem nunmehr zur Gänze vom Flusswasser bedeckten Baumstumpf ganz anders darstellten. Einige Details wurden über die Landschaft gemalt, etwa die Engel und die von ihnen gehaltenen Gewänder.

Die Farben wurden über einem weißen Grund, der zahllose Bläschen aufweist, aufgetragen. Die bei der spektroskopischen Untersuchung festgestellten Pigmente umfassen natürliches Ultramarin (auf Lapislazuli-Basis) für die Blautöne, Grünspan für die Grüntöne, Rotlack auf Karminbasis, welches bisweilen dem Ultramarinblau zugesetzt wurde, um sattere Farbtöne zu erzielen, Eisenoxide (Gelb und Ockerbraun), ein Gelb auf Blei-Zinn-Basis sowie Bleiweiß und Zinnober für die Hauttöne. Die hohe malerische Qualität deckt sich mit der venezianischen Maltechnik des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts und stimmt mit Merkmalen überein, die jenen der künstlerischen Praxis Boccaccio Boccaccinos sehr nahestehen.

Wir danken Gianluca Poldi für die technische Untersuchung des vorliegenden Gemäldes.

24.04.2018 - 17:00

Schätzwert:
EUR 40.000,- bis EUR 60.000,-

Venezianische Schule, um 1500


Die Taufe Christi,
Öl auf Holz, 107 x 102 cm, gerahmt

Provenienz:
Privatsammlung, Norditalien

Wir danken Mauro Lucco, der eine Zuschreibung an Boccaccio Boccaccino vorgeschlagen hat, für seine Hilfe bei der Katalogisierung des vorliegenden Gemäldes.

Boccaccio Boccaccino verbrachte die letzten neunzehn Jahre seines Lebens in Cremona und kann als der Begründer der dortigen Renaissancemalerei gelten. Er wird zwar von Vasari in dessen Viten (Le Vite delle più eccellenti pittori, scultori, ed architettori) besprochen, doch ist wenig über die Anfänge seiner Laufbahn – die Zeit von 1485 bis circa 1500 – bekannt.

Urkundlich ist belegt, dass Antonio Constabili, der Botschafter von Ferrara am Hof der Sforza, Boccaccino 1497 aus dem Gefängnis in Mailand und zurück in die Stadt der d’Este holte (siehe A. Venturi, La R. Galleria Estense in Modena, Modena 1882, S. 38). Dort ermordete Boccaccino jedoch im Jahr 1500 seine untreue und geständige Ehefrau („amazò sua moiera chel trovò farle le corna et che gel confessò“; siehe A. Pattanaro, Regesto della pittura a Ferrara [1497–1548], in: A. Ballarin, Dosso Dossi. La pittura a Ferrara negli anni del ducato di Alfonso I, Cittadella 1995, Bd. I, S. 113). Er war daher gezwungen, aus Ferrara zu fliehen. Ein weiteres – undatiertes, jedoch mit Sicherheit aus der Zeit vor 1506 stammendes – Dokument bestätigt die Mietzahlung für ein Haus in der Calle del Paradiso in Venedig (G. Ludwig, Archivalische Beiträge zur Geschichte der venezianischen Malerei […], in: Jahrbuch der Königlich Preußischen Kunstsammlungen, Beiheft, 1905, S. 10), was nahelegt, dass er in Venedig Zuflucht gesucht hatte.

Lucco sieht in dem vorliegenden Gemälde stilistische Übereinstimmungen mit anderen in Venedig entstandenen Werken Boccaccinos aus der Zeit um 1500: Die Gesichtszüge des Täufers gleichen jenen desselben Heiligen seiner Pala di San Giuliano, während der Engel im rosafarbenen Gewand dem Evangelisten Johannes desselben Altarbilds ähnelt. Vergleichbare Physiognomien finden sich auf fragmentarisch erhaltenen Fresken Boccaccinos, die sich heute im Museo Civico Ala Ponzone in Cremona befinden, insbesondere auf jenen mit den Inventarnummern 149 und 152, die um 1515–1518 zu datieren sind.

Boccaccinos Altarbild des hl. Julianus in Venedig wurde 1502 vollendet und aufgestellt (siehe P. Humfrey, The Altarpiece in Renaissance Venice, New Haven/London, 1993, S. 351), was mit dem Zeitpunkt des Eintreffens des aus Ferrara kommenden Künstlers in der Stadt vereinbar ist. Zudem war das Thema der Taufe Christi um 1500/1501 von Cima da Conegliano behandelt worden, der sein Meisterwerk für San Giovanni in Bragora nur kurz davor vorgelegt hatte; wenig später vollendete Giovanni Bellini – vermutlich spätestens 1502 – seine wunderbare Fassung des Sujets für Santa Corona in Vicenza. Laut Lucco scheint Boccaccino hier erstaunlicherweise die seltene Ikonografie der Taufe im Beisein von Engeln vorweggenommen zu haben, die der große venezianische Meister sodann übernahm und die dann viel später, nämlich 1540, in dem Gemälde Francesco da Santacroces im Museo di Castevecchio in Verona (Inv. 80-1B247) wiederholt wurde.

Laut Lucco ist das Hauptkriterium, das eine Entstehung des vorliegenden Gemäldes um 1500 nahelegt, das Vorhandensein des auffällig geformten grünen Berges links im Bild: Er steht in Zusammenhang mit der Landschaft des Gemäldes Hommage an einen Dichter in der National Gallery in London (Inv. 1173), die man Giorgione oder dessen Werkstatt zugeschrieben hat. Dass das Motiv hier wiederkehrt, legt nahe, dass das Londoner Gemälde damals große Beachtung fand, was es indirekt als eigenhändiges, wenn auch frühes, noch im Quattrocento entstandenes Werk Giorgiones ausweist. Die im Wind flackernden zarten Blattknospen des vorliegenden Gemäldes verweisen auf eine vorklassische Kultur Ferrareser Ursprungs; andererseits erinnern die Äste des Strauchwerks an zwei Bilder des venezianischen Meisters in den Uffizien (Inv. P723, P724). Aufgrund dieser stilistischen Bezüge sieht Lucco im vorliegenden Gemälde das erste in Venedig ausgeführte Gemälde Boccaccio Boccaccinos, entstanden im Jahr 1500.

Technische Untersuchung:

Die Infrarotreflektografie lässt eine Unterzeichnung mit dünnen Umrisslinien entlang der Figuren und Berge sowie mehrere Veränderungen erkennen. Spuren einer anderen, etwas stärkeren Linienzeichnung finden sich in einigen Details wie dem Mund Christi und im Bereich der Engel. Die Füße Christi wurden in der gemalten Ausführung leicht versetzt. Weitere Veränderungen betreffen den erhobenen Arm des Täufers, der ursprünglich gerader angelegt war, und die Ufer des Flusses hinter der Figur Christi, die sich mit einem Streifen Land rechts und einem nunmehr zur Gänze vom Flusswasser bedeckten Baumstumpf ganz anders darstellten. Einige Details wurden über die Landschaft gemalt, etwa die Engel und die von ihnen gehaltenen Gewänder.

Die Farben wurden über einem weißen Grund, der zahllose Bläschen aufweist, aufgetragen. Die bei der spektroskopischen Untersuchung festgestellten Pigmente umfassen natürliches Ultramarin (auf Lapislazuli-Basis) für die Blautöne, Grünspan für die Grüntöne, Rotlack auf Karminbasis, welches bisweilen dem Ultramarinblau zugesetzt wurde, um sattere Farbtöne zu erzielen, Eisenoxide (Gelb und Ockerbraun), ein Gelb auf Blei-Zinn-Basis sowie Bleiweiß und Zinnober für die Hauttöne. Die hohe malerische Qualität deckt sich mit der venezianischen Maltechnik des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts und stimmt mit Merkmalen überein, die jenen der künstlerischen Praxis Boccaccio Boccaccinos sehr nahestehen.

Wir danken Gianluca Poldi für die technische Untersuchung des vorliegenden Gemäldes.


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
old.masters@dorotheum.at

+43 1 515 60 403
Auktion: Alte Meister
Auktionstyp: Saalauktion
Datum: 24.04.2018 - 17:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 14.04. - 24.04.2018

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