Lot Nr. 532


Giovanni Boldini


Giovanni Boldini - Gemälde des 19. Jahrhunderts

(Ferrara 1845–1931 Paris)
Pianista in abito settecentesco, signiert, datiert Boldini (18)77,
Aquarell auf Papier auf Karton, 39 x 30 cm, gerahmt

Provenienz:
Sammlung Colonna, Turin;
Sotheby’s Mailand, 4. Juni 2002, Los 176;
Viareggio, Società di Belle Arti - Arte Italiana del XIX e XX secolo, 2013;
dort vom Vater des aktuellen Eigentümers erworben;
Im Erbgang – Privatsammlung Italien.

Abgebildet und verzeichnet in:
E. Camesasca, C. L. Ragghianti, L’operam completa di Boldini, Mailand 1970,
S. 91, Nr. 19 Gc;
Pietro Dini, Francesca Dini, Giovanni Boldini. Catalogo Ragionato, Bd. III, Teil 1, Turin 2002, S. 150–151, Nr. 261.

Eine Echtheitsbestätigung der Società di Belle Arti - Arte Italiana del XIX e XX secolo, Viareggio, vom 21. Oktober 2013, liegt vor.

Das Paris des 19. Jahrhunderts galt als die Mode- und Stilmetropole schlechthin und Giovanni Boldini gelang es auf brillante Weise, die Eleganz der Pariser Bourgeoisie festzuhalten. Als renommierter Frauenmaler genoss er hohes Ansehen und so war die Elite begierig darauf, von ihm, dessen Pinsel allein bereits Ruhm erzeugen konnte, portraitiert zu werden.

Das vorliegende Werk gehört zu einer Reihe intimen und kleinformatigen Motiven, welche während der 1870er Jahre fertiggestellt wurden. Boldini malte vielfältige zeitgenössische Szenen, welche junge Frauen in einem Interieur bei Alltagstätigkeiten wie Lesen, Schreiben, Plaudereien, Musizieren und Stickerei zeigen.
Es wird vermutet, dass es sich bei der abgebildeten Frau auf dem vorliegenden Los um Boldinis Modell Berthe handelt. Als Geliebte des Künstlers stand sie ihm oft Modell und ist an ihrer blonden Frisur und ihrer Porzellanhaut zu erkennen. Das Bild zeigt sie beim Musizieren in einem im Stil des achtzehnten Jahrhunderts dekorierten Innenraum. Sie trägt ein elegantes, buntes Kleid und scheint sich ihres Publikums gänzlich unbewusst zu sein. Hinter ihr entfaltet sich eine Stola, welche der Künstler vermutlich gezielt dort drapierte, um die Szene mit Farbe zu füllen.

Giovanni Boldini ließ sich 1871 in Paris nieder und wurde bald von dem mächtigen Kunsthändler Adolph Goupil vertreten. Seine Werke, wie auch das vorliegende Los, sprachen neue europäische und amerikanische Sammler an. Sie waren in der Tat die ersten Werke des Künstlers im Stil von Jean Louis Ernest Meissonier, die von Händlern und Sammlern in den Vereinigten Staaten erworben wurden.
Diese kleinformatigen Werke, die elegante Damen in historischen Kostümen in Innenräumen aus dem 18. Jahrhundert darstellen, wurden von der neuen Pariser Bourgeoisie weithin bewundert. Sie trugen dazu bei, Boldinis Ruf als einen der begehrtesten Künstler der Pariser Belle Epoque zu besiegeln.

Technische Analyse von Gianluca Poldi
Das auf einem Karton ausgeführte Werk ist sehr gut erhalten, wie auch UV-Fluoreszenz- und IR-Bilder bezeugen. Es ist recht ungewöhnlich, ein Aquarell durch IR-Reflektographie zu untersuchen. Die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien, die in den letzten Jahren an Gemälden und Zeichnungen von Giovanni Boldini durchgeführt wurden, belegen jedoch die Validität von IR- und anderen nicht invasiven Analysen, um Technik, Erhaltungszustand und die Praxis des Malers bei der Herstellung von Aquarellen besser zu verstehen.
IR-reflektographische Bilder zeigen eine doppelte Ausführung der Zeichnung, die mit Bleistift ausgeführt wurde. Eine ist dünn und leicht, unter der Farbe kaum lesbar, wahrscheinlich teilweise durch die aquarellierten Pinselstriche aufgehoben. Die andere ist etwas dicker und deutlicher auf das Papier gedrückt, ohne sie auszuradieren. Letztere wird verwendet, um die geometrischen Merkmale des Raumes - den Boden, die Tür und das Cembalo in der eigentümlichen axonometrischen Perspektive - sanft und teilweise mit einer Farblasur bedeckt zu konstruieren. Einige Merkmale bleiben gut sichtbar und werden für den Endeffekt benutzt. Diese dünnen, aber stärkeren Linien sind nicht unter dem Stuhl der weiblichen Figur und dem Musikinstrument nachgezeichnet, was darauf hindeutet, dass ihre Form bereits vorhanden war.
Die andere Ausführung der Zeichnung, in nur sehr dünnen Linien, befindet sich unter der musizierenden Figur, ihrem Kleid und dem Stuhl: es handelt sich dabei um die typische Unterzeichnung Boldinis aus jener Zeit, die mit einer freien Handbewegung ausgeführt wurde, um mit nur sehr wenigen Details einige Figuren und Elemente zu skizzieren.
Nachdem er den Aufbau des Bildes gezeichnet hatte, benutzte Boldini einen dünnen Pinsel, um einige Linien zu verdecken und die Objekte zu präzisieren. Dies geschieht wiederum mit einer sicheren und freien Handbewegung, wie in den Linien um den Spiegel und in den Figuren rechts ersichtlich ist.
Pigmente, die durch Reflexionsspektroskopie untersucht wurden, weisen auf eine Farbpalette hin, die unter anderem ein intensives Ultramarinblau, zwei verschiedene Grüntöne (transparentes Chromoxid und ein weiteres modernes), etwas Ocker und Karmesinrot (Typ Carminium) umfasst. Einige Mengen von Zinkweiß verraten Boldinis frühe Verwendung dieses synthetischen Pigments, das er mindestens ab 1871 auch in seinen Ölbildern einsetzte.

Die große Fähigkeit dieses Künstlers, sich in einer komplexen Komposition dem Kleid der Frau und dem Instrument in verschiedenen Farben zu nähern, wird bei näherem Abstand deutlich. Boldini verwendet ein System kleiner Farbtupfer, um eine resonante Oberfläche mit abwechselnden Lichtmomenten und kleinen Schatten zu schaffen. Manchmal nutzt Boldini das Weiß des Papiers aus, um das Halblicht zu erhalten, während Zinkweiß in den helleren Bereichen verwendet wird, wie im Schal auf dem Boden und in den helleren Rändern der Notenblätter.

Fachliteratur:
G. Poldi, F. Frezzato, F. Lo Russo, E. Savoia, A. Splendore, Giovanni Boldini: technique and conservation. A systematic scientific study, in A Changing Art. Nineteenth-century painting practice and conservation, Akten der gleichnamigen Konferenz (London, The Wallace Collection, 7. Oktober 2016), hrsg. von N. Costaras, K. Lowry, H. Glanville, P. Balch, V. Sutcliffe und P. Saltmarsh, Archetype, London 2017, S. 100-115;
G. Poldi, Modi e mode di un pittore. Tra underdrawing e non finito nella tecnica di Giovanni Boldini, „Elephant & Castle“, 16, Juni 2017, S. 5-27.

Experte: Gautier Gendebien Gautier Gendebien
+39-334-777 1603

Gautier.Gendebien@dorotheum.it

09.11.2020 - 16:00

Erzielter Preis: **
EUR 87.800,-
Schätzwert:
EUR 50.000,- bis EUR 70.000,-

Giovanni Boldini


(Ferrara 1845–1931 Paris)
Pianista in abito settecentesco, signiert, datiert Boldini (18)77,
Aquarell auf Papier auf Karton, 39 x 30 cm, gerahmt

Provenienz:
Sammlung Colonna, Turin;
Sotheby’s Mailand, 4. Juni 2002, Los 176;
Viareggio, Società di Belle Arti - Arte Italiana del XIX e XX secolo, 2013;
dort vom Vater des aktuellen Eigentümers erworben;
Im Erbgang – Privatsammlung Italien.

Abgebildet und verzeichnet in:
E. Camesasca, C. L. Ragghianti, L’operam completa di Boldini, Mailand 1970,
S. 91, Nr. 19 Gc;
Pietro Dini, Francesca Dini, Giovanni Boldini. Catalogo Ragionato, Bd. III, Teil 1, Turin 2002, S. 150–151, Nr. 261.

Eine Echtheitsbestätigung der Società di Belle Arti - Arte Italiana del XIX e XX secolo, Viareggio, vom 21. Oktober 2013, liegt vor.

Das Paris des 19. Jahrhunderts galt als die Mode- und Stilmetropole schlechthin und Giovanni Boldini gelang es auf brillante Weise, die Eleganz der Pariser Bourgeoisie festzuhalten. Als renommierter Frauenmaler genoss er hohes Ansehen und so war die Elite begierig darauf, von ihm, dessen Pinsel allein bereits Ruhm erzeugen konnte, portraitiert zu werden.

Das vorliegende Werk gehört zu einer Reihe intimen und kleinformatigen Motiven, welche während der 1870er Jahre fertiggestellt wurden. Boldini malte vielfältige zeitgenössische Szenen, welche junge Frauen in einem Interieur bei Alltagstätigkeiten wie Lesen, Schreiben, Plaudereien, Musizieren und Stickerei zeigen.
Es wird vermutet, dass es sich bei der abgebildeten Frau auf dem vorliegenden Los um Boldinis Modell Berthe handelt. Als Geliebte des Künstlers stand sie ihm oft Modell und ist an ihrer blonden Frisur und ihrer Porzellanhaut zu erkennen. Das Bild zeigt sie beim Musizieren in einem im Stil des achtzehnten Jahrhunderts dekorierten Innenraum. Sie trägt ein elegantes, buntes Kleid und scheint sich ihres Publikums gänzlich unbewusst zu sein. Hinter ihr entfaltet sich eine Stola, welche der Künstler vermutlich gezielt dort drapierte, um die Szene mit Farbe zu füllen.

Giovanni Boldini ließ sich 1871 in Paris nieder und wurde bald von dem mächtigen Kunsthändler Adolph Goupil vertreten. Seine Werke, wie auch das vorliegende Los, sprachen neue europäische und amerikanische Sammler an. Sie waren in der Tat die ersten Werke des Künstlers im Stil von Jean Louis Ernest Meissonier, die von Händlern und Sammlern in den Vereinigten Staaten erworben wurden.
Diese kleinformatigen Werke, die elegante Damen in historischen Kostümen in Innenräumen aus dem 18. Jahrhundert darstellen, wurden von der neuen Pariser Bourgeoisie weithin bewundert. Sie trugen dazu bei, Boldinis Ruf als einen der begehrtesten Künstler der Pariser Belle Epoque zu besiegeln.

Technische Analyse von Gianluca Poldi
Das auf einem Karton ausgeführte Werk ist sehr gut erhalten, wie auch UV-Fluoreszenz- und IR-Bilder bezeugen. Es ist recht ungewöhnlich, ein Aquarell durch IR-Reflektographie zu untersuchen. Die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien, die in den letzten Jahren an Gemälden und Zeichnungen von Giovanni Boldini durchgeführt wurden, belegen jedoch die Validität von IR- und anderen nicht invasiven Analysen, um Technik, Erhaltungszustand und die Praxis des Malers bei der Herstellung von Aquarellen besser zu verstehen.
IR-reflektographische Bilder zeigen eine doppelte Ausführung der Zeichnung, die mit Bleistift ausgeführt wurde. Eine ist dünn und leicht, unter der Farbe kaum lesbar, wahrscheinlich teilweise durch die aquarellierten Pinselstriche aufgehoben. Die andere ist etwas dicker und deutlicher auf das Papier gedrückt, ohne sie auszuradieren. Letztere wird verwendet, um die geometrischen Merkmale des Raumes - den Boden, die Tür und das Cembalo in der eigentümlichen axonometrischen Perspektive - sanft und teilweise mit einer Farblasur bedeckt zu konstruieren. Einige Merkmale bleiben gut sichtbar und werden für den Endeffekt benutzt. Diese dünnen, aber stärkeren Linien sind nicht unter dem Stuhl der weiblichen Figur und dem Musikinstrument nachgezeichnet, was darauf hindeutet, dass ihre Form bereits vorhanden war.
Die andere Ausführung der Zeichnung, in nur sehr dünnen Linien, befindet sich unter der musizierenden Figur, ihrem Kleid und dem Stuhl: es handelt sich dabei um die typische Unterzeichnung Boldinis aus jener Zeit, die mit einer freien Handbewegung ausgeführt wurde, um mit nur sehr wenigen Details einige Figuren und Elemente zu skizzieren.
Nachdem er den Aufbau des Bildes gezeichnet hatte, benutzte Boldini einen dünnen Pinsel, um einige Linien zu verdecken und die Objekte zu präzisieren. Dies geschieht wiederum mit einer sicheren und freien Handbewegung, wie in den Linien um den Spiegel und in den Figuren rechts ersichtlich ist.
Pigmente, die durch Reflexionsspektroskopie untersucht wurden, weisen auf eine Farbpalette hin, die unter anderem ein intensives Ultramarinblau, zwei verschiedene Grüntöne (transparentes Chromoxid und ein weiteres modernes), etwas Ocker und Karmesinrot (Typ Carminium) umfasst. Einige Mengen von Zinkweiß verraten Boldinis frühe Verwendung dieses synthetischen Pigments, das er mindestens ab 1871 auch in seinen Ölbildern einsetzte.

Die große Fähigkeit dieses Künstlers, sich in einer komplexen Komposition dem Kleid der Frau und dem Instrument in verschiedenen Farben zu nähern, wird bei näherem Abstand deutlich. Boldini verwendet ein System kleiner Farbtupfer, um eine resonante Oberfläche mit abwechselnden Lichtmomenten und kleinen Schatten zu schaffen. Manchmal nutzt Boldini das Weiß des Papiers aus, um das Halblicht zu erhalten, während Zinkweiß in den helleren Bereichen verwendet wird, wie im Schal auf dem Boden und in den helleren Rändern der Notenblätter.

Fachliteratur:
G. Poldi, F. Frezzato, F. Lo Russo, E. Savoia, A. Splendore, Giovanni Boldini: technique and conservation. A systematic scientific study, in A Changing Art. Nineteenth-century painting practice and conservation, Akten der gleichnamigen Konferenz (London, The Wallace Collection, 7. Oktober 2016), hrsg. von N. Costaras, K. Lowry, H. Glanville, P. Balch, V. Sutcliffe und P. Saltmarsh, Archetype, London 2017, S. 100-115;
G. Poldi, Modi e mode di un pittore. Tra underdrawing e non finito nella tecnica di Giovanni Boldini, „Elephant & Castle“, 16, Juni 2017, S. 5-27.

Experte: Gautier Gendebien Gautier Gendebien
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Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
kundendienst@dorotheum.at

+43 1 515 60 200
Auktion: Gemälde des 19. Jahrhunderts
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 09.11.2020 - 16:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 02.11. - 09.11.2020


** Kaufpreis inkl. Käufergebühr und Mehrwertsteuer

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