Lot Nr. 147


Giovanni Domenico Tiepolo


Giovanni Domenico Tiepolo - Meisterzeichnungen und Druckgraphik bis 1900, Aquarelle, Miniaturen

(Venedig 1727–1804)
Ein Kentaur und ein weiblicher Faun in einer Landschaft, signiert Dom.° Tiepolo f., nummeriert “27”, Feder und Pinsel in Braun, braun laviert, auf Bütten, 19,2 x 26,5 cm, alt auf ein anderes Bütten kaschiert, gebräunt, etwas fleckig, Passep., ohne Rahmen, (Sch)

Provenienz:
Privatbesitz, Österreich.

Die Zuschreibung an Giovanni Domenico Tiepolo wurde von Prof. Adelheid M. Gealt, Prof. Bert W. Meijer und Prof. Mauro Lucco anhand einer hochauflösenden digitalen Photographie bestätigt.

Die vorliegende, bisher nicht publizierte Zeichnung lässt sich einer Gruppe von über 140 Blättern Domenico Tiepolos zuordnen, in denen sich der Künstler mit den Abenteuern von Kentauren, Faunen, Satyrn und Nymphen auseinandersetzte. Die dargestellte Szene mit einem Kentaur und einem weiblichen Faun in einer Landschaft dürfte eine Variation zu dem Thema von „Nessus und Deianira“ aus der griechischen Mythologie sein: der Kentaur Nessus begehrte Deianira, die Frau des Herkules und entführte sie, woraufhin er von Herkules mit einem vergifteten Pfeil getötet wurde. Während Herkules zwar nicht in der Szene erscheint, so könnte die Keule im rechten Vordergrund, die oft als Attribut neben Tiepolos Kentauren zu sehen ist, auf ihn verweisen.
Das Thema der Kentauren übte während seiner gesamten Karriere eine große Faszination auf Domenico Tiepolo aus und wurde von ihm ab den 1750ern bis in die 1790er in zahlreichen Fresken, Ölgemälden und Zeichnungen aufgegriffen. Der Höhepunkt dieses Themas kulminierte in den monochromen Fresken der Villa Tiepolo in Mirano bei Zianigo, nordöstlich von Padua. Die Fresken schmückten zwei Räume des Hauses – die Camera die Satiri, die 1759 begonnen und 1771 vollendet wurde, sowie das Camerino dei Centauri, das erst zwanzig Jahre später 1791 entstand. Die Villa Tiepolo in Mirano existiert noch heute, die Fresken wurden jedoch abgenommen und befinden sich heute in der Sammlung des Museo del Settecento Veneziano im Palazzo Rezzonico in Venedig.

In seiner umfassenden Studie über die Zeichnungen von Domenico Tiepolo bezeichnete John Byam Shaw jene Gruppe von Landschaften mit Satyrn und Kentauren als die attraktivsten und originellsten seiner allegorischen und mythologischen Sujets (J. Byam Shaw, The Drawings of Domenico Tiepolo, London 1962, S. 41). Sie zeigen weibliche und männliche Satyrn und Kentauren bei den unterschiedlichsten Beschäftigungen: beim Jagen, Holzsammeln, beim Tanz oder im Kampf mit Stieren und Löwen. Die meisten Zeichnungen aus diesem Zyklus sind wie das vorliegende Blatt eigenhändig vom Künstler in brauner Feder signiert und nummeriert. Shaw datiert die Gruppe parallel zur Entstehungszeit der Fresken in der Villa Tiepolo zwischen 1751-1791. Der Großteil dieser Zeichnungen dürfte jedoch nicht als Skizzen für spätere auszuführende Werke, sondern als autonome Kunstwerke entstanden sein, wofür auch die detailliert entworfenen Kompositionen sowie die feine Ausführung der Blätter sprechen würde. Während es daher möglich erscheint, dass die Zeichnungen als eigenständige Kunstwerke im Auftrag von Sammlern entstanden sind, so dürften zu Lebzeiten Domenicos tatsächlich nur sehr wenige Zeichnungen das Atelier des Künstlers verlassen haben. Der Großteil davon wurde vom Künstler gemeinsam mit anderen Zeichenalben seines Vaters in der Werkstatt verwahrt und gelangte erst nach dem Tod des Künstlers auf den Markt, wo die Zeichnungen bald zu einem begehrten Sammlerobjekt wurden.

Jean Cailleux veröffentlichte 1974 einen ausführlichen Artikel über die Gruppe der mythologischen Zeichnungen der Satyrn, Faune und Kentauren mit einer Liste von über 100 Zeichnungen, von denen 77 dem Thema der Kentauren gewidmet sind (J. Cailleux, „Centaurs, Fauns and Female Fauns and Satyrs among the Drawings of Domenico Tiepolo“, in: The Burlington Magazine, June 1974, Vol. 116, No. 855, S. i-xxviii). Adelheid M. Gealt fügte 2016 eine weitere Gruppe von 29 Blättern mit Kentauren hinzu (Gealt, Giambattista and Domenico Tiepolo, Master Drawings from the Anthony J. Moravec Collection, Eskenazi Museum of Art, Indiana University, Bloomington 2016, S. 36-44). Während der Großteil der Szenen Entführungen weiblicher Satyrn durch Kentauren zeigt, so gibt es nur eine kleine Gruppe von etwa 20 Zeichnungen, in denen auch die romantische Seite der liebenden Kentauren zum Thema wird.

Die hier vorliegende, neu entdeckte Zeichnung mit dem Thema von „Nessus und Deianira“ ist ein herausragendes Beispiel für die seltenen romantischen Zeichnungen aus dem Zyklus der Faune und Kentauren von Domenico Tiepolo. Das besonders fein ausgeführte und liebevoll gestaltete Blatt stellt somit eine bedeutende Ergänzung zum graphischen Oeuvre des Künstlers dar. Eine vergleichbare Zeichnung zu dem Thema befindet sich im Metropolitan Museum of Art, New York (Inv. 37.165.58), zwei weitere Blätter sind im British Museum (Inv. 1885,0509.8; 1885,0509.10), ein weiteres Blatt befindet sich in der Albertina, Wien (Inv. 24072).

Wir danken Prof. Adelheid M. Gealt für die wissenschaftliche Unterstützung in der Katalogisierung der vorliegenden Zeichnung.

Expertin: Mag. Astrid-Christina Schierz Mag. Astrid-Christina Schierz
+43-1-515 60-546

astrid.schierz@dorotheum.at

22.04.2021 - 15:24

Erzielter Preis: **
EUR 21.550,-
Schätzwert:
EUR 15.000,- bis EUR 20.000,-
Startpreis:
EUR 15.000,-

Giovanni Domenico Tiepolo


(Venedig 1727–1804)
Ein Kentaur und ein weiblicher Faun in einer Landschaft, signiert Dom.° Tiepolo f., nummeriert “27”, Feder und Pinsel in Braun, braun laviert, auf Bütten, 19,2 x 26,5 cm, alt auf ein anderes Bütten kaschiert, gebräunt, etwas fleckig, Passep., ohne Rahmen, (Sch)

Provenienz:
Privatbesitz, Österreich.

Die Zuschreibung an Giovanni Domenico Tiepolo wurde von Prof. Adelheid M. Gealt, Prof. Bert W. Meijer und Prof. Mauro Lucco anhand einer hochauflösenden digitalen Photographie bestätigt.

Die vorliegende, bisher nicht publizierte Zeichnung lässt sich einer Gruppe von über 140 Blättern Domenico Tiepolos zuordnen, in denen sich der Künstler mit den Abenteuern von Kentauren, Faunen, Satyrn und Nymphen auseinandersetzte. Die dargestellte Szene mit einem Kentaur und einem weiblichen Faun in einer Landschaft dürfte eine Variation zu dem Thema von „Nessus und Deianira“ aus der griechischen Mythologie sein: der Kentaur Nessus begehrte Deianira, die Frau des Herkules und entführte sie, woraufhin er von Herkules mit einem vergifteten Pfeil getötet wurde. Während Herkules zwar nicht in der Szene erscheint, so könnte die Keule im rechten Vordergrund, die oft als Attribut neben Tiepolos Kentauren zu sehen ist, auf ihn verweisen.
Das Thema der Kentauren übte während seiner gesamten Karriere eine große Faszination auf Domenico Tiepolo aus und wurde von ihm ab den 1750ern bis in die 1790er in zahlreichen Fresken, Ölgemälden und Zeichnungen aufgegriffen. Der Höhepunkt dieses Themas kulminierte in den monochromen Fresken der Villa Tiepolo in Mirano bei Zianigo, nordöstlich von Padua. Die Fresken schmückten zwei Räume des Hauses – die Camera die Satiri, die 1759 begonnen und 1771 vollendet wurde, sowie das Camerino dei Centauri, das erst zwanzig Jahre später 1791 entstand. Die Villa Tiepolo in Mirano existiert noch heute, die Fresken wurden jedoch abgenommen und befinden sich heute in der Sammlung des Museo del Settecento Veneziano im Palazzo Rezzonico in Venedig.

In seiner umfassenden Studie über die Zeichnungen von Domenico Tiepolo bezeichnete John Byam Shaw jene Gruppe von Landschaften mit Satyrn und Kentauren als die attraktivsten und originellsten seiner allegorischen und mythologischen Sujets (J. Byam Shaw, The Drawings of Domenico Tiepolo, London 1962, S. 41). Sie zeigen weibliche und männliche Satyrn und Kentauren bei den unterschiedlichsten Beschäftigungen: beim Jagen, Holzsammeln, beim Tanz oder im Kampf mit Stieren und Löwen. Die meisten Zeichnungen aus diesem Zyklus sind wie das vorliegende Blatt eigenhändig vom Künstler in brauner Feder signiert und nummeriert. Shaw datiert die Gruppe parallel zur Entstehungszeit der Fresken in der Villa Tiepolo zwischen 1751-1791. Der Großteil dieser Zeichnungen dürfte jedoch nicht als Skizzen für spätere auszuführende Werke, sondern als autonome Kunstwerke entstanden sein, wofür auch die detailliert entworfenen Kompositionen sowie die feine Ausführung der Blätter sprechen würde. Während es daher möglich erscheint, dass die Zeichnungen als eigenständige Kunstwerke im Auftrag von Sammlern entstanden sind, so dürften zu Lebzeiten Domenicos tatsächlich nur sehr wenige Zeichnungen das Atelier des Künstlers verlassen haben. Der Großteil davon wurde vom Künstler gemeinsam mit anderen Zeichenalben seines Vaters in der Werkstatt verwahrt und gelangte erst nach dem Tod des Künstlers auf den Markt, wo die Zeichnungen bald zu einem begehrten Sammlerobjekt wurden.

Jean Cailleux veröffentlichte 1974 einen ausführlichen Artikel über die Gruppe der mythologischen Zeichnungen der Satyrn, Faune und Kentauren mit einer Liste von über 100 Zeichnungen, von denen 77 dem Thema der Kentauren gewidmet sind (J. Cailleux, „Centaurs, Fauns and Female Fauns and Satyrs among the Drawings of Domenico Tiepolo“, in: The Burlington Magazine, June 1974, Vol. 116, No. 855, S. i-xxviii). Adelheid M. Gealt fügte 2016 eine weitere Gruppe von 29 Blättern mit Kentauren hinzu (Gealt, Giambattista and Domenico Tiepolo, Master Drawings from the Anthony J. Moravec Collection, Eskenazi Museum of Art, Indiana University, Bloomington 2016, S. 36-44). Während der Großteil der Szenen Entführungen weiblicher Satyrn durch Kentauren zeigt, so gibt es nur eine kleine Gruppe von etwa 20 Zeichnungen, in denen auch die romantische Seite der liebenden Kentauren zum Thema wird.

Die hier vorliegende, neu entdeckte Zeichnung mit dem Thema von „Nessus und Deianira“ ist ein herausragendes Beispiel für die seltenen romantischen Zeichnungen aus dem Zyklus der Faune und Kentauren von Domenico Tiepolo. Das besonders fein ausgeführte und liebevoll gestaltete Blatt stellt somit eine bedeutende Ergänzung zum graphischen Oeuvre des Künstlers dar. Eine vergleichbare Zeichnung zu dem Thema befindet sich im Metropolitan Museum of Art, New York (Inv. 37.165.58), zwei weitere Blätter sind im British Museum (Inv. 1885,0509.8; 1885,0509.10), ein weiteres Blatt befindet sich in der Albertina, Wien (Inv. 24072).

Wir danken Prof. Adelheid M. Gealt für die wissenschaftliche Unterstützung in der Katalogisierung der vorliegenden Zeichnung.

Expertin: Mag. Astrid-Christina Schierz Mag. Astrid-Christina Schierz
+43-1-515 60-546

astrid.schierz@dorotheum.at


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
kundendienst@dorotheum.at

+43 1 515 60 200
Auktion: Meisterzeichnungen und Druckgraphik bis 1900, Aquarelle, Miniaturen
Auktionstyp: Online Auction
Datum: 22.04.2021 - 15:24
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: online


** Kaufpreis inkl. Käufergebühr und Mehrwertsteuer

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