Lot Nr. 96


Girolamo Francesco Maria Mazzola, gen. il Parmigianino


Girolamo Francesco Maria Mazzola, gen. il Parmigianino - Meisterzeichnungen und Druckgraphik bis 1900, Aquarelle, Miniaturen

(Parma 1503–1540 Casalmaggiore)
Madonna mit Kind und Heiligen, um 1521–23, rote Kreide auf Bütten mit Wz “Hut”, 24,6 x 19 cm, rückseitig Aufschrift in brauner Feder oben links “A. di Vaa... s.”, unten links die Zahl “20” und unten rechts “100”, unten Passep., gerahmt, (Sch)

Provenienz:
Privatsammlung Italien / Wien, bis 1968 (als Unbekannter Meister);
Privatsammlung Wien, seit 1968.

Literatur:
Achim Gnann, Parmigianino - Die Zeichnungen, Petersberg 2007, Bd. 2, Appendix 1 (Abb.); Achim Gnann, “Neue Zuschreibungen an Parmigianino”, in: Kunst und Humanismus. Festschrift für Gosbert Schüßler zum 60. Geburtstag, Herausgegeben von W. Augustyn und E. Leuschner, Passau 2007, S., 247–260, S. 247 ff., Abb. 1.

Gutachten von Dr. Achim Gnann, 24. August 2021 (in Kopie) liegt vor.

Bei der vorliegenden Zeichnung mit einer Studie zur Madonna mit Kind und Heiligen handelt es sich um eine der seltenen, frühen Zeichnungen Parmigianinos, die der Künstler noch vor seiner Abreise nach Rom im Jahre 1524 geschaffen hat. Während sich aus dieser Zeit häufiger einzelne Figurenstudien finden, so dürfte es sich bei der vorliegenden Zeichnung um einen vollständigen Kompositionsentwurf handeln, der als Vorlage für ein Gemälde gedient haben dürfte. Stilistisch wird in dem Entwurf auch der große Einfluss Correggios deutlich, der vor allem in der frühen Phase für das Schaffen des jungen Künstlers prägend war. Die Gestalt Mariens mit ihrem zur Seite geneigtem Haupt, dem tief in die Stirn reichenden Schleier und dem gefühlvollen, leicht melancho­lischen Gesichtsausdruck lassen an Correggios Gemälde der Madonna Campori in Modena, der Muttergottes mit musizierenden Engeln in den Uffizien oder der Muttergottes mit Kind in Wien denken (David Ekserdjian, Correggio, Cinisello Balsamo, Mailand 1997, Abb. 62, 40, 55).

Zum Zeichenstil und der Datierung der vorliegenden Studie bemerkt Achim Gnann: „Charakteristisch für Parmigianino ist die Modellierung durch kräftige gekurvte Striche und die Umschreibung der Körper durch zusammenfassende, schwungvolle Umrisslinien, wie dies etwa auch in der frühen Muttergottes mit Kind und Heiligen in der Albertina (um 1519–1521) zu beobachten ist. Die äußerst lebendige und rhythmische Bewegtheit der Figuren, die trotz des Reichtums an Kontraposten immer Anmut und Grazie ausstrahlen, findet sich in Zeichnungen Parmigianinos wie einer nach rechts gewandten Frauengestalt im Metropolitan Museum oder einem ruhenden Hirten in Princeton (Arthur E. Popham, Catalogue of The Drawings of Parmigianino, New Haven und London 1971, Nr. 601, Plate 50, Nr. 295, Plate 10, Nr. 331, Plate 73). Wie auf diesen Zeichnungen finden sich in dem hier besprochenen Blatt der schwungvolle Umriss und breite Schraffuren, welche die Figuren untereinander und mit der Umgebung verbinden. Die im Hintergrund im oberen Bereich eingefügte Bildarchitektur, die durch Pfeiler, schmale Öffnungen und eine breite, die Muttergottes hervorhebende Mittelarkade gegliedert wird, findet sich ähnlich auf einem Entwurf in Paris für Parmigianinos Heilige Familie im Prado, sowie auf einer Zeichnung mit Christus unter den Schriftgelehrten in Oxford und der Vorzeichnung in Paris für die Beschneidung Christi in Detroit, die alle aus der Frühzeit des Künstlers stammen (Popham 1971, Nr. 396, Plate 14, Nr. 331, Plate 77, Nr. 369, Plate 5).“

Auch wenn der Entwurf nicht eindeutig einem ausgeführten Werk Parmigianinos zuzuordnen ist, so steht die Zeichnung in stilistischer Nähe zu den Studien für den sog. Bardi-Altar mit dem Gemälde der Mysthischen Vermählung der hl. Katharina in der Chiesa di Santa Maria di Bardi in Parma. In den Uffizien in Florenz befindet sich eine Gruppe von Zeichnungen, die Arthur Popham mit dem Bardi-Altar in Verbindung gebracht hatte und noch um 1524 datierte (Arthur E. Popham, Catalogue of the Drawings of Parmigianino, New Haven and London 1971, Nr. 69r, 69v, 70v, 76r, 76v). Anhand stilistischer Merkmale datiert Mary Vaccaro die Studien jedoch früher um 1521 (M. Vaccaro, in: Parmigianino. I disegni, hrsg. von S. Béguin, M. di Giampaolo, M. Vaccaro, Turin 2001, S. 61 ff., S. 67-68.) und ordnet auch die vorliegende Zeichnung zeitlich in diese Entstehungszeit ein. Auch Maria Cristina Chiusa datiert die Zeichnung in die frühe Schaffensperiode Parmigianinos um 1522-23 und weist zudem auf morphologische Ähnlichkeiten der Figuren mit dem Fresko der Hll. Stefan und Lorenzo in der zweiten linken Kapelle der Chiesa di San Giovanni Evangelista in Parma hin.

Im Inventar der Zeichnungen Parmigianinos von Cavaliere Bajardi finden sich mehrere thematisch vergleichbare Studien der Madonna mit Kind umgeben von Heiligen, Engeln und Putti, deren Beschreibung jedoch nicht eindeutig mit dem vorliegenden Entwurf in Verbindung zu bringen sind (vgl. Popham 1971, Bd. 1, Appendix 1, S. 266-267, Nr. 84, 86, 107; S. 268, Nr. 295; S. 269, Nr. 504–524). Bei der Aufschrift und den Nummern auf der Rückseite des Blattes dürfte es sich um einen alten Sammlervermerk handeln, die frühere Provenienz der Zeichnung lässt sich jedoch mangels Erwähnung in der älteren Literatur nur schwer zurückverfolgen. Die Wiederentdeckung des vormals anonymen Entwurfs und seine Identifizierung als Frühwerk von Parmigianino erfolgten erst 2007 mit der Ver­öffent­lichung der Zeichnung im Werkkatalog von Achim Gnann (A. Gnann, Parmigianino, Die Zeichnungen, 2 Bde., Petersberg 2007, Appendix 1). Die vorliegende Zeichnung stellt somit eine bedeutende Ergänzung zum graphischen Oeuvre Parmigianinos aus der frühen Schaffensperiode des Künstlers dar.

Wir danken Dr. Achim Gnann für die Bestätigung der Zuschreibung nach einer Begutachtung des Originals und die wissenschaftliche Unterstützung. Die Zuschreibung wurde zudem von Prof. Mary Vaccaro und Dr. Maria Cristina Chiusa anhand einer hochauflösenden digitalen Fotografie bestätigt.

Expertin: Mag. Astrid-Christina Schierz Mag. Astrid-Christina Schierz
+43-1-515 60-546

astrid.schierz@dorotheum.at

19.10.2021 - 15:31

Erzielter Preis: **
EUR 35.840,-
Schätzwert:
EUR 25.000,- bis EUR 35.000,-

Girolamo Francesco Maria Mazzola, gen. il Parmigianino


(Parma 1503–1540 Casalmaggiore)
Madonna mit Kind und Heiligen, um 1521–23, rote Kreide auf Bütten mit Wz “Hut”, 24,6 x 19 cm, rückseitig Aufschrift in brauner Feder oben links “A. di Vaa... s.”, unten links die Zahl “20” und unten rechts “100”, unten Passep., gerahmt, (Sch)

Provenienz:
Privatsammlung Italien / Wien, bis 1968 (als Unbekannter Meister);
Privatsammlung Wien, seit 1968.

Literatur:
Achim Gnann, Parmigianino - Die Zeichnungen, Petersberg 2007, Bd. 2, Appendix 1 (Abb.); Achim Gnann, “Neue Zuschreibungen an Parmigianino”, in: Kunst und Humanismus. Festschrift für Gosbert Schüßler zum 60. Geburtstag, Herausgegeben von W. Augustyn und E. Leuschner, Passau 2007, S., 247–260, S. 247 ff., Abb. 1.

Gutachten von Dr. Achim Gnann, 24. August 2021 (in Kopie) liegt vor.

Bei der vorliegenden Zeichnung mit einer Studie zur Madonna mit Kind und Heiligen handelt es sich um eine der seltenen, frühen Zeichnungen Parmigianinos, die der Künstler noch vor seiner Abreise nach Rom im Jahre 1524 geschaffen hat. Während sich aus dieser Zeit häufiger einzelne Figurenstudien finden, so dürfte es sich bei der vorliegenden Zeichnung um einen vollständigen Kompositionsentwurf handeln, der als Vorlage für ein Gemälde gedient haben dürfte. Stilistisch wird in dem Entwurf auch der große Einfluss Correggios deutlich, der vor allem in der frühen Phase für das Schaffen des jungen Künstlers prägend war. Die Gestalt Mariens mit ihrem zur Seite geneigtem Haupt, dem tief in die Stirn reichenden Schleier und dem gefühlvollen, leicht melancho­lischen Gesichtsausdruck lassen an Correggios Gemälde der Madonna Campori in Modena, der Muttergottes mit musizierenden Engeln in den Uffizien oder der Muttergottes mit Kind in Wien denken (David Ekserdjian, Correggio, Cinisello Balsamo, Mailand 1997, Abb. 62, 40, 55).

Zum Zeichenstil und der Datierung der vorliegenden Studie bemerkt Achim Gnann: „Charakteristisch für Parmigianino ist die Modellierung durch kräftige gekurvte Striche und die Umschreibung der Körper durch zusammenfassende, schwungvolle Umrisslinien, wie dies etwa auch in der frühen Muttergottes mit Kind und Heiligen in der Albertina (um 1519–1521) zu beobachten ist. Die äußerst lebendige und rhythmische Bewegtheit der Figuren, die trotz des Reichtums an Kontraposten immer Anmut und Grazie ausstrahlen, findet sich in Zeichnungen Parmigianinos wie einer nach rechts gewandten Frauengestalt im Metropolitan Museum oder einem ruhenden Hirten in Princeton (Arthur E. Popham, Catalogue of The Drawings of Parmigianino, New Haven und London 1971, Nr. 601, Plate 50, Nr. 295, Plate 10, Nr. 331, Plate 73). Wie auf diesen Zeichnungen finden sich in dem hier besprochenen Blatt der schwungvolle Umriss und breite Schraffuren, welche die Figuren untereinander und mit der Umgebung verbinden. Die im Hintergrund im oberen Bereich eingefügte Bildarchitektur, die durch Pfeiler, schmale Öffnungen und eine breite, die Muttergottes hervorhebende Mittelarkade gegliedert wird, findet sich ähnlich auf einem Entwurf in Paris für Parmigianinos Heilige Familie im Prado, sowie auf einer Zeichnung mit Christus unter den Schriftgelehrten in Oxford und der Vorzeichnung in Paris für die Beschneidung Christi in Detroit, die alle aus der Frühzeit des Künstlers stammen (Popham 1971, Nr. 396, Plate 14, Nr. 331, Plate 77, Nr. 369, Plate 5).“

Auch wenn der Entwurf nicht eindeutig einem ausgeführten Werk Parmigianinos zuzuordnen ist, so steht die Zeichnung in stilistischer Nähe zu den Studien für den sog. Bardi-Altar mit dem Gemälde der Mysthischen Vermählung der hl. Katharina in der Chiesa di Santa Maria di Bardi in Parma. In den Uffizien in Florenz befindet sich eine Gruppe von Zeichnungen, die Arthur Popham mit dem Bardi-Altar in Verbindung gebracht hatte und noch um 1524 datierte (Arthur E. Popham, Catalogue of the Drawings of Parmigianino, New Haven and London 1971, Nr. 69r, 69v, 70v, 76r, 76v). Anhand stilistischer Merkmale datiert Mary Vaccaro die Studien jedoch früher um 1521 (M. Vaccaro, in: Parmigianino. I disegni, hrsg. von S. Béguin, M. di Giampaolo, M. Vaccaro, Turin 2001, S. 61 ff., S. 67-68.) und ordnet auch die vorliegende Zeichnung zeitlich in diese Entstehungszeit ein. Auch Maria Cristina Chiusa datiert die Zeichnung in die frühe Schaffensperiode Parmigianinos um 1522-23 und weist zudem auf morphologische Ähnlichkeiten der Figuren mit dem Fresko der Hll. Stefan und Lorenzo in der zweiten linken Kapelle der Chiesa di San Giovanni Evangelista in Parma hin.

Im Inventar der Zeichnungen Parmigianinos von Cavaliere Bajardi finden sich mehrere thematisch vergleichbare Studien der Madonna mit Kind umgeben von Heiligen, Engeln und Putti, deren Beschreibung jedoch nicht eindeutig mit dem vorliegenden Entwurf in Verbindung zu bringen sind (vgl. Popham 1971, Bd. 1, Appendix 1, S. 266-267, Nr. 84, 86, 107; S. 268, Nr. 295; S. 269, Nr. 504–524). Bei der Aufschrift und den Nummern auf der Rückseite des Blattes dürfte es sich um einen alten Sammlervermerk handeln, die frühere Provenienz der Zeichnung lässt sich jedoch mangels Erwähnung in der älteren Literatur nur schwer zurückverfolgen. Die Wiederentdeckung des vormals anonymen Entwurfs und seine Identifizierung als Frühwerk von Parmigianino erfolgten erst 2007 mit der Ver­öffent­lichung der Zeichnung im Werkkatalog von Achim Gnann (A. Gnann, Parmigianino, Die Zeichnungen, 2 Bde., Petersberg 2007, Appendix 1). Die vorliegende Zeichnung stellt somit eine bedeutende Ergänzung zum graphischen Oeuvre Parmigianinos aus der frühen Schaffensperiode des Künstlers dar.

Wir danken Dr. Achim Gnann für die Bestätigung der Zuschreibung nach einer Begutachtung des Originals und die wissenschaftliche Unterstützung. Die Zuschreibung wurde zudem von Prof. Mary Vaccaro und Dr. Maria Cristina Chiusa anhand einer hochauflösenden digitalen Fotografie bestätigt.

Expertin: Mag. Astrid-Christina Schierz Mag. Astrid-Christina Schierz
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kundendienst@dorotheum.at

+43 1 515 60 200
Auktion: Meisterzeichnungen und Druckgraphik bis 1900, Aquarelle, Miniaturen
Auktionstyp: Online Auction
Datum: 19.10.2021 - 15:31
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 13.10. - 19.10.2021


** Kaufpreis inkl. Käufergebühr und Mehrwertsteuer

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