Lot Nr. 42


Jacopo Robusti, gen. Jacopo Tintoretto


Jacopo Robusti, gen. Jacopo Tintoretto - Alte Meister I

(Venedig 1518–1594)
Bildnis der Familie Da Mosto(?)-Costanzo mit Gott Vater,
bezeichnet mit Wappen oben rechts,
Öl auf Leinwand, 193 x 259 cm, gerahmt

Provenienz:
lt. Überlieferung im 19. Jahrhundert aus einem Haus in San Silvestro in Venedig durch den venezianischen Kunsthändler Francesco Pajaro oder Passaro erworben;
von diesem erworben durch George Augustus Frederick Cavendish-Bentinck, PC JP (1821–1891);
dessen Auktion, Christie, Manson & Woods, London, 11. Juni 1891, Lot 621 (als Tintoretto);
Sammlung J. Pierpont Morgan (1837–1913), New York/London;
Weitergabe im Erbgang;
Sammlung Mrs. Walter Hayes Burns (1844–1919), North Mymms Park, Hertfordshire;
Auktion, Christie, Manson & Woods, London, 26. Juni 1959, Lot 27;
Kunsthandel Salocchi, Florenz, März 1962;
Auktion, Finarte, Mailand, 15. Mai 1962, Lot 35 (als Jacopo Robusti, gen. Tintoretto);
Kunsthandel Gilberto Algranti, Mailand, 1969;
europäische Privatsammlung

Ausgestellt:
London, Royal Academy of Arts, Exhibition of the Works of the Old Masters, together with Works of Deceased Masters of the British School, 1872, S. 13, Nr. 107 (als Jacopo Rubusti, gen. Tintoretto)

Literatur:
H. Thode, Tintoretto. Mit 109 Abbildungen nach den Original-Gemälden, Bielefeld/Leipzig 1901, S. 80 (Zuschreibung an Jacopo Tintoretto „schwer möglich“);
Elogio dell’asta, in: Arte figurativa. Rivista internazionale di arte antica e moderna, antiquariato, arredamento, Bd. X, Nr. 57, Mai – Juni 1962, mit Abb. (Detail) auf S. 49 (als Jacopo Robusti, gen. Tintoretto);
S. Coradeschi, Una casa fatta per vivere con decoro. L’abitazione di Radames Nocentini (Sasso Marconi, Bologna), in: Arte figurativa. Rivista internazionale di arte antica e moderna, antiquariato, arredamento, Mailand, März 1965, Abb. S. 74, S. 71, 73–75 (als Tintoretto);
P. Rossi, R. Pallucchini, Jacopo Tintoretto. I ritratti, Venedig 1974, S. 132f., Abb. 123 (als Jacopo Tintoretto);
R. Pallucchini, Profilo del Tintoretto, in: R. Pallucchini, P. Rossi, Tintoretto. Le opere sacre e profane, Mailand 1982, Bd. I, S. 80 (als Jacopo Tintoretto);
G. M. Pilo, Postilla a Jacopo Tintoretto, in: Arte Documento, 5, 1991, S. 128, 130, 145, Anm. 112–116 (als Jacopo Tintoretto);
P. Rossi, I ritratti di Jacopo Tintoretto, in: Jacopo Tintoretto. Ritratti, Ausstellungskatalog, Mailand 1994, S. 28, mit Abb., S. 37, Anm. 61, 62 (als Jacopo Tintoretto);
W. R. Rearick, Reflections on Tintoretto as a Portraitist, in: Artibus et Historiae, 1995, Bd. 16, Nr. 31, S. 67, Anm. 28 (Domenico Tintoretto zugeschrieben);
S. J. Hansbauer, Das oberitalienische Familienporträt in der Kunst der Renaissance. Studien zu den Anfängen, zur Verbreitung und Bedeutung einer Bildgattung, Diss. ms., Würzburg 2004, Erwähnung auf S. 259, Anm. 547 (als Jacopo Tintoretto);
S. Marinelli, Tintoretto 2019, in: S. Marinelli (Hg.), Aldèbaran. Storia dell’Arte V, Verona 2019, S. 33–48, Abb. 6 (Zuschreibung an Jacopo Tintoretto zurückgewiesen);
E. Bordignon Favero, Jacopo Tintoretto. Sul ritratto di famiglia Costanzo, in: Arte Documento, 35, Venedig 2019, S. 66–69 (als Jacopo Tintoretto)

Wir danken Giorgio Fossaluzza für seine Hilfe bei der Recherche zu vorliegendem Werk und dessen Katalogisierung.

Dargestellt ist das Gruppenbildnis einer Familie mit einem eleganten Herrn, seiner Gemahlin und ihren zwei Söhnen. Sie stehen im „portego“ (einer Art Empfangshalle) ihres venezianischen Palastes. Im offenen Fenster im Hintergrund zeigt sich eine Vision Gottvaters, der in goldenen Wolken schwebend die Familie mit erhobenen Armen segnet.

Die Details des Innenraums spiegeln den hohen Rang der Porträtierten wider: die Sitzbank rechts an der Wand ist mit wertvollem venezianischem „Cordoba-Leder“ bezogen; die Wappen der Familie, in aufwendigen Sansovino-Rahmen sind von vergoldeten Wedeln kunstvoll eingefasst und mit Federhelmen bekrönt (das erste Wappenschild zeigt einen goldenen aufgerichteten Leoparden bzw. Dolce; das zweite sechs silberne menschliche Rippen mit Rutenbündeln auf azurblauem Grund unterhalb einer roten Linie und darüber einen angreifenden goldenen Löwen auf einem blauen Feld).

Besondere Aufmerksamkeit wurde den Gewändern geschenkt: Der Edelmann ist vornehm in gedeckten Farben, seine Frau und die Kinder verschwenderisch und auffällig bekleidet. Der Ehemann trägt ein geknöpftes schwarzes giuppone bzw. Wams, braghesse bzw. Kniehosen im Sevilla-Stil und von Strumpfbändern gehaltene schwarze Strümpfe. Über seinen Schultern hängt ein prächtiger gabano, ein Umhang, der an den Ärmeln mit Luchsfell verziert und damit auch gefüttert ist. Um die Taille hat er einen Gürtel mit einem Schwert gebunden. Die Frau trägt eine braune Samtrobe, verziert mit floraler Goldstickerei und Perlen; unter dem am Hals aufspringenden Mieder befindet sich ein Spitzenkragen, die Ärmelaufschläge entsprechen der „Brioni-Mode“. Das Kind in ihren Armen trägt ein giuppone color ormesino bzw. Wams aus leichter Ormuz-Seide mit Goldbesatz und Verschlüssen, Pelzkragen und goldbestickten Seidenärmeln. Das ältere Kind ist mit einem geknöpften goldbestickten Wams und Kniehosen im Sevilla-Stil mit braunen Strümpfen bekleidet.

Die Provenienz des Gemäldes ist teilweise gut dokumentiert. Es befand sich in der Sammlung von George Augustus Frederick Cavendish-Bentinck M. P. (1821–1891), dem einzigen Sohn von Lord Frederick William Cavendish-Bentinck, dem vierten Sohn des 3. Herzogs von Portland. In seinem Testament gab Cavendish-Bentinck Instruktionen seine umfangreiche Kunstsammlung betreffend, die im Juni 1891 versteigert wurde. Die italienischen Gemälde der Sammlung und insbesondere jene der Venezianischen Schule stammten von führenden Meistern, darunter Tizian, Veronese, Bordone, Tiepolo, Canaletto und Longhi; dazu verzeichnete der Auktionskatalog nicht weniger als dreizehn Werke Tintorettos. Viele dieser Bilder befinden sich heute in bedeutenden öffentlichen Sammlungen in Europa und den Vereinigten Staaten.

Das vorliegende Bild wurde im Auktionskatalog als Vornehmer Venezianer mit einer Dame, einem Kind und einem Pagen gelistet und 1891 um die Summe von 168.000 Pfund bei Christie, Manson & Woods verkauft (siehe Provenienz). Der Katalog führt aus, dass das Werk laut Angaben des Kunsthändlers Pajaro aus einem Haus in San Silvestro in Venedig erworben worden war. Cavendish-Bentinck war häufiger Gast in Venedig und hatte dort über Vermittlung ihm bekannter lokaler Händler direkten Zugang zu privaten Sammlungen. So ist bekannt, dass ihm der Antiquar Francesco Pajaro den Bestand an Gemälden und Antiquitäten im Palazzo Sanudi ai Tolentini vorstellte (J. Lecompte, Venise, ou Coup-d’oeil littéraire, artistique, historique, poétique et pittoresque, sur le monuments et le curiosités de cette cité, Paris 1844, S. 620). Es ist jedoch nicht gelungen, die Familie der Pfarrgemeinde San Silvestro a Rialto, die das Bild davor besessen hatte, zu identifizieren oder gar ein genaues Ankaufsdatum zu eruieren. Im Katalog von Christie’s aus dem Jahr 1891 wird erwähnt, dass das Bild Teil der Winterausstellung der Royal Academy von 1872 war (Exhibition of the Old Masters, together with Works of Deceased Masters of the British School, 3. Jahr, London 1872, S. 13, Nr. 107). Man kann daher annehmen, dass es davor in Venedig angekauft worden war.

Jüngere Forschungen zu dem Werk scheinen die oben ausgeführten Erkenntnisse außer Acht gelassen zu haben und berufen sich auf die Publikation zu diesem Gemälde von Henry Thode (siehe Literatur). Thode unterschied in seiner Untersuchung der Gruppenbildnisse Tintorettos eigenhändige Werke von solchen mit einer unsicheren Autorenschaft, wobei das Cavendish-Bentinck-Gemälde in die zuletzt genannte Kategorie fiel. Thode identifizierte eines der beiden Wappen als jenes der Familie Costanzo.

Nach 1901 ist das Bild in der Sammlung von Mrs. Walter Hayes Burns (1844–1919), North Mymms Park, Hertfordshire, dokumentiert. Mrs. Burns war als geborene Mary Lyman Morgan die Schwester von J. Pierpont Morgan. Das Bild wird im 1959 veröffentlichten Auktionskatalog der Sammlung erwähnt (siehe Provenienz). Bestätigt wird dies durch eine Notiz von Roberto Longhi auf der Rückseite einer Fotografie des Gemäldes (Florenz, Fondazione Roberto Longhi, Fotothek-Nr. 0830296), die von Paolo Benassai entdeckt und auf der hinzugefügt wurde, dass sich das Bild 1962 bei dem Kunsthändler Giovanni Salocchi in Florenz befunden hatte („Salocchi: März 1962 / Tintoretto / um 1570“).

Danach tauchte das Bild 1962 in einer Auktion bei Finarte in Mailand als Ritratto di famiglia [Familienporträt] auf, wo es als „temporär eingeführtes“ Werk geführt wurde (es wurde irrtümlich auch mit einem Bild identifiziert, das bei Finarte am 24. November 1965 als Lot 19 versteigert wurde; siehe in der Literatur P. Rossi 1974, S. 132).

Anlässlich der Auktion würdigte der Kunsthistoriker Roberto Longhi die stilistische Bedeutung des Gemäldes in einem mit 20. März 1962 datierten Gutachten; seine Analyse wurde im betreffenden Katalog zusammengefasst (Longhis originaler Text ist abgedruckt in: S. Coradeschi, Una casa fatta per vivere con decoro. L’abitazione di Radames Nocentini [Sasso Marconi, Bologna], in: Arte figurativa, März 1965, S. 74; E. Bordignon Favero, Jacopo Tintoretto. Sul ritratto di famiglia Costanzo, in: Arte Documento, 35, 2019, S. 67, Abb. 2). Im Katalog schlug Longhi für das Gemälde eine Datierung zwischen 1570 und 1575 vor; in einer eigenhändigen Bezeichnung auf der Rückseite des Gemäldes datierte er es zwischen 1560 und 1575.

Roberto Longhi war für seine Skepsis gegenüber angeblich von der Hand Tintorettos stammenden Werken bekannt. Zu dem vorliegenden Gemälde äußerte er sich jedoch ungewöhnlich positiv und bot eine Deutung der Darstellung an: Demnach wurde das Bild in Auftrag gegeben, um an die göttliche Gnade der glücklichen Genesung zu erinnern, die der junge Knabe erfahren hatte, den die Mutter ihrem Ehemann reicht [„commissionato all’artista a ricordo della felice guarigione, per grazia divina, del figlioletto che la consorte porge al marito“]. Bei derselben Gelegenheit hob Longhi die Wappen hervor, welche Experten der venezianischen Heraldik den Familien Da Mosto und Costanzo zugeordnet haben.

Paola Rossi (siehe P. Rossi, Jacopo Tintoretto, Bd. I, Venedig 1974, S. 132f., Abb. 123) hat das Gemälde als eigenhändig katalogisiert. Sie datiert es zwischen 1555 und 1565. Dies bestätigt Pallucchini (siehe Literatur), der das Gemälde als „ein spektakuläres Beispiel eines Familienporträts“ [„un esempio spettacolare di ritratto di famiglia“] beschreibt, das im Sinne Longhis interpretiert werden sollte. Das Gemälde ist als Votivporträt zu betrachten, das aus Dankbarkeit für eine erwiesene Gnade entstanden ist. Auf ihm „greift der göttliche Wille in Gestalt grellen Lichts in die mit prosaischer Normalität zum Ausdruck gebrachte Wirklichkeit des Alltags ein“ [„nella realtà quotidiana, formulata con tanta prosaica naturalezza, s’inserisce la volontà divina, sentita nella violenza della luce“].

Die Identifizierung der dargestellten Protagonisten in diesem höchst ungewöhnlichen Werk ist von größtem Interesse. Trotz ausführlicher Forschungen ist es noch nicht gelungen, zu einem definitiven Schluss zu gelangen. Giuseppe Maria Pilo (siehe Literatur), der das Bild in das Jahr 1550 datiert, hält fest, dass die genealogischen Stammbäume venezianischer Familien, die von Experten zu unterschiedlichen Zeitpunkten erstellt worden waren, keinerlei Verehelichung zwischen den Familien Da Mosto und Costanzo erwähnen. Auch Elia Bordignon Favero (siehe Literatur) ist in einer jüngeren Studie zu keinem endgültigen Ergebnis bekomme und hat bloß erwogen, dass es sich bei der Dargestellten um eine der beiden Töchter von Scipio Costanzo (dem Neffen von Tuzio Costanzo, der das Altarbild Giorgiones in Castelfranco in Auftrag gab) handeln könnte.

Das Fehlen urkundlicher Hinweise für eine Verbindung zwischen den beiden Familien bestätigt sich auch durch die neuerliche Durchforstung genealogischer Verzeichnisse von Barbaro-Tasca und Cappellari Vivaro. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Familie Da Mosto im Libro d’oro venezianischer Patrizier unter den sogenannten „Case nuove“ (neue Familien) erwähnt wird. Die Familie Costanzo hingegen gehörte zum Adel und wurde daher von Cappellari Vivaro unter die venezianischen Patrizierfamilien gereiht (siehe G. A. Capellari Vivaro, Campidoglio Veneto, Venedig, Biblioteca Nazionale Marciana, ms. It. VII, 17 [8306], sec. XVIII, Bd. I, fol. 346v), darunter einige Mitglieder des betreffenden Zeitraums, die ein paar Jahre darauf auch im Verzeichnis Tassinis aufscheinen (siehe G. Tassini, Cittadini veneziani, famiglie cittadine originarie dalla C alla F, Venedig, Biblioteca del Museo Correr, ms. P.D. c 4/2, sec. XIX, f. 125). Zu betonen ist, dass es hinsichtlich des Wappens der Costanzo keinerlei Zweifel gibt. Zudem ist zu beachten, dass Cappellari Vivaro (siehe G. A. Capellari Vivaro, ebd., Bd. III, fol. 143r–146r) bei der Erstellung der Stammbäume der Familie Da Mosto ausführt, dass Zaccaria di Marco „der erste war, der das alte Familienwappen verändert hat. Tatsächlich ist das erste und älteste Wappenemblem […] in vier goldene und azurblaue Felder unterteilt, das zweitälteste zeigte eine golden und azurblau geschachte aufrechte Dolcefigur in einem silbernen Feld, an deren Stelle bisweilen ein Leopard trat“ [„il primo che alterò l’arme antica della famiglia. Infatti la prima e più antica (…) è quadripartita d’oro e d’azzurro, la seconda fu in campo d’argento una Dolce rampante, scacchiato d’oro e d’azzurro, che a volte fu un leopardo“] und wie sie auch im Wappen des vorliegenden Gemäldes erscheint. Es ist allerdings festzuhalten, dass das aufrechte Wappentier („dolce rampante“), der mythische Panther in seinen zahlreichen Varianten, nicht nur das Wappenemblem der Familie Da Mosto war, sondern auch das vieler anderer venezianischer Patrizierfamilien.

Weiterführende und sorgfältigere archivalische Recherchen könnten, obwohl die Familie Da Mosto zahlreiche Mitglieder umfasst, möglicherweise zur Identifizierung jener Person führen, die mit einer Adeligen aus dem Haus Costanzo verheiratet war.

Das Emblem der Dolcefigur bzw. des heraldischen Panthers erscheint auch im Wappen der Paduaner Familie Papafeva, zu dem allerdings normalerweise auch ein Wagen als Symbol der Cararresi gehört. Man muss festhalten, dass Scipios Tochter Isabella Costanzo 1564 Guidantonio Onigo heiratete, mit dem sie den gemeinsamen Sohn Lionello hatte (siehe Codice Costanzo [Liber instrumentorum Clariss[imi] Equitis Dn. Tutii de Constantio], Venedig, Archivio di Stato, Miscellanea Codici II, Diversi n. 1, ms. sec. XV–XVI., c. 95v; siehe E. Bordignion Favero 2019, S. 67, 69, Anm. 10, 11). Nach dem Tod ihres Mannes heiratete sie Roberto Papafava fu Marsilio. Aus dieser zweiten Ehe ging 1575 der Sohn Scipio hervor. Auf den ersten Blick könnten diese familiären Umstände auf die im vorliegenden Bild dargestellte Figurengruppe zutreffen. Ein Argument jedoch, das gegen diese sich anbietende Lösung spricht, ist die Tatsache, dass Roberto Papafava im Jahr 1575 erst 25 Jahre alt war und es daher unwahrscheinlich ist, dass er der im Bild porträtierte, offensichtlich reife Ehemann mittleren Alters ist.

Eine zweite gänzlich hypothetische Möglichkeit hinsichtlich der Identität der Familie tut sich auf, wenn man das Kind im Zentrum des Bildes mit Bonifazio identifiziert, dem 1588 geborenen Sohn des Paares, der das berühmteste Mitglied der Familie werden sollte. Das Alter des Vaters im Bild würde mit dieser Lösung gut korrelieren; es fehlen jedoch, wie bereits erwähnt, die notwendigen urkundlichen Aufzeichnungen, um zu Ergebnissen zu gelangen, die diese Argumentation stützen könnten.

Im Zuge der zurzeit stattfindenden Überarbeitung des Werkverzeichnisses Tintorettos (siehe R. Echols, F. Ilchman, Toward a New Tintoretto Catalogue, with a Checklist of Revised Attributions and a New Chronology, in: Jacopo Tintoretto. Actas del Congreso Internacional Jacopo Tintoretto, Berichte zum Symposium Jacopo Tintoretto, Madrid, Museo del Prado, 26. und 27. Februar 2007, Madrid 2009, S. 91–150), schreibt Rearick das vorliegende Gemälde Domenico Tintoretto zu und verschiebt die oben genannte Datierung in die Zeit um 1592–1594 (siehe Literatur). Neuerdings wird die Eigenhändigkeit des Bildes, dessen Aufbewahrungsort als unbekannt angegeben wurde, von Sergio Marinelli, der Longhi für die falsche Zuschreibung verantwortlich macht, abgelehnt (siehe Literatur).

Allerdings ist zu berücksichtigen, dass das Gemälde bis dato während vieler Jahre des Zweifels diskutiert wurde, ohne dass es zugänglich war, auf der Grundlange von qualitativ oft minderwertigen Fotografien. Sein Wiederauftauchen erlaubt nun eine Neubewertung mit Hilfe von technischen Untersuchungen, durchgeführt von Gianluca Poldi.

Zudem ist erwähnenswert, dass das Motiv des Fensters, so wie es in der Komposition zu sehen ist, auf ungefähr 30 Porträts Tintorettos wiederkehrt. Das Vohandensein einer Landschaft oder eines Hafens oder eines Ereignisses wie beispielsweise einer Schlacht, die man durch ein Fenster erblickt, wurde als Gedenkmotiv oder als ein Festhalten eines Ereignisses im Leben einer Persönlichkeit gedeutet (siehe J. Koering, La Fiction du portrait. Patriciens et patriciennes en réprésentation, in: Titien, Tintoret, Véronèse: rivalités à Venise, 1540–1600, Ausstellungskatalog, Paris 2009, S. 172–177). Die Einbeziehung Gottvaters im vorliegenden Bild spricht offenbar für den Wunsch, der empfundenen Dankbarkeit für die Gnade, die das Kind des Paares erfahren hat, Ausdruck zu verleihen. Dieser sich in der vorliegenden Komposition manifestierende Wunsch wird damit öffentlich gemacht.

Die Größe des Gemäldes und der Umstand, dass es sich um ein Gruppenbildnis im häuslichen Ambiente handelt, lässt annehmen, dass das Bild für ein privates Umfeld als Votivbild gedacht war, aber auch dem Repräsentationsbedürfnis der Familie gerecht werden sollte. Indem das Gemälde eine sakrale Erscheinung in eine prosaische, häusliche Umgebung bringt, hat Tintoretto einen Kunstgriff angewendet, der normalerweise offiziellen Porträts vorbehalten war, wo die Autorität eines Dogen, Richters oder dergleichen durch die Anwesenheit einer Heiligenfigur bestätigt werden sollte.

Das vorliegende Gemälde kann mit der Madonna mit Kind, dem Dogen Alvise Mocenigo, der Dogaressa Loredana und ihrer Familie in der National Gallery of Art in Washington und mit der Madonna mit Kind, einem heiligen Bischof und dem heiligen Laurentius als Erscheinung einer Kindergruppe in der National Gallery of Scotland in Edinburgh, wo die Mitarbeit der Werkstatt deutlicher zum Ausdruck, verglichen werden. Im zuletzt genannten Bild zeigen sich Gemeinsamkeiten hinsichtlich des Gewandes des weiblichen Mitglieds der Familie Costanzo und der Darstellung der Kinder; ein brauchbarer Vergleich für die Darstellung des Gemahls, identifiziert als Mitglied der Familie Da Mosto (doch möglicherweise Papafava) findet sich in mehreren Porträts des Dogen Mocenigo, der sein Amt von 1570 bis 1577 innehatte, darunter ein Bild in der Galleria dell’Accademia in Venedig. Zudem mag ein ganzfiguriges Porträt des Dogen Sebastiano Venier (siehe W. R. Rearick 1995, S. 62) mit Pagen in einer Privatsammlung ebenfalls als Vergleich dienen.

Das Porträt des Battista Morosini in den Gallerie dell’Accademia in Venedig, das Porträt eines alten Mannes in der Collezioni Comunali d’Arte in Bologna und das Porträt eines vornehmen Herrn im Alter von 60 Jahren in der Pinacoteca Tosio Martinengo in Brescia (siehe P. Rossi 1994, Kat.-Nr. 36; siehe P. Rossi 1974, Abb. 171, 172; siehe G. Fossaluzza, in: Pinacoteca Tosio Martinengo, catalogo delle opere, secoli XII–XVI, hg. von M. Bona Castellotti, E. Lucchesi Ragni, R. D’Adda, Venedig 2014, S. 403f., Kat.-Nr. 229) sind weitere mit dem vorliegenden Bild vergleichbare Gemälde.

Es wurde erwogen, dass die Datierung in die Zeit zwischen 1570 und 1575, die Roberto Longhi vertreten hat, am wahrscheinlichsten ist. Es handelt sich um jene Phase in Tintorettos Schaffen, wo man von einer Mitarbeit der Werkstatt ausgehen kann. Nach allem Gesagten ist die Zuschreibung des vorliegenden Gmäldes an Jacopo Tintoretto auch dann erneut zu bekräftigen, wenn man berücksichtigt, dass in seiner späteren Laufbahn die Werkstattunterstützung eine Rolle bei der Ausführung seiner Werke gespielt haben mag. Die Qualität des Werkes ist zweifellos gegeben und die Komposition höchst ungewöhnlich. Das Bild ist im Oeuvre von Tintorettos Porträtschaffen als „experimentell“ anzusehen, wie Longhi und Pallucchini bemerkt haben.

Technische Analyse von Gianluca Poldi:

Mittels Infrarotreflektografie gemachte Aufnahmen zeigen entlang der Umrisse mancher Figuren Spuren einer mit dem Pinsel ausgeführten Unterzeichnung. Der Page rechts wurde über den Boden und die vorher skizzierte Ablage bzw. Sitzbank entlang der Wand im Hintergrund sowie über das Kleid der Frau gemalt.

Die Hinzufügung von Figuren auf bereits angelegten oder gar fertig gemalten Fußböden und Hintergründen in einem Gemälde ist ein besonders Merkmal von Tintorettos Arbeitsweise, das bei einigen seiner Werke zum Vorschein kam. Im vorliegenden Fall entschloss sich der Künstler, nachdem er das Format der Leinwand gewählt und die Komposition begonnen hatte, den Knaben rechts an einer Stelle zu ergänzen, wo sich ursprünglich nur der Teppich und die Wappen befanden.

Die Pigmente, die in einem nicht invasiven Verfahren unter dem optischen Mikroskop und mittels Reflexionsspektrometrie (VIS-RS) untersucht wurden, zeigen über einer braunen Farbschicht das Vorhandensein von Indigo im dunkelblauen Bereich des rechten oberen Wappenschilds. Die mit Pflanzenmotiven geschmückte Tapisserie beinhaltet möglicherweise Grünspan, der sich mit der Zeit zu Braun verfärbt hat. Ein ähnliches Problem der Farbveränderung, die bei Tintorettos Werken nicht selten vorkommt, muss im Mantel von Gottvater aufgetreten sein, in welchem unter dem Mikroskop seltene grüne Farbkörner entdeckt wurde.

Der rosa Mantel Gottvaters und das Mäntelchen des Kindes in den Armen der Mutter wurden mit karminbasiertem und mit Bleiweiß vermischtem Rotlack lasierend aufgetragen. Für die Strümpfe des Kleinkindes fand Zinnoberrot Verwendung.

Der braune Samt des prächtigen Gewandes der Frau wie auch der Jacke des Pagen im Bild ganz rechts besteht in einem organischen Braun, welches aus der Veränderung eines rotbraunen Farbstoffes herrühren könnte.

Die Infrarotreflektografie offenbart die reiche Verzierung der Tapisserie an der Wand und weitere Details.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403

old.masters@dorotheum.com

10.11.2021 - 16:00

Erzielter Preis: **
EUR 415.500,-
Schätzwert:
EUR 250.000,- bis EUR 300.000,-

Jacopo Robusti, gen. Jacopo Tintoretto


(Venedig 1518–1594)
Bildnis der Familie Da Mosto(?)-Costanzo mit Gott Vater,
bezeichnet mit Wappen oben rechts,
Öl auf Leinwand, 193 x 259 cm, gerahmt

Provenienz:
lt. Überlieferung im 19. Jahrhundert aus einem Haus in San Silvestro in Venedig durch den venezianischen Kunsthändler Francesco Pajaro oder Passaro erworben;
von diesem erworben durch George Augustus Frederick Cavendish-Bentinck, PC JP (1821–1891);
dessen Auktion, Christie, Manson & Woods, London, 11. Juni 1891, Lot 621 (als Tintoretto);
Sammlung J. Pierpont Morgan (1837–1913), New York/London;
Weitergabe im Erbgang;
Sammlung Mrs. Walter Hayes Burns (1844–1919), North Mymms Park, Hertfordshire;
Auktion, Christie, Manson & Woods, London, 26. Juni 1959, Lot 27;
Kunsthandel Salocchi, Florenz, März 1962;
Auktion, Finarte, Mailand, 15. Mai 1962, Lot 35 (als Jacopo Robusti, gen. Tintoretto);
Kunsthandel Gilberto Algranti, Mailand, 1969;
europäische Privatsammlung

Ausgestellt:
London, Royal Academy of Arts, Exhibition of the Works of the Old Masters, together with Works of Deceased Masters of the British School, 1872, S. 13, Nr. 107 (als Jacopo Rubusti, gen. Tintoretto)

Literatur:
H. Thode, Tintoretto. Mit 109 Abbildungen nach den Original-Gemälden, Bielefeld/Leipzig 1901, S. 80 (Zuschreibung an Jacopo Tintoretto „schwer möglich“);
Elogio dell’asta, in: Arte figurativa. Rivista internazionale di arte antica e moderna, antiquariato, arredamento, Bd. X, Nr. 57, Mai – Juni 1962, mit Abb. (Detail) auf S. 49 (als Jacopo Robusti, gen. Tintoretto);
S. Coradeschi, Una casa fatta per vivere con decoro. L’abitazione di Radames Nocentini (Sasso Marconi, Bologna), in: Arte figurativa. Rivista internazionale di arte antica e moderna, antiquariato, arredamento, Mailand, März 1965, Abb. S. 74, S. 71, 73–75 (als Tintoretto);
P. Rossi, R. Pallucchini, Jacopo Tintoretto. I ritratti, Venedig 1974, S. 132f., Abb. 123 (als Jacopo Tintoretto);
R. Pallucchini, Profilo del Tintoretto, in: R. Pallucchini, P. Rossi, Tintoretto. Le opere sacre e profane, Mailand 1982, Bd. I, S. 80 (als Jacopo Tintoretto);
G. M. Pilo, Postilla a Jacopo Tintoretto, in: Arte Documento, 5, 1991, S. 128, 130, 145, Anm. 112–116 (als Jacopo Tintoretto);
P. Rossi, I ritratti di Jacopo Tintoretto, in: Jacopo Tintoretto. Ritratti, Ausstellungskatalog, Mailand 1994, S. 28, mit Abb., S. 37, Anm. 61, 62 (als Jacopo Tintoretto);
W. R. Rearick, Reflections on Tintoretto as a Portraitist, in: Artibus et Historiae, 1995, Bd. 16, Nr. 31, S. 67, Anm. 28 (Domenico Tintoretto zugeschrieben);
S. J. Hansbauer, Das oberitalienische Familienporträt in der Kunst der Renaissance. Studien zu den Anfängen, zur Verbreitung und Bedeutung einer Bildgattung, Diss. ms., Würzburg 2004, Erwähnung auf S. 259, Anm. 547 (als Jacopo Tintoretto);
S. Marinelli, Tintoretto 2019, in: S. Marinelli (Hg.), Aldèbaran. Storia dell’Arte V, Verona 2019, S. 33–48, Abb. 6 (Zuschreibung an Jacopo Tintoretto zurückgewiesen);
E. Bordignon Favero, Jacopo Tintoretto. Sul ritratto di famiglia Costanzo, in: Arte Documento, 35, Venedig 2019, S. 66–69 (als Jacopo Tintoretto)

Wir danken Giorgio Fossaluzza für seine Hilfe bei der Recherche zu vorliegendem Werk und dessen Katalogisierung.

Dargestellt ist das Gruppenbildnis einer Familie mit einem eleganten Herrn, seiner Gemahlin und ihren zwei Söhnen. Sie stehen im „portego“ (einer Art Empfangshalle) ihres venezianischen Palastes. Im offenen Fenster im Hintergrund zeigt sich eine Vision Gottvaters, der in goldenen Wolken schwebend die Familie mit erhobenen Armen segnet.

Die Details des Innenraums spiegeln den hohen Rang der Porträtierten wider: die Sitzbank rechts an der Wand ist mit wertvollem venezianischem „Cordoba-Leder“ bezogen; die Wappen der Familie, in aufwendigen Sansovino-Rahmen sind von vergoldeten Wedeln kunstvoll eingefasst und mit Federhelmen bekrönt (das erste Wappenschild zeigt einen goldenen aufgerichteten Leoparden bzw. Dolce; das zweite sechs silberne menschliche Rippen mit Rutenbündeln auf azurblauem Grund unterhalb einer roten Linie und darüber einen angreifenden goldenen Löwen auf einem blauen Feld).

Besondere Aufmerksamkeit wurde den Gewändern geschenkt: Der Edelmann ist vornehm in gedeckten Farben, seine Frau und die Kinder verschwenderisch und auffällig bekleidet. Der Ehemann trägt ein geknöpftes schwarzes giuppone bzw. Wams, braghesse bzw. Kniehosen im Sevilla-Stil und von Strumpfbändern gehaltene schwarze Strümpfe. Über seinen Schultern hängt ein prächtiger gabano, ein Umhang, der an den Ärmeln mit Luchsfell verziert und damit auch gefüttert ist. Um die Taille hat er einen Gürtel mit einem Schwert gebunden. Die Frau trägt eine braune Samtrobe, verziert mit floraler Goldstickerei und Perlen; unter dem am Hals aufspringenden Mieder befindet sich ein Spitzenkragen, die Ärmelaufschläge entsprechen der „Brioni-Mode“. Das Kind in ihren Armen trägt ein giuppone color ormesino bzw. Wams aus leichter Ormuz-Seide mit Goldbesatz und Verschlüssen, Pelzkragen und goldbestickten Seidenärmeln. Das ältere Kind ist mit einem geknöpften goldbestickten Wams und Kniehosen im Sevilla-Stil mit braunen Strümpfen bekleidet.

Die Provenienz des Gemäldes ist teilweise gut dokumentiert. Es befand sich in der Sammlung von George Augustus Frederick Cavendish-Bentinck M. P. (1821–1891), dem einzigen Sohn von Lord Frederick William Cavendish-Bentinck, dem vierten Sohn des 3. Herzogs von Portland. In seinem Testament gab Cavendish-Bentinck Instruktionen seine umfangreiche Kunstsammlung betreffend, die im Juni 1891 versteigert wurde. Die italienischen Gemälde der Sammlung und insbesondere jene der Venezianischen Schule stammten von führenden Meistern, darunter Tizian, Veronese, Bordone, Tiepolo, Canaletto und Longhi; dazu verzeichnete der Auktionskatalog nicht weniger als dreizehn Werke Tintorettos. Viele dieser Bilder befinden sich heute in bedeutenden öffentlichen Sammlungen in Europa und den Vereinigten Staaten.

Das vorliegende Bild wurde im Auktionskatalog als Vornehmer Venezianer mit einer Dame, einem Kind und einem Pagen gelistet und 1891 um die Summe von 168.000 Pfund bei Christie, Manson & Woods verkauft (siehe Provenienz). Der Katalog führt aus, dass das Werk laut Angaben des Kunsthändlers Pajaro aus einem Haus in San Silvestro in Venedig erworben worden war. Cavendish-Bentinck war häufiger Gast in Venedig und hatte dort über Vermittlung ihm bekannter lokaler Händler direkten Zugang zu privaten Sammlungen. So ist bekannt, dass ihm der Antiquar Francesco Pajaro den Bestand an Gemälden und Antiquitäten im Palazzo Sanudi ai Tolentini vorstellte (J. Lecompte, Venise, ou Coup-d’oeil littéraire, artistique, historique, poétique et pittoresque, sur le monuments et le curiosités de cette cité, Paris 1844, S. 620). Es ist jedoch nicht gelungen, die Familie der Pfarrgemeinde San Silvestro a Rialto, die das Bild davor besessen hatte, zu identifizieren oder gar ein genaues Ankaufsdatum zu eruieren. Im Katalog von Christie’s aus dem Jahr 1891 wird erwähnt, dass das Bild Teil der Winterausstellung der Royal Academy von 1872 war (Exhibition of the Old Masters, together with Works of Deceased Masters of the British School, 3. Jahr, London 1872, S. 13, Nr. 107). Man kann daher annehmen, dass es davor in Venedig angekauft worden war.

Jüngere Forschungen zu dem Werk scheinen die oben ausgeführten Erkenntnisse außer Acht gelassen zu haben und berufen sich auf die Publikation zu diesem Gemälde von Henry Thode (siehe Literatur). Thode unterschied in seiner Untersuchung der Gruppenbildnisse Tintorettos eigenhändige Werke von solchen mit einer unsicheren Autorenschaft, wobei das Cavendish-Bentinck-Gemälde in die zuletzt genannte Kategorie fiel. Thode identifizierte eines der beiden Wappen als jenes der Familie Costanzo.

Nach 1901 ist das Bild in der Sammlung von Mrs. Walter Hayes Burns (1844–1919), North Mymms Park, Hertfordshire, dokumentiert. Mrs. Burns war als geborene Mary Lyman Morgan die Schwester von J. Pierpont Morgan. Das Bild wird im 1959 veröffentlichten Auktionskatalog der Sammlung erwähnt (siehe Provenienz). Bestätigt wird dies durch eine Notiz von Roberto Longhi auf der Rückseite einer Fotografie des Gemäldes (Florenz, Fondazione Roberto Longhi, Fotothek-Nr. 0830296), die von Paolo Benassai entdeckt und auf der hinzugefügt wurde, dass sich das Bild 1962 bei dem Kunsthändler Giovanni Salocchi in Florenz befunden hatte („Salocchi: März 1962 / Tintoretto / um 1570“).

Danach tauchte das Bild 1962 in einer Auktion bei Finarte in Mailand als Ritratto di famiglia [Familienporträt] auf, wo es als „temporär eingeführtes“ Werk geführt wurde (es wurde irrtümlich auch mit einem Bild identifiziert, das bei Finarte am 24. November 1965 als Lot 19 versteigert wurde; siehe in der Literatur P. Rossi 1974, S. 132).

Anlässlich der Auktion würdigte der Kunsthistoriker Roberto Longhi die stilistische Bedeutung des Gemäldes in einem mit 20. März 1962 datierten Gutachten; seine Analyse wurde im betreffenden Katalog zusammengefasst (Longhis originaler Text ist abgedruckt in: S. Coradeschi, Una casa fatta per vivere con decoro. L’abitazione di Radames Nocentini [Sasso Marconi, Bologna], in: Arte figurativa, März 1965, S. 74; E. Bordignon Favero, Jacopo Tintoretto. Sul ritratto di famiglia Costanzo, in: Arte Documento, 35, 2019, S. 67, Abb. 2). Im Katalog schlug Longhi für das Gemälde eine Datierung zwischen 1570 und 1575 vor; in einer eigenhändigen Bezeichnung auf der Rückseite des Gemäldes datierte er es zwischen 1560 und 1575.

Roberto Longhi war für seine Skepsis gegenüber angeblich von der Hand Tintorettos stammenden Werken bekannt. Zu dem vorliegenden Gemälde äußerte er sich jedoch ungewöhnlich positiv und bot eine Deutung der Darstellung an: Demnach wurde das Bild in Auftrag gegeben, um an die göttliche Gnade der glücklichen Genesung zu erinnern, die der junge Knabe erfahren hatte, den die Mutter ihrem Ehemann reicht [„commissionato all’artista a ricordo della felice guarigione, per grazia divina, del figlioletto che la consorte porge al marito“]. Bei derselben Gelegenheit hob Longhi die Wappen hervor, welche Experten der venezianischen Heraldik den Familien Da Mosto und Costanzo zugeordnet haben.

Paola Rossi (siehe P. Rossi, Jacopo Tintoretto, Bd. I, Venedig 1974, S. 132f., Abb. 123) hat das Gemälde als eigenhändig katalogisiert. Sie datiert es zwischen 1555 und 1565. Dies bestätigt Pallucchini (siehe Literatur), der das Gemälde als „ein spektakuläres Beispiel eines Familienporträts“ [„un esempio spettacolare di ritratto di famiglia“] beschreibt, das im Sinne Longhis interpretiert werden sollte. Das Gemälde ist als Votivporträt zu betrachten, das aus Dankbarkeit für eine erwiesene Gnade entstanden ist. Auf ihm „greift der göttliche Wille in Gestalt grellen Lichts in die mit prosaischer Normalität zum Ausdruck gebrachte Wirklichkeit des Alltags ein“ [„nella realtà quotidiana, formulata con tanta prosaica naturalezza, s’inserisce la volontà divina, sentita nella violenza della luce“].

Die Identifizierung der dargestellten Protagonisten in diesem höchst ungewöhnlichen Werk ist von größtem Interesse. Trotz ausführlicher Forschungen ist es noch nicht gelungen, zu einem definitiven Schluss zu gelangen. Giuseppe Maria Pilo (siehe Literatur), der das Bild in das Jahr 1550 datiert, hält fest, dass die genealogischen Stammbäume venezianischer Familien, die von Experten zu unterschiedlichen Zeitpunkten erstellt worden waren, keinerlei Verehelichung zwischen den Familien Da Mosto und Costanzo erwähnen. Auch Elia Bordignon Favero (siehe Literatur) ist in einer jüngeren Studie zu keinem endgültigen Ergebnis bekomme und hat bloß erwogen, dass es sich bei der Dargestellten um eine der beiden Töchter von Scipio Costanzo (dem Neffen von Tuzio Costanzo, der das Altarbild Giorgiones in Castelfranco in Auftrag gab) handeln könnte.

Das Fehlen urkundlicher Hinweise für eine Verbindung zwischen den beiden Familien bestätigt sich auch durch die neuerliche Durchforstung genealogischer Verzeichnisse von Barbaro-Tasca und Cappellari Vivaro. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Familie Da Mosto im Libro d’oro venezianischer Patrizier unter den sogenannten „Case nuove“ (neue Familien) erwähnt wird. Die Familie Costanzo hingegen gehörte zum Adel und wurde daher von Cappellari Vivaro unter die venezianischen Patrizierfamilien gereiht (siehe G. A. Capellari Vivaro, Campidoglio Veneto, Venedig, Biblioteca Nazionale Marciana, ms. It. VII, 17 [8306], sec. XVIII, Bd. I, fol. 346v), darunter einige Mitglieder des betreffenden Zeitraums, die ein paar Jahre darauf auch im Verzeichnis Tassinis aufscheinen (siehe G. Tassini, Cittadini veneziani, famiglie cittadine originarie dalla C alla F, Venedig, Biblioteca del Museo Correr, ms. P.D. c 4/2, sec. XIX, f. 125). Zu betonen ist, dass es hinsichtlich des Wappens der Costanzo keinerlei Zweifel gibt. Zudem ist zu beachten, dass Cappellari Vivaro (siehe G. A. Capellari Vivaro, ebd., Bd. III, fol. 143r–146r) bei der Erstellung der Stammbäume der Familie Da Mosto ausführt, dass Zaccaria di Marco „der erste war, der das alte Familienwappen verändert hat. Tatsächlich ist das erste und älteste Wappenemblem […] in vier goldene und azurblaue Felder unterteilt, das zweitälteste zeigte eine golden und azurblau geschachte aufrechte Dolcefigur in einem silbernen Feld, an deren Stelle bisweilen ein Leopard trat“ [„il primo che alterò l’arme antica della famiglia. Infatti la prima e più antica (…) è quadripartita d’oro e d’azzurro, la seconda fu in campo d’argento una Dolce rampante, scacchiato d’oro e d’azzurro, che a volte fu un leopardo“] und wie sie auch im Wappen des vorliegenden Gemäldes erscheint. Es ist allerdings festzuhalten, dass das aufrechte Wappentier („dolce rampante“), der mythische Panther in seinen zahlreichen Varianten, nicht nur das Wappenemblem der Familie Da Mosto war, sondern auch das vieler anderer venezianischer Patrizierfamilien.

Weiterführende und sorgfältigere archivalische Recherchen könnten, obwohl die Familie Da Mosto zahlreiche Mitglieder umfasst, möglicherweise zur Identifizierung jener Person führen, die mit einer Adeligen aus dem Haus Costanzo verheiratet war.

Das Emblem der Dolcefigur bzw. des heraldischen Panthers erscheint auch im Wappen der Paduaner Familie Papafeva, zu dem allerdings normalerweise auch ein Wagen als Symbol der Cararresi gehört. Man muss festhalten, dass Scipios Tochter Isabella Costanzo 1564 Guidantonio Onigo heiratete, mit dem sie den gemeinsamen Sohn Lionello hatte (siehe Codice Costanzo [Liber instrumentorum Clariss[imi] Equitis Dn. Tutii de Constantio], Venedig, Archivio di Stato, Miscellanea Codici II, Diversi n. 1, ms. sec. XV–XVI., c. 95v; siehe E. Bordignion Favero 2019, S. 67, 69, Anm. 10, 11). Nach dem Tod ihres Mannes heiratete sie Roberto Papafava fu Marsilio. Aus dieser zweiten Ehe ging 1575 der Sohn Scipio hervor. Auf den ersten Blick könnten diese familiären Umstände auf die im vorliegenden Bild dargestellte Figurengruppe zutreffen. Ein Argument jedoch, das gegen diese sich anbietende Lösung spricht, ist die Tatsache, dass Roberto Papafava im Jahr 1575 erst 25 Jahre alt war und es daher unwahrscheinlich ist, dass er der im Bild porträtierte, offensichtlich reife Ehemann mittleren Alters ist.

Eine zweite gänzlich hypothetische Möglichkeit hinsichtlich der Identität der Familie tut sich auf, wenn man das Kind im Zentrum des Bildes mit Bonifazio identifiziert, dem 1588 geborenen Sohn des Paares, der das berühmteste Mitglied der Familie werden sollte. Das Alter des Vaters im Bild würde mit dieser Lösung gut korrelieren; es fehlen jedoch, wie bereits erwähnt, die notwendigen urkundlichen Aufzeichnungen, um zu Ergebnissen zu gelangen, die diese Argumentation stützen könnten.

Im Zuge der zurzeit stattfindenden Überarbeitung des Werkverzeichnisses Tintorettos (siehe R. Echols, F. Ilchman, Toward a New Tintoretto Catalogue, with a Checklist of Revised Attributions and a New Chronology, in: Jacopo Tintoretto. Actas del Congreso Internacional Jacopo Tintoretto, Berichte zum Symposium Jacopo Tintoretto, Madrid, Museo del Prado, 26. und 27. Februar 2007, Madrid 2009, S. 91–150), schreibt Rearick das vorliegende Gemälde Domenico Tintoretto zu und verschiebt die oben genannte Datierung in die Zeit um 1592–1594 (siehe Literatur). Neuerdings wird die Eigenhändigkeit des Bildes, dessen Aufbewahrungsort als unbekannt angegeben wurde, von Sergio Marinelli, der Longhi für die falsche Zuschreibung verantwortlich macht, abgelehnt (siehe Literatur).

Allerdings ist zu berücksichtigen, dass das Gemälde bis dato während vieler Jahre des Zweifels diskutiert wurde, ohne dass es zugänglich war, auf der Grundlange von qualitativ oft minderwertigen Fotografien. Sein Wiederauftauchen erlaubt nun eine Neubewertung mit Hilfe von technischen Untersuchungen, durchgeführt von Gianluca Poldi.

Zudem ist erwähnenswert, dass das Motiv des Fensters, so wie es in der Komposition zu sehen ist, auf ungefähr 30 Porträts Tintorettos wiederkehrt. Das Vohandensein einer Landschaft oder eines Hafens oder eines Ereignisses wie beispielsweise einer Schlacht, die man durch ein Fenster erblickt, wurde als Gedenkmotiv oder als ein Festhalten eines Ereignisses im Leben einer Persönlichkeit gedeutet (siehe J. Koering, La Fiction du portrait. Patriciens et patriciennes en réprésentation, in: Titien, Tintoret, Véronèse: rivalités à Venise, 1540–1600, Ausstellungskatalog, Paris 2009, S. 172–177). Die Einbeziehung Gottvaters im vorliegenden Bild spricht offenbar für den Wunsch, der empfundenen Dankbarkeit für die Gnade, die das Kind des Paares erfahren hat, Ausdruck zu verleihen. Dieser sich in der vorliegenden Komposition manifestierende Wunsch wird damit öffentlich gemacht.

Die Größe des Gemäldes und der Umstand, dass es sich um ein Gruppenbildnis im häuslichen Ambiente handelt, lässt annehmen, dass das Bild für ein privates Umfeld als Votivbild gedacht war, aber auch dem Repräsentationsbedürfnis der Familie gerecht werden sollte. Indem das Gemälde eine sakrale Erscheinung in eine prosaische, häusliche Umgebung bringt, hat Tintoretto einen Kunstgriff angewendet, der normalerweise offiziellen Porträts vorbehalten war, wo die Autorität eines Dogen, Richters oder dergleichen durch die Anwesenheit einer Heiligenfigur bestätigt werden sollte.

Das vorliegende Gemälde kann mit der Madonna mit Kind, dem Dogen Alvise Mocenigo, der Dogaressa Loredana und ihrer Familie in der National Gallery of Art in Washington und mit der Madonna mit Kind, einem heiligen Bischof und dem heiligen Laurentius als Erscheinung einer Kindergruppe in der National Gallery of Scotland in Edinburgh, wo die Mitarbeit der Werkstatt deutlicher zum Ausdruck, verglichen werden. Im zuletzt genannten Bild zeigen sich Gemeinsamkeiten hinsichtlich des Gewandes des weiblichen Mitglieds der Familie Costanzo und der Darstellung der Kinder; ein brauchbarer Vergleich für die Darstellung des Gemahls, identifiziert als Mitglied der Familie Da Mosto (doch möglicherweise Papafava) findet sich in mehreren Porträts des Dogen Mocenigo, der sein Amt von 1570 bis 1577 innehatte, darunter ein Bild in der Galleria dell’Accademia in Venedig. Zudem mag ein ganzfiguriges Porträt des Dogen Sebastiano Venier (siehe W. R. Rearick 1995, S. 62) mit Pagen in einer Privatsammlung ebenfalls als Vergleich dienen.

Das Porträt des Battista Morosini in den Gallerie dell’Accademia in Venedig, das Porträt eines alten Mannes in der Collezioni Comunali d’Arte in Bologna und das Porträt eines vornehmen Herrn im Alter von 60 Jahren in der Pinacoteca Tosio Martinengo in Brescia (siehe P. Rossi 1994, Kat.-Nr. 36; siehe P. Rossi 1974, Abb. 171, 172; siehe G. Fossaluzza, in: Pinacoteca Tosio Martinengo, catalogo delle opere, secoli XII–XVI, hg. von M. Bona Castellotti, E. Lucchesi Ragni, R. D’Adda, Venedig 2014, S. 403f., Kat.-Nr. 229) sind weitere mit dem vorliegenden Bild vergleichbare Gemälde.

Es wurde erwogen, dass die Datierung in die Zeit zwischen 1570 und 1575, die Roberto Longhi vertreten hat, am wahrscheinlichsten ist. Es handelt sich um jene Phase in Tintorettos Schaffen, wo man von einer Mitarbeit der Werkstatt ausgehen kann. Nach allem Gesagten ist die Zuschreibung des vorliegenden Gmäldes an Jacopo Tintoretto auch dann erneut zu bekräftigen, wenn man berücksichtigt, dass in seiner späteren Laufbahn die Werkstattunterstützung eine Rolle bei der Ausführung seiner Werke gespielt haben mag. Die Qualität des Werkes ist zweifellos gegeben und die Komposition höchst ungewöhnlich. Das Bild ist im Oeuvre von Tintorettos Porträtschaffen als „experimentell“ anzusehen, wie Longhi und Pallucchini bemerkt haben.

Technische Analyse von Gianluca Poldi:

Mittels Infrarotreflektografie gemachte Aufnahmen zeigen entlang der Umrisse mancher Figuren Spuren einer mit dem Pinsel ausgeführten Unterzeichnung. Der Page rechts wurde über den Boden und die vorher skizzierte Ablage bzw. Sitzbank entlang der Wand im Hintergrund sowie über das Kleid der Frau gemalt.

Die Hinzufügung von Figuren auf bereits angelegten oder gar fertig gemalten Fußböden und Hintergründen in einem Gemälde ist ein besonders Merkmal von Tintorettos Arbeitsweise, das bei einigen seiner Werke zum Vorschein kam. Im vorliegenden Fall entschloss sich der Künstler, nachdem er das Format der Leinwand gewählt und die Komposition begonnen hatte, den Knaben rechts an einer Stelle zu ergänzen, wo sich ursprünglich nur der Teppich und die Wappen befanden.

Die Pigmente, die in einem nicht invasiven Verfahren unter dem optischen Mikroskop und mittels Reflexionsspektrometrie (VIS-RS) untersucht wurden, zeigen über einer braunen Farbschicht das Vorhandensein von Indigo im dunkelblauen Bereich des rechten oberen Wappenschilds. Die mit Pflanzenmotiven geschmückte Tapisserie beinhaltet möglicherweise Grünspan, der sich mit der Zeit zu Braun verfärbt hat. Ein ähnliches Problem der Farbveränderung, die bei Tintorettos Werken nicht selten vorkommt, muss im Mantel von Gottvater aufgetreten sein, in welchem unter dem Mikroskop seltene grüne Farbkörner entdeckt wurde.

Der rosa Mantel Gottvaters und das Mäntelchen des Kindes in den Armen der Mutter wurden mit karminbasiertem und mit Bleiweiß vermischtem Rotlack lasierend aufgetragen. Für die Strümpfe des Kleinkindes fand Zinnoberrot Verwendung.

Der braune Samt des prächtigen Gewandes der Frau wie auch der Jacke des Pagen im Bild ganz rechts besteht in einem organischen Braun, welches aus der Veränderung eines rotbraunen Farbstoffes herrühren könnte.

Die Infrarotreflektografie offenbart die reiche Verzierung der Tapisserie an der Wand und weitere Details.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403

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Auktion: Alte Meister I
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 10.11.2021 - 16:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 29.10. - 10.11.2021


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