Lot Nr. 82 -


Jürgen Ovens


Jürgen Ovens - Alte Meister I

(Tönning 1623–1678 Friedrichstadt)
Das Pfingstfest,
Öl auf Leinwand, 189,4 x 184,8 cm, gerahmt

Provenienz:
Mit großer Wahrscheinlichkeit beauftragt und erworben durch Herzog Friedrich III. von Schleswig-Holstein-Gottorf um 1653–1654 (datierte Rechnung vom 17. März 1654 über 500 Reichstaler für „das Pfingstfest Ihrer hochfürstl. Durchlaucht“);
im Jahr 1666 als in den Privatgemächern von Herzog Christian Albrecht auf Schloss Gottorf, Schleswig, befindlich beschrieben;
Hasenkammer, Schleswig, Inventar von Schloss Gottorf, 1695;
im Jahr 1695 verbracht auf Schloss Salzdahlum, Wolfenbüttel (lt. H. Schmidt, Jürgen Ovens. Sein Leben und seine Werke, Kiel 1922, S. 273, Nr. 39, 42);
in den Jahren 1697 und 1710 verzeichnet auf Schloss Salzdahlum und 1744 beschrieben: „Jurian Ovens; Die Sendung des Heiligen Geistes. H. 6 Fuß 6 ½ Zoll x B 6 Fuß 8 Zoll. Ein Stück von seiner besten Zeit und von vieler Arbeit“;
im Jahr 1776 von Eberlein beschrieben im Katalog der Gemäldegalerie von Salzdahlum (Kat.-Nr. 87: „Ovens: Die Ausgießung des Heiligen Geistes. Männer und Weiber liegen auf dem Erden, voller Andacht und Entzückung. Einige Stehen mit aufgehobenen Häuptern und beten. Ganze Figuren. Auf Leinewand. 6 Fuß 2 Zoll breit, 6 Fuß 8 Zoll hoch“);
im Jahr 1808 von Schloss Salzdahlum auf Schloss Wilhelmshöhe, Kassel, die Residenz von Jerôme Bonaparte, König von Westphalen, verbracht;
im Jahr 1814 nach Braunschweig verbracht (lt. H. Schmidt 1922, S. 273, Nr. 42);
nach 1814 ausgeschieden (lt. C. Koester, Jürgen Ovens, Kiel 2017, S. 39);
Privatsammlung, Großbritannien;
Auktion, Christie’s, London, 17. Dezember 2020, Lot 231 (als holländische Schule, um 1650);
dort erworben durch den jetzigen Besitzer

Literatur:
A. F. Harms, Designation derer künstlichen und kostbahren Gemählden welche in denen Gallerien und Cabinetter des Fürstlichen Lust-Schlosses Salzthalen sich befinden, Braunschweig 1744, unveröffentlichter Katalog, S. 89, Kat.-Nr. 481;
C. N. Eberlein, Verzeichniß der Herzoglichen Bilder-Gallerie zu Salzthalen, Braunschweig 1776, Kat.-Nr. 87, S. 32f.;
H. Schmidt, Jürgen Ovens – Sein Leben und seine Werke, Kiel 1922, S. 23, Nr. 151, 150, 272, 273;
A. Fink, Geschichte des Herzog-Anton-Ulrich-Museums in Braunschweig, Braunschweig 1954, Neuauflage 1967, S. 27f.;
E. Schlee (Hg.), Gottorfer Kultur im Jahrhundert der Universitätsgründung. Kulturgeschichtliche Denkmäler und Zeugnisse des 17. Jahrhunderts aus der Sphäre der Herzöge von Schleswig-Holstein-Gottorf, Ausstellungskatalog, Schleswig 1965, S. 261;
A. Walz, Das Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus (1735–1806), in: J. Luckhardt (Hg.), Das Herzog Anton-Ulrich-Museum und seine Sammlungen, 1578–1754, München 2004, S. 122–175, S. 136, 138;
C. Köster, Jürgen Ovens (1623–1678): Maler in Schleswig-Holstein und Amsterdam, Petersberg 2017, S. 37–39, Nr. 192, 196, 197, 198, S. 304

Wir danken Patrick Larsen und Tico Seifert, die die Zuschreibung unabhängig voneinander bestätigt haben. Larsen, der an der Erstellung dieses Katalogeintrags beteiligt war, beabsichtigt diese wichtige Wiederentdeckung in einem in Vorbereitung befindlichen Aufsatz im Rahmen von Masters of Mobility. Cultural Exchange between the Netherlands and the German Lands in the Long 17th Century, einem Online-Projekt des RKD, zu veröffentlichen. Er wird das Bild außerdem in sein in Vorbereitung befindliches Werkverzeichnis über den Künstler aufnehmen.

Der in der Kleinstadt Tönning im heutigen Schleswig-Holstein geborene Jürgen Ovens verbrachte sein vierzigjähriges Berufsleben sowohl in der Republik der Vereinigten Niederlande als auch in Norddeutschland. Bereits früh kam er in Tönning mit der niederländischen und flämischen Kunst in Berührung und wurde dort wahrscheinlich von dem niederländischen Künstler Lorenz de Keister ausgebildet. Die Hafenstadt beherbergte eine große niederländische Kolonie, darunter eine Reihe von Künstlern (siehe P. Larsen, The Influence of Dutch and Flemish Art on Jürgen Ovens’ Work in Schleswig-Holstein, in: Meister der Mobilität. Cultural Exchange between the Netherlands and Germany in the Long 17th Century, Berichte des internationalen zweitägigen Symposiums, hg. von R. van Leeuwen und J. Roding, Den Haag 2020).

Um 1638‒1643 begab sich Ovens zur Ausbildung nach Holland. Dem ersten Band von Arnold Houbrakens (1660‒1719) Great Theatre of Netherlandish Painters and Paintresses (1718–1721) zufolge war Ovens ein Schüler Rembrandts. Stilistisch erinnert jedoch wenig in Ovens’ Werk an Rembrandt, sodass unter den Fachleuten keine Einigkeit darüber besteht, ob der norddeutsche Meister tatsächlich von dem berühmten Künstler ausgebildet wurde. Das Amsterdamer Zunftregister aus den betreffenden Jahren wurde leider im frühen 19. Jahrhundert ausgesondert. Einige der ersten bekannten Gemälde Ovens’ zeigen jedoch deutlich, dass er in das Umfeld Rembrandts eingebunden war. Sie als seine Arbeiten identifizierten frühen Porträts lassen vermuten, dass er ein Schüler Govert Flincks (1615‒1660) war, der von 1635 bis spätestens 1644 die Werkstatt des Amsterdamer Kunsthändlers Hendrick Uylenburgh (um 1587‒1661) leitete. Diese Rolle war Rembrandt von 1631 bis 1635 zugefallen. Ovens unterhielt zur Familie Uylenburgh eine lebenslange Beziehung.

In den 1640er Jahren und von 1657 bis 1663 lebte Ovens in Amsterdam; möglicherweise verbrachte er auch einige Zeit in Flandern. In vielen seiner Porträts und vor allem in seinen Historienbildern und allegorischen Gemälden scheint er sich den eleganten, höfischen Stil Anthony van Dycks (1599‒1641) zum Vorbild genommen zu haben. Er kehrte 1651 nach Tönning zurück, heiratete im Jahr darauf und ließ sich im nahen Friedrichstadt, einer neu gegründeten Stadt mit einem großen Anteil niederländischer Emigranten, nieder. Ovens trug zu einer Zeit, in der die niederländische und flämische Malerei ihren Zenit erreicht hatte, zu einem „Kulturtransfer“ von Holland nach Schleswig-Holstein bei. Seit 1652 arbeitete er als mit Privilegien ausgestatteter Maler von Herzog Friedrich III. (fungierte also praktisch als dessen Hofmaler), der seine Hauptresidenz, Schloss Gottorf in Schleswig, zu einem blühenden Zentrum der Kunst und Wissenschaft gemacht hatte. Die Ansprüche der Herzöge von Gottorf, Friedrichs III. und seines Sohnes und Nachfolgers Christian Albrecht (1641‒1695), unterschieden sich erheblich von jenen der niederländischen Auftraggeber Ovens’. Mit den an ihrem Hof entstandenen Kunstwerken wie Ovens’ umfangreichem Zyklus der Geschichte Gottorfs von 1663/65 (der teilweise auf Schloss Frederiksborg, Hillerød, Dänemark, aufbewahrt wird; Inv.-Nr. G5; G7; G6; A4600; G8; G9) versuchten die Herzöge, es anderen führenden Kunstzentren in Europa gleichzutun. 1657 zog Ovens von Friedrichstadt zurück in die Niederlande. 1662 überarbeitete er Teile von Flincks Verschwörung der Bataver unter Claudius Civilis aus den Jahren 1659‒1660 für das neue Amsterdamer Rathaus ‒ ein Werk, das ursprünglich als provisorischer Ersatz für ein abgelehntes Leinwandgemälde Rembrandts mit demselben Titel (Koninklijk Paleis, Amsterdam, Öl auf Leinwand, 546 x 538 cm) gedacht war, jedoch bis heute dort zu sehen ist. Im Jahr darauf rief der nächste Herzog von Schleswig-Holstein-Gottorf, Christian Albrecht (1641‒1695), Ovens zurück nach Friedrichstadt, wo er seine letzten Jahre verbrachte.

Ovens’ Pfingstfest: „Ein Stück von seiner Besten Zeit“

Eine im Landesarchiv Schleswig-Holstein in Schleswig verwahrte Rechnung Jürgen Ovens’ über die hohe Summe von 500 Reichstalern, die an seinen Auftraggeber, Herzog Friedrich III. von Schleswig-Holstein-Gottorf (1597‒1659,) adressiert und mit 17. März 1654 datiert ist, beschreibt ein Gemälde zum Thema Pfingsten („Pfingstfest Ihr Hochfstl. Durchl. Unterthän. vorhandelt“). Die Rechnung wurde im Dezember desselben Jahres vom herzoglichen Haushalt beglichen, wie die Quittung im Staatsarchiv in Kopenhagen belegt.

Es handelt sich um die erste archivalische Spur eines offenbar wichtigen Gemäldes von Jürgen Ovens. Die beschriebene Ikonografie ist an sich schon bemerkenswert. Pfingsten ist ein in der nordischen Barockkunst seltenes Thema. Es stellt die in der Apostelgeschichte (Apg 2,1‒31) beschriebene Herabkunft des Heiligen Geistes auf die Apostel und andere Anhänger Jesu Christi dar, während sie in Jerusalem das Wochenfest feiern. Dieses bedeutende Werk galt seit dem frühen 19. Jahrhundert als verschollen. Die Wiederentdeckung des vorliegenden Gemäldes ist deshalb von großer Bedeutung. Ovens stellt mit der Komposition in jener freien und schnellen Manier, für die er bekannt war, seine Amsterdamer Ausbildung in der unmittelbaren Umgebung Rembrandts ‒ entweder in der Werkstatt von Rembrandt selbst oder in jener Govart Flincks ‒ unter Beweis. Das Werk zeichnet sich durch eine elegante Farbgebung sowie eine raffinierte Behandlung glänzender und reich modellierter Flächen aus, die eine insgesamt von Leichtigkeit bestimmte Atmosphäre schaffen. Dies zeigt, dass der Künstler den zeitgenössischen höfischen Stil des Antwerpener Hochbarocks nachahmte, der um die Mitte des 17. Jahrhunderts bei aristokratischen Förderern an Beliebtheit gewonnen hatte.

Neben den sich durch eine stilistische Analyse ergebenden Besonderheiten gibt es wichtige historische Hinweise, die für Ovens als Maler des vorliegenden Werkes sprechen. Ovens’ Pfingstfest scheint von Herzog Friedrich III. sehr geschätzt worden zu sein. Es wird im Inventar von 1666 als in der Kammer des Herzogs im Schloss Gottorf, Schleswig, befindlich beschrieben („In Ihrem Hochfürstl. Durchl. Meines Gnädigsten Fürsten und Herren Stübgen; 1 großes Stück von der Ausgießung des Heiligen Geistes am Heilig. Pfingsttage von Ovens gethan“, siehe C. Köster 2017, S. 37‒39, Nr. 192, 196, 197, 198, S. 304). Die nächste Spur findet sich im Gottorfer Inventar von 1695, wo das Gemälde als in der „Hasenkammer“ hängend erwähnt wird: „die Sändung des heyl. Geistes, von Ovens mit einem schwartz und goldenen Rahm“. Das Inventar verweist auch auf ein Gemälde von Pieter Lastman, Die Schlacht zwischen Konstantin und Maxentius („Römische Bataille von Laßmann“, Öl auf Leinwand, 161,5 x 170 cm, seit 1903 in der Kunsthalle Bremen, Inv.-/Kat.-Nr. 251-1903/4; siehe C. Köster 2017, ebd.). Tico Seifert hat dankenswerterweise darauf aufmerksam gemacht, dass die beiden Gemälde eine ähnliche Provenienz bis ins frühe 19. Jahrhundert aufweisen und das ungewöhnliche, fast quadratische Format gemeinsam haben, was den Schluss nahelegt, dass sie als Kaminstücke für das Gemach des Herzogs gedacht gewesen sein könnten. 1695 gelangte Ovens’ Pfingstfest Schmidt zufolge (siehe H. Schmidt in der Literatur, S. 273, Nr. 39, 42) wahrscheinlich als Teil der Mitgift der Prinzessin Sophia Amalia von Schleswig-Holstein-Gottorf (1670‒1710), die Prinz August Wilhelm von Braunschweig-Wolfenbüttel (1662‒1731) geheiratet hatte, nach Schloss Salzdahlum in Wolfenbüttel. Das Werk war nun Teil der Bestände einer der bedeutendsten fürstlichen Sammlungen des alten Reiches und findet sich ist in den Salzdahlumer Inventaren des 18. Jahrhunderts beschrieben. Während die Inventare von 1697 und 1710 nur allgemeine Angaben bieten, ist das Inventar von 1744 präziser: „Jurian Ovens; Die Sendung des Heiligen Geistes. H. 6 Fuß 6 ½ Zoll x B 6 Fuß 8 Zoll. Ein Stück von seiner Besten Zeit und von vieler Arbeit“ (siehe H. Schmidt 1922, ebd.).

Eine noch bessere Beschreibung findet sich in Christian Nikolaus Eberleins erstem Katalog, der nach seiner Ernennung zum herzoglichen Kustos der Galerie 1776 erschien. Dort heißt es: „Die Ausgießung des Heiligen Geistes. Männer und Weiber liegen auf dem Erden, voller Andacht und Entzückung. Einige Stehen mit aufgehobenen Häuptern und beten. Ganze Figuren. Auf Leinewand. 6 Fuß 2 Zoll breit, 6 Fuß 8 Zoll hoch“ (siehe C. N. Eberlein in der Literatur). Eberlein beschreibt nicht nur eine Komposition, die mit dem vorliegenden Gemälde übereinstimmt: Ein weiterer Hinweis ergibt sich aus den angegebenen Maßen: Ein Braunschweiger Fuß entsprach im 18. Jahrhundert 28,5‒29 cm, ein Zoll 2,3‒3 cm; die Abmessungen des Gemäldes werden also 1744 mit etwa 185 x 189 cm und 1776 mit etwa 189 x 178 cm angegeben. Das vorliegende Gemälde ist 189,4 x 184,8 cm groß, was den im 18. Jahrhundert angegebenen Dimensionen bemerkenswert nahekommt. Soweit bekannt, wurde Ovens’ Pfingstfest das letzte Mal anlässlich seiner Überstellung in das Schloss Wilhelmshöhe, die Residenz Jérôme Bonapartes, des Königs von Westphalen, erwähnt. Laut Schmidt wurde es 1814 an die Stadt Braunschweig restituiert, aber wahrscheinlich in den folgenden Jahren verkauft ‒ ein Schicksal, das es mit vielen anderen Meisterwerken der Salzdahlumer Galerie teilt (siehe H. Schmidt 1922, S. 273, Nr. 42). Leider wurden diese Verkäufe nicht immer dokumentiert: Im Fall von Ovens’ Pfingstfest gibt es keine weiteren archivalischen Spuren (siehe C. Köster 2017, S. 39, Nr. 201).

Interessanterweise führt das 1691 erstellte Nachlassinventar der Witwe des Künstlers, Maria Ovens’ (gest. 1690), die Kopie eines Pfingstfests an. Da dieses Gemälde nur mit 36 Mark bewertet wurde, hat der enorme Preisunterschied zu den 500 Reichstalern, die Herzog Friedrich III. 1654 für das Gottorfer Pfingstfest bezahlt hatte, die Forschung zu dem Schluss veranlasst, dass es sich um eine kleine Studie des Meisters oder die Kopie eines Schülers gehandelt haben muss (siehe C. Köster 2017, S. 39).

Das Thema ist in der nordischen Kunst selten, und es gibt keinen archivalischen Hinweis auf ein anderes Gemälde Ovens’ von vergleichbarer Größe und Qualität mit einer ähnlichen Ikonografie. Ein weiteres Argument für die Identifizierung des vorliegenden Gemäldes als das verlorene Gottorfer Pfingstfest ist das Vorhandensein mehrerer Pentimenti. Ovens hat also während des Schaffensprozesses Korrekturen vorgenommen. Deutlich sichtbar ist, dass das hintere Buch links übermalt wurde. Die erhobene linke Hand des Mannes auf dem Balkon war ursprünglich ausgestreckt. Das Gesicht seines bärtigen Nachbarn mit dem Turban wurde neu positioniert, wodurch sich eine bemerkenswerte Wirkung ergibt. Auch andere Gemälde von Ovens weisen Pentimenti auf.

Patrick Larsen zufolge ist das vorliegende Gemälde als Pionierwerk in Ovens’ Oeuvre anzusehen. Es geht der Stockholmer Hochzeitsserie voraus, die aus drei großen Gemälden von zwei mal drei Metern besteht, die zwischen 1654 und 1657 entstanden (Die Hochzeit von Prinzessin Hedwig Eleonora von Schleswig-Holstein-Gottorf mit König Karl X. von Schweden am 24. Oktober 1654, Die Krönung der Prinzessin Hedwig Eleonora von Schleswig-Holstein-Gottorf und Der Festzug der Königin Hedwig Eleonora, die sich alle im Schwedischen Nationalmuseum in Stockholm befinden; Inv.-Nr. NM908, NMDrh514 und NMDrh532). Bisher galten zwei dieser Werke ‒ Die Hochzeit und Die Krönung ‒ als die ersten bekannten Beispiele, in denen Ovens eine Figurengruppe im Hintergrund eines großen Innenraums und einen Balkon mit Schaulustigen links und rechts davon darstellte. Beide Gemälde stehen dem vorliegenden Werk kompositorisch sehr nahe. Das Pfingstfest ebnete Ovens den Weg für die Umsetzung seiner Stockholmer Hochzeitsserie, in der sich die Hauptszene genau wie im vorliegenden Fall im mittleren Teil abspielt.

Patrick Larsen datiert das vorliegende Werk in Ovens’ Schaffen der 1650er-Jahre. Die bei großen Partien des Gemäldes zu beobachtende flüssige Pinselführung, der Gesichtsausdruck eines überwiegenden Teils der Figuren, der Farbauftrag und die Verteilung von Hell und Dunkel lassen sich gut mit der Stockholm-Serie vergleichen. Die Positionierung der Figuren im Raum, die Hervorhebung der an Höfen beliebten Whippets sowie die etwas schlampig platzierte Apostelgruppe im Hintergrund bekräftigen die Zuschreibung an Ovens. Auffällig sind die etwas grotesken Gesichter einiger Apostel. Figuren mit ähnlich gestalteten Gesichtern tauchen auch in anderen großen Historiengemälden Ovens’ auf, so etwa in Graf Adolf begegnet am englischen Hof 1560 einem Löwen (Schloss Frederiksborg, Hillerød, Dänemark, um 1663, Inv.-Nr. G9). Die vorliegende Komposition kann als Fortsetzung von Ovens’ Lösungen für große religiöse Gemälde wie Die Rückkehr des jungen Tobias von 1651 (Nantes, Museum der schönen Künste, Inv.-Nr. 537) und Gottorfer Friedensfest ‒ Die Gottorfer Herzogsfamilie in einer Friedensallegorie von 1652 (Stockholm, Nationalmuseum, Inv.-Nr. NMGrh 452) betrachtet werden.

Das Interesse an den eleganten Kompositionen solcher großformatigen dynastischen Historiengemälde war weit verbreitet. Jan Six, Rembrandts berühmter Förderer, besaß eine Grisaille-Fassung des Gottorfer Friedensvertrags (Schloss Frederiksborg, Hillerød, Dänemark, Inv.-Nr. A4355). Larsen zufolge scheinen einige Figuren des vorliegenden Werks von mehreren berühmten und bedeutenden Druckgrafiken Rembrandts mit religiösen Motiven abgeleitet zu sein. So ähnelt zum Beispiel die kniende Jungfrau im orangefarbenen Mantel der Jungfrau unten rechts in Rembrandts Radierung Die Kreuzabnahme aus dem Jahr 1633. Der trauernde Mann, der bei Rembrandt hinter der Jungfrau steht, könnte die Inspiration für die Figur mit braunem Haar direkt unter der Person mit den ausgestreckten Armen in der Mitte der Komposition gewesen sein. Der kniende Mann unten links scheint aus Rembrandts berühmtem Hundertguldenblatt zu stammen, wo er hinter Christus kniet und seine Augen auf den Erlöser richtet. Der Knabe rechts neben Ovens’ Jungfrau könnte teils dem Apostel nachempfunden sein, der in Rembrandts Radierung Der Tod der Jungfrau etwas abseits auf der rechten Seite steht, obwohl man Ovens natürlich einen gewissen Spielraum für eigene Erfindungen zugestehen sollte. Auch wenn man nicht beweisen kann, dass Ovens von Rembrandt ausgebildet wurde, kannte er den Meister sicherlich und hatte Zugang zu seinen Drucken. Ovens war auch als Kunsthändler tätig und hat nachweislich Drucke in Norddeutschland verkauft. Auch mehrere Werke von Rembrandts niederländischen Schülern wie Ferdinand Bol (1616‒1680) und Flinck beruhen auf Drucken ihres Meisters.

Experte: Dr. Alexander Strasoldo Dr. Alexander Strasoldo
+43 1 515 60 403

old.masters@dorotheum.com

10.11.2021 - 16:00

Erzielter Preis: **
EUR 167.572,-
Schätzwert:
EUR 80.000,- bis EUR 120.000,-

Jürgen Ovens


(Tönning 1623–1678 Friedrichstadt)
Das Pfingstfest,
Öl auf Leinwand, 189,4 x 184,8 cm, gerahmt

Provenienz:
Mit großer Wahrscheinlichkeit beauftragt und erworben durch Herzog Friedrich III. von Schleswig-Holstein-Gottorf um 1653–1654 (datierte Rechnung vom 17. März 1654 über 500 Reichstaler für „das Pfingstfest Ihrer hochfürstl. Durchlaucht“);
im Jahr 1666 als in den Privatgemächern von Herzog Christian Albrecht auf Schloss Gottorf, Schleswig, befindlich beschrieben;
Hasenkammer, Schleswig, Inventar von Schloss Gottorf, 1695;
im Jahr 1695 verbracht auf Schloss Salzdahlum, Wolfenbüttel (lt. H. Schmidt, Jürgen Ovens. Sein Leben und seine Werke, Kiel 1922, S. 273, Nr. 39, 42);
in den Jahren 1697 und 1710 verzeichnet auf Schloss Salzdahlum und 1744 beschrieben: „Jurian Ovens; Die Sendung des Heiligen Geistes. H. 6 Fuß 6 ½ Zoll x B 6 Fuß 8 Zoll. Ein Stück von seiner besten Zeit und von vieler Arbeit“;
im Jahr 1776 von Eberlein beschrieben im Katalog der Gemäldegalerie von Salzdahlum (Kat.-Nr. 87: „Ovens: Die Ausgießung des Heiligen Geistes. Männer und Weiber liegen auf dem Erden, voller Andacht und Entzückung. Einige Stehen mit aufgehobenen Häuptern und beten. Ganze Figuren. Auf Leinewand. 6 Fuß 2 Zoll breit, 6 Fuß 8 Zoll hoch“);
im Jahr 1808 von Schloss Salzdahlum auf Schloss Wilhelmshöhe, Kassel, die Residenz von Jerôme Bonaparte, König von Westphalen, verbracht;
im Jahr 1814 nach Braunschweig verbracht (lt. H. Schmidt 1922, S. 273, Nr. 42);
nach 1814 ausgeschieden (lt. C. Koester, Jürgen Ovens, Kiel 2017, S. 39);
Privatsammlung, Großbritannien;
Auktion, Christie’s, London, 17. Dezember 2020, Lot 231 (als holländische Schule, um 1650);
dort erworben durch den jetzigen Besitzer

Literatur:
A. F. Harms, Designation derer künstlichen und kostbahren Gemählden welche in denen Gallerien und Cabinetter des Fürstlichen Lust-Schlosses Salzthalen sich befinden, Braunschweig 1744, unveröffentlichter Katalog, S. 89, Kat.-Nr. 481;
C. N. Eberlein, Verzeichniß der Herzoglichen Bilder-Gallerie zu Salzthalen, Braunschweig 1776, Kat.-Nr. 87, S. 32f.;
H. Schmidt, Jürgen Ovens – Sein Leben und seine Werke, Kiel 1922, S. 23, Nr. 151, 150, 272, 273;
A. Fink, Geschichte des Herzog-Anton-Ulrich-Museums in Braunschweig, Braunschweig 1954, Neuauflage 1967, S. 27f.;
E. Schlee (Hg.), Gottorfer Kultur im Jahrhundert der Universitätsgründung. Kulturgeschichtliche Denkmäler und Zeugnisse des 17. Jahrhunderts aus der Sphäre der Herzöge von Schleswig-Holstein-Gottorf, Ausstellungskatalog, Schleswig 1965, S. 261;
A. Walz, Das Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus (1735–1806), in: J. Luckhardt (Hg.), Das Herzog Anton-Ulrich-Museum und seine Sammlungen, 1578–1754, München 2004, S. 122–175, S. 136, 138;
C. Köster, Jürgen Ovens (1623–1678): Maler in Schleswig-Holstein und Amsterdam, Petersberg 2017, S. 37–39, Nr. 192, 196, 197, 198, S. 304

Wir danken Patrick Larsen und Tico Seifert, die die Zuschreibung unabhängig voneinander bestätigt haben. Larsen, der an der Erstellung dieses Katalogeintrags beteiligt war, beabsichtigt diese wichtige Wiederentdeckung in einem in Vorbereitung befindlichen Aufsatz im Rahmen von Masters of Mobility. Cultural Exchange between the Netherlands and the German Lands in the Long 17th Century, einem Online-Projekt des RKD, zu veröffentlichen. Er wird das Bild außerdem in sein in Vorbereitung befindliches Werkverzeichnis über den Künstler aufnehmen.

Der in der Kleinstadt Tönning im heutigen Schleswig-Holstein geborene Jürgen Ovens verbrachte sein vierzigjähriges Berufsleben sowohl in der Republik der Vereinigten Niederlande als auch in Norddeutschland. Bereits früh kam er in Tönning mit der niederländischen und flämischen Kunst in Berührung und wurde dort wahrscheinlich von dem niederländischen Künstler Lorenz de Keister ausgebildet. Die Hafenstadt beherbergte eine große niederländische Kolonie, darunter eine Reihe von Künstlern (siehe P. Larsen, The Influence of Dutch and Flemish Art on Jürgen Ovens’ Work in Schleswig-Holstein, in: Meister der Mobilität. Cultural Exchange between the Netherlands and Germany in the Long 17th Century, Berichte des internationalen zweitägigen Symposiums, hg. von R. van Leeuwen und J. Roding, Den Haag 2020).

Um 1638‒1643 begab sich Ovens zur Ausbildung nach Holland. Dem ersten Band von Arnold Houbrakens (1660‒1719) Great Theatre of Netherlandish Painters and Paintresses (1718–1721) zufolge war Ovens ein Schüler Rembrandts. Stilistisch erinnert jedoch wenig in Ovens’ Werk an Rembrandt, sodass unter den Fachleuten keine Einigkeit darüber besteht, ob der norddeutsche Meister tatsächlich von dem berühmten Künstler ausgebildet wurde. Das Amsterdamer Zunftregister aus den betreffenden Jahren wurde leider im frühen 19. Jahrhundert ausgesondert. Einige der ersten bekannten Gemälde Ovens’ zeigen jedoch deutlich, dass er in das Umfeld Rembrandts eingebunden war. Sie als seine Arbeiten identifizierten frühen Porträts lassen vermuten, dass er ein Schüler Govert Flincks (1615‒1660) war, der von 1635 bis spätestens 1644 die Werkstatt des Amsterdamer Kunsthändlers Hendrick Uylenburgh (um 1587‒1661) leitete. Diese Rolle war Rembrandt von 1631 bis 1635 zugefallen. Ovens unterhielt zur Familie Uylenburgh eine lebenslange Beziehung.

In den 1640er Jahren und von 1657 bis 1663 lebte Ovens in Amsterdam; möglicherweise verbrachte er auch einige Zeit in Flandern. In vielen seiner Porträts und vor allem in seinen Historienbildern und allegorischen Gemälden scheint er sich den eleganten, höfischen Stil Anthony van Dycks (1599‒1641) zum Vorbild genommen zu haben. Er kehrte 1651 nach Tönning zurück, heiratete im Jahr darauf und ließ sich im nahen Friedrichstadt, einer neu gegründeten Stadt mit einem großen Anteil niederländischer Emigranten, nieder. Ovens trug zu einer Zeit, in der die niederländische und flämische Malerei ihren Zenit erreicht hatte, zu einem „Kulturtransfer“ von Holland nach Schleswig-Holstein bei. Seit 1652 arbeitete er als mit Privilegien ausgestatteter Maler von Herzog Friedrich III. (fungierte also praktisch als dessen Hofmaler), der seine Hauptresidenz, Schloss Gottorf in Schleswig, zu einem blühenden Zentrum der Kunst und Wissenschaft gemacht hatte. Die Ansprüche der Herzöge von Gottorf, Friedrichs III. und seines Sohnes und Nachfolgers Christian Albrecht (1641‒1695), unterschieden sich erheblich von jenen der niederländischen Auftraggeber Ovens’. Mit den an ihrem Hof entstandenen Kunstwerken wie Ovens’ umfangreichem Zyklus der Geschichte Gottorfs von 1663/65 (der teilweise auf Schloss Frederiksborg, Hillerød, Dänemark, aufbewahrt wird; Inv.-Nr. G5; G7; G6; A4600; G8; G9) versuchten die Herzöge, es anderen führenden Kunstzentren in Europa gleichzutun. 1657 zog Ovens von Friedrichstadt zurück in die Niederlande. 1662 überarbeitete er Teile von Flincks Verschwörung der Bataver unter Claudius Civilis aus den Jahren 1659‒1660 für das neue Amsterdamer Rathaus ‒ ein Werk, das ursprünglich als provisorischer Ersatz für ein abgelehntes Leinwandgemälde Rembrandts mit demselben Titel (Koninklijk Paleis, Amsterdam, Öl auf Leinwand, 546 x 538 cm) gedacht war, jedoch bis heute dort zu sehen ist. Im Jahr darauf rief der nächste Herzog von Schleswig-Holstein-Gottorf, Christian Albrecht (1641‒1695), Ovens zurück nach Friedrichstadt, wo er seine letzten Jahre verbrachte.

Ovens’ Pfingstfest: „Ein Stück von seiner Besten Zeit“

Eine im Landesarchiv Schleswig-Holstein in Schleswig verwahrte Rechnung Jürgen Ovens’ über die hohe Summe von 500 Reichstalern, die an seinen Auftraggeber, Herzog Friedrich III. von Schleswig-Holstein-Gottorf (1597‒1659,) adressiert und mit 17. März 1654 datiert ist, beschreibt ein Gemälde zum Thema Pfingsten („Pfingstfest Ihr Hochfstl. Durchl. Unterthän. vorhandelt“). Die Rechnung wurde im Dezember desselben Jahres vom herzoglichen Haushalt beglichen, wie die Quittung im Staatsarchiv in Kopenhagen belegt.

Es handelt sich um die erste archivalische Spur eines offenbar wichtigen Gemäldes von Jürgen Ovens. Die beschriebene Ikonografie ist an sich schon bemerkenswert. Pfingsten ist ein in der nordischen Barockkunst seltenes Thema. Es stellt die in der Apostelgeschichte (Apg 2,1‒31) beschriebene Herabkunft des Heiligen Geistes auf die Apostel und andere Anhänger Jesu Christi dar, während sie in Jerusalem das Wochenfest feiern. Dieses bedeutende Werk galt seit dem frühen 19. Jahrhundert als verschollen. Die Wiederentdeckung des vorliegenden Gemäldes ist deshalb von großer Bedeutung. Ovens stellt mit der Komposition in jener freien und schnellen Manier, für die er bekannt war, seine Amsterdamer Ausbildung in der unmittelbaren Umgebung Rembrandts ‒ entweder in der Werkstatt von Rembrandt selbst oder in jener Govart Flincks ‒ unter Beweis. Das Werk zeichnet sich durch eine elegante Farbgebung sowie eine raffinierte Behandlung glänzender und reich modellierter Flächen aus, die eine insgesamt von Leichtigkeit bestimmte Atmosphäre schaffen. Dies zeigt, dass der Künstler den zeitgenössischen höfischen Stil des Antwerpener Hochbarocks nachahmte, der um die Mitte des 17. Jahrhunderts bei aristokratischen Förderern an Beliebtheit gewonnen hatte.

Neben den sich durch eine stilistische Analyse ergebenden Besonderheiten gibt es wichtige historische Hinweise, die für Ovens als Maler des vorliegenden Werkes sprechen. Ovens’ Pfingstfest scheint von Herzog Friedrich III. sehr geschätzt worden zu sein. Es wird im Inventar von 1666 als in der Kammer des Herzogs im Schloss Gottorf, Schleswig, befindlich beschrieben („In Ihrem Hochfürstl. Durchl. Meines Gnädigsten Fürsten und Herren Stübgen; 1 großes Stück von der Ausgießung des Heiligen Geistes am Heilig. Pfingsttage von Ovens gethan“, siehe C. Köster 2017, S. 37‒39, Nr. 192, 196, 197, 198, S. 304). Die nächste Spur findet sich im Gottorfer Inventar von 1695, wo das Gemälde als in der „Hasenkammer“ hängend erwähnt wird: „die Sändung des heyl. Geistes, von Ovens mit einem schwartz und goldenen Rahm“. Das Inventar verweist auch auf ein Gemälde von Pieter Lastman, Die Schlacht zwischen Konstantin und Maxentius („Römische Bataille von Laßmann“, Öl auf Leinwand, 161,5 x 170 cm, seit 1903 in der Kunsthalle Bremen, Inv.-/Kat.-Nr. 251-1903/4; siehe C. Köster 2017, ebd.). Tico Seifert hat dankenswerterweise darauf aufmerksam gemacht, dass die beiden Gemälde eine ähnliche Provenienz bis ins frühe 19. Jahrhundert aufweisen und das ungewöhnliche, fast quadratische Format gemeinsam haben, was den Schluss nahelegt, dass sie als Kaminstücke für das Gemach des Herzogs gedacht gewesen sein könnten. 1695 gelangte Ovens’ Pfingstfest Schmidt zufolge (siehe H. Schmidt in der Literatur, S. 273, Nr. 39, 42) wahrscheinlich als Teil der Mitgift der Prinzessin Sophia Amalia von Schleswig-Holstein-Gottorf (1670‒1710), die Prinz August Wilhelm von Braunschweig-Wolfenbüttel (1662‒1731) geheiratet hatte, nach Schloss Salzdahlum in Wolfenbüttel. Das Werk war nun Teil der Bestände einer der bedeutendsten fürstlichen Sammlungen des alten Reiches und findet sich ist in den Salzdahlumer Inventaren des 18. Jahrhunderts beschrieben. Während die Inventare von 1697 und 1710 nur allgemeine Angaben bieten, ist das Inventar von 1744 präziser: „Jurian Ovens; Die Sendung des Heiligen Geistes. H. 6 Fuß 6 ½ Zoll x B 6 Fuß 8 Zoll. Ein Stück von seiner Besten Zeit und von vieler Arbeit“ (siehe H. Schmidt 1922, ebd.).

Eine noch bessere Beschreibung findet sich in Christian Nikolaus Eberleins erstem Katalog, der nach seiner Ernennung zum herzoglichen Kustos der Galerie 1776 erschien. Dort heißt es: „Die Ausgießung des Heiligen Geistes. Männer und Weiber liegen auf dem Erden, voller Andacht und Entzückung. Einige Stehen mit aufgehobenen Häuptern und beten. Ganze Figuren. Auf Leinewand. 6 Fuß 2 Zoll breit, 6 Fuß 8 Zoll hoch“ (siehe C. N. Eberlein in der Literatur). Eberlein beschreibt nicht nur eine Komposition, die mit dem vorliegenden Gemälde übereinstimmt: Ein weiterer Hinweis ergibt sich aus den angegebenen Maßen: Ein Braunschweiger Fuß entsprach im 18. Jahrhundert 28,5‒29 cm, ein Zoll 2,3‒3 cm; die Abmessungen des Gemäldes werden also 1744 mit etwa 185 x 189 cm und 1776 mit etwa 189 x 178 cm angegeben. Das vorliegende Gemälde ist 189,4 x 184,8 cm groß, was den im 18. Jahrhundert angegebenen Dimensionen bemerkenswert nahekommt. Soweit bekannt, wurde Ovens’ Pfingstfest das letzte Mal anlässlich seiner Überstellung in das Schloss Wilhelmshöhe, die Residenz Jérôme Bonapartes, des Königs von Westphalen, erwähnt. Laut Schmidt wurde es 1814 an die Stadt Braunschweig restituiert, aber wahrscheinlich in den folgenden Jahren verkauft ‒ ein Schicksal, das es mit vielen anderen Meisterwerken der Salzdahlumer Galerie teilt (siehe H. Schmidt 1922, S. 273, Nr. 42). Leider wurden diese Verkäufe nicht immer dokumentiert: Im Fall von Ovens’ Pfingstfest gibt es keine weiteren archivalischen Spuren (siehe C. Köster 2017, S. 39, Nr. 201).

Interessanterweise führt das 1691 erstellte Nachlassinventar der Witwe des Künstlers, Maria Ovens’ (gest. 1690), die Kopie eines Pfingstfests an. Da dieses Gemälde nur mit 36 Mark bewertet wurde, hat der enorme Preisunterschied zu den 500 Reichstalern, die Herzog Friedrich III. 1654 für das Gottorfer Pfingstfest bezahlt hatte, die Forschung zu dem Schluss veranlasst, dass es sich um eine kleine Studie des Meisters oder die Kopie eines Schülers gehandelt haben muss (siehe C. Köster 2017, S. 39).

Das Thema ist in der nordischen Kunst selten, und es gibt keinen archivalischen Hinweis auf ein anderes Gemälde Ovens’ von vergleichbarer Größe und Qualität mit einer ähnlichen Ikonografie. Ein weiteres Argument für die Identifizierung des vorliegenden Gemäldes als das verlorene Gottorfer Pfingstfest ist das Vorhandensein mehrerer Pentimenti. Ovens hat also während des Schaffensprozesses Korrekturen vorgenommen. Deutlich sichtbar ist, dass das hintere Buch links übermalt wurde. Die erhobene linke Hand des Mannes auf dem Balkon war ursprünglich ausgestreckt. Das Gesicht seines bärtigen Nachbarn mit dem Turban wurde neu positioniert, wodurch sich eine bemerkenswerte Wirkung ergibt. Auch andere Gemälde von Ovens weisen Pentimenti auf.

Patrick Larsen zufolge ist das vorliegende Gemälde als Pionierwerk in Ovens’ Oeuvre anzusehen. Es geht der Stockholmer Hochzeitsserie voraus, die aus drei großen Gemälden von zwei mal drei Metern besteht, die zwischen 1654 und 1657 entstanden (Die Hochzeit von Prinzessin Hedwig Eleonora von Schleswig-Holstein-Gottorf mit König Karl X. von Schweden am 24. Oktober 1654, Die Krönung der Prinzessin Hedwig Eleonora von Schleswig-Holstein-Gottorf und Der Festzug der Königin Hedwig Eleonora, die sich alle im Schwedischen Nationalmuseum in Stockholm befinden; Inv.-Nr. NM908, NMDrh514 und NMDrh532). Bisher galten zwei dieser Werke ‒ Die Hochzeit und Die Krönung ‒ als die ersten bekannten Beispiele, in denen Ovens eine Figurengruppe im Hintergrund eines großen Innenraums und einen Balkon mit Schaulustigen links und rechts davon darstellte. Beide Gemälde stehen dem vorliegenden Werk kompositorisch sehr nahe. Das Pfingstfest ebnete Ovens den Weg für die Umsetzung seiner Stockholmer Hochzeitsserie, in der sich die Hauptszene genau wie im vorliegenden Fall im mittleren Teil abspielt.

Patrick Larsen datiert das vorliegende Werk in Ovens’ Schaffen der 1650er-Jahre. Die bei großen Partien des Gemäldes zu beobachtende flüssige Pinselführung, der Gesichtsausdruck eines überwiegenden Teils der Figuren, der Farbauftrag und die Verteilung von Hell und Dunkel lassen sich gut mit der Stockholm-Serie vergleichen. Die Positionierung der Figuren im Raum, die Hervorhebung der an Höfen beliebten Whippets sowie die etwas schlampig platzierte Apostelgruppe im Hintergrund bekräftigen die Zuschreibung an Ovens. Auffällig sind die etwas grotesken Gesichter einiger Apostel. Figuren mit ähnlich gestalteten Gesichtern tauchen auch in anderen großen Historiengemälden Ovens’ auf, so etwa in Graf Adolf begegnet am englischen Hof 1560 einem Löwen (Schloss Frederiksborg, Hillerød, Dänemark, um 1663, Inv.-Nr. G9). Die vorliegende Komposition kann als Fortsetzung von Ovens’ Lösungen für große religiöse Gemälde wie Die Rückkehr des jungen Tobias von 1651 (Nantes, Museum der schönen Künste, Inv.-Nr. 537) und Gottorfer Friedensfest ‒ Die Gottorfer Herzogsfamilie in einer Friedensallegorie von 1652 (Stockholm, Nationalmuseum, Inv.-Nr. NMGrh 452) betrachtet werden.

Das Interesse an den eleganten Kompositionen solcher großformatigen dynastischen Historiengemälde war weit verbreitet. Jan Six, Rembrandts berühmter Förderer, besaß eine Grisaille-Fassung des Gottorfer Friedensvertrags (Schloss Frederiksborg, Hillerød, Dänemark, Inv.-Nr. A4355). Larsen zufolge scheinen einige Figuren des vorliegenden Werks von mehreren berühmten und bedeutenden Druckgrafiken Rembrandts mit religiösen Motiven abgeleitet zu sein. So ähnelt zum Beispiel die kniende Jungfrau im orangefarbenen Mantel der Jungfrau unten rechts in Rembrandts Radierung Die Kreuzabnahme aus dem Jahr 1633. Der trauernde Mann, der bei Rembrandt hinter der Jungfrau steht, könnte die Inspiration für die Figur mit braunem Haar direkt unter der Person mit den ausgestreckten Armen in der Mitte der Komposition gewesen sein. Der kniende Mann unten links scheint aus Rembrandts berühmtem Hundertguldenblatt zu stammen, wo er hinter Christus kniet und seine Augen auf den Erlöser richtet. Der Knabe rechts neben Ovens’ Jungfrau könnte teils dem Apostel nachempfunden sein, der in Rembrandts Radierung Der Tod der Jungfrau etwas abseits auf der rechten Seite steht, obwohl man Ovens natürlich einen gewissen Spielraum für eigene Erfindungen zugestehen sollte. Auch wenn man nicht beweisen kann, dass Ovens von Rembrandt ausgebildet wurde, kannte er den Meister sicherlich und hatte Zugang zu seinen Drucken. Ovens war auch als Kunsthändler tätig und hat nachweislich Drucke in Norddeutschland verkauft. Auch mehrere Werke von Rembrandts niederländischen Schülern wie Ferdinand Bol (1616‒1680) und Flinck beruhen auf Drucken ihres Meisters.

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Auktion: Alte Meister I
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 10.11.2021 - 16:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 29.10. - 10.11.2021


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