Girolamo Muziano
![Girolamo Muziano - Alte Meister I Girolamo Muziano - Alte Meister I](/fileadmin/lot-images/38A221109/normal/girolamo-muziano-8280449.jpg)
(Brescia 1532–1592 Rom)
Heilige Familie,
links unten bezeichnet mit Inventarnummer: 529,
Öl auf Leinwand, 100,5 x 76,5 cm, gerahmt
Rückseitig auf der Leinwand die Buchstaben „C.C.B.“
Provenienz:
europäische Privatsammlung
Wir danken Patrizia Tosini, die die Zuschreibung des vorliegenden Gemäldes bestätigt hat, für ihre Hilfe bei der Katalogisierung des Lots.
Tosini datiert das vorliegende Gemälde zwischen die Mitte der 1550er-Jahre und die frühen 1560er-Jahre und somit in die Zeit der ersten römischen Aufträge des Künstlers. Es bieten sich Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Werken dieser Jahre an, insbesondere mit jenen, die Muziano für Orvieto gemalt hat, darunter das Altarbild Erweckung des Lazarus für die Kathedrale der Stadt (1555/1556; siehe P. Tosini, Girolamo Muziano, 1532–1592, dalla maniera alla natura, Rom 2008, Kat.-Nr. A7, S. 86, Abb. 70) und die Fresken für die Bischofsresidenz von Girolamo Simoncelli im nahen Torre San Severo (1556–1559). Das Profil der Heiligen Jungfrau, das sich mit jenen der zwei Frauen in der Mitte des Altarbildes für Orvieto vergleichen lässt, die Farbigkeit der Gewänder, die ebenfalls ihren Widerhall fand, und der Kopf des heiligen Josef, der nach jenem der Personifikation des Winters im Deckenfresko des Salone della Caminata im Palazzo Simoncelli modelliert ist (siehe ebd., Kat.-Nr. A9, S. 340–343, Abb. 9.1.3), bis hin zur pulsierenden Ader auf der Schläfe des alten Mannes, die auch im Profil des heiligen Hieronymus in der Cappella Ruiz in Santa Caterina dei Funari in Rom wiederkehrt (siehe ebd., Kat.-Nr. A15, S. 184, Abb. 168), gehören Werken an, die dieselbe Monumentalität und „steinerne“ Bildsprache aufweisen, die auch das vorliegende Gemälde der Heiligen Familie bestimmen.
Das Sujet des Bildes, eine die Leiden Christi vorwegnehmende Heilige Familie mit Johannes dem Täufer, muss zum äußerst erfolgreichen Repertoire des Künstlers gehört haben. Er wiederholte das Sujet in mehreren Kompositionsvarianten, von denen einige durch Kupferstiche nach Entwürfen Muzianos dokumentiert sind (P. Tosini, ebd., S. 55, Abb. 45). In Muzianos Biografie wird eine „Madonna in Lebensgröße mit dem heiligen Josef, dem heiligen Johannes und unserem Erlöser, die Steine zur Andacht bewegen“ erwähnt („Una Madonna come al naturale con San Giosef S. Giovanni e il nostro Salvatore che muoverebbe le pietre a devozione“) (siehe U. Procacci, Una „vita“ inedita di Girolamo Muziano, in: Arte Veneta, 1954, S. 251 f.; siehe P. Tosini, op. cit., Kat.-Nr. D61, S. 487). Darüber hinaus befand sich 1686 ein Gemälde mit demselben Thema in der Sammlung des Maffeo Barberini im römischen Palast der Familie bei den Quattro Fontane (dieses weist auch dieselben Maße wie das vorliegende Gemälde auf, dessen geringfügig kleineres Format möglicherweise einer Neubespannung geschuldet ist; siehe Getty Provenance Index); ein weiteres Bild dieses Sujets befand sich im 19. Jahrhundert in der Villa Medici (ebd., Kat.-Nr. D55, S. 485).
Neben dem hier besprochenen Werk sind zurzeit zwei weitere Versionen dieser Komposition bekannt: Die eine ist in jeder Hinsicht mit dem vorliegenden Bild identisch. Offenkundig handelt es sich um eine eigenhändige Replik, die mithilfe desselben Kartons ausgeführt wurde (siehe ebd., Kat.-Nr. A2, S. 23). Die andere befindet sich in der Galleria Borghese, ist ebenfalls eigenhändig, aber durch Übermalungen eines Künstlers des späten 17. Jahrhunderts verunklärt (siehe P. Tosini, Palinsesto borghesiano: un Muziano „seicentesco“, in: Amica Veritas. Studi di storia dell’arte in onore di Claudio Strinati, hrsg. von A. Vannugli, Rom 2020, S. 525–532). Bis dato ist es nicht gelungen, die links unten erscheinende Nummer „529“ zu identifizieren, die offenbar auf das Inventarverzeichnis einer Sammlung verweist.
In der plastischen Auffassung des Bildes und seiner kühlen Farbigkeit offenbart sich Muzianos Festhalten an der manieristischen Kunst Roms der 1540er- und 1550er-Jahre, für die ihre führenden Vertreter Daniele da Volterra, Girolamo Siciolante und Taddeo Zuccari standen. Für den eleganten Kopf des heiligen Josef mit seinen gekräuselten Adern und dem weichen Haar, der das Erbe der Ausbildung des Künstlers verrät, dienten hingegen naturalistisch gemalte Werke Girolamo Savoldos und Domenico Campagnolas mit ihrer lombardischen und venezianischen Stimmung als Vorbild.
Girolamo Muziano (1532–1592) war einer der führenden Exponenten der Malerei des späten 16. Jahrhunderts. Er lernte in Brescia, Padua und Venedig in den Werkstätten von Lambert Sustris and Domenico Campagnola und ging in den 1550er-Jahren dank der Unterstützung der venezianischen Kardinäle Barbaro, Corner und Pisani nach Rom. Die wohlwollende Aufnahme in der Stadt verschaffte ihm prestigeträchtige Aufträge in Kirchen und Palästen führender aristokratischer Familien wie den Colonna, Gabrielli, Ruiz, Mattei und Della Valle. In den 1560er-Jahren wurde er Hofmaler von Ippolito II. d’Este, für den er in der berühmten Villa d’Este in Tivoli freskierte. Mit dem Beginn des Pontifikats von Gregor XIII. Boncompagni (1572–1585) wurde Muziano zum Organisator und Schöpfer der bedeutendsten Aufträge des Papstes, darunter die Ausmalungen der Cappella Gregoriana in Sankt Peter und der Galleria delle Carte Geografiche im Vatikanspalast. Der unverkennbare Stil seiner durch den venezianischen Realismus gemäßigten gegenreformatorischen Malerei sollte den Weg zu den größten Innovationen in der Malerei des frühen 17. Jahrhunderts ebnen.
Experte: Mark MacDonnell
Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403
old.masters@dorotheum.com
09.11.2022 - 17:00
- Schätzwert:
-
EUR 30.000,- bis EUR 40.000,-
Girolamo Muziano
(Brescia 1532–1592 Rom)
Heilige Familie,
links unten bezeichnet mit Inventarnummer: 529,
Öl auf Leinwand, 100,5 x 76,5 cm, gerahmt
Rückseitig auf der Leinwand die Buchstaben „C.C.B.“
Provenienz:
europäische Privatsammlung
Wir danken Patrizia Tosini, die die Zuschreibung des vorliegenden Gemäldes bestätigt hat, für ihre Hilfe bei der Katalogisierung des Lots.
Tosini datiert das vorliegende Gemälde zwischen die Mitte der 1550er-Jahre und die frühen 1560er-Jahre und somit in die Zeit der ersten römischen Aufträge des Künstlers. Es bieten sich Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Werken dieser Jahre an, insbesondere mit jenen, die Muziano für Orvieto gemalt hat, darunter das Altarbild Erweckung des Lazarus für die Kathedrale der Stadt (1555/1556; siehe P. Tosini, Girolamo Muziano, 1532–1592, dalla maniera alla natura, Rom 2008, Kat.-Nr. A7, S. 86, Abb. 70) und die Fresken für die Bischofsresidenz von Girolamo Simoncelli im nahen Torre San Severo (1556–1559). Das Profil der Heiligen Jungfrau, das sich mit jenen der zwei Frauen in der Mitte des Altarbildes für Orvieto vergleichen lässt, die Farbigkeit der Gewänder, die ebenfalls ihren Widerhall fand, und der Kopf des heiligen Josef, der nach jenem der Personifikation des Winters im Deckenfresko des Salone della Caminata im Palazzo Simoncelli modelliert ist (siehe ebd., Kat.-Nr. A9, S. 340–343, Abb. 9.1.3), bis hin zur pulsierenden Ader auf der Schläfe des alten Mannes, die auch im Profil des heiligen Hieronymus in der Cappella Ruiz in Santa Caterina dei Funari in Rom wiederkehrt (siehe ebd., Kat.-Nr. A15, S. 184, Abb. 168), gehören Werken an, die dieselbe Monumentalität und „steinerne“ Bildsprache aufweisen, die auch das vorliegende Gemälde der Heiligen Familie bestimmen.
Das Sujet des Bildes, eine die Leiden Christi vorwegnehmende Heilige Familie mit Johannes dem Täufer, muss zum äußerst erfolgreichen Repertoire des Künstlers gehört haben. Er wiederholte das Sujet in mehreren Kompositionsvarianten, von denen einige durch Kupferstiche nach Entwürfen Muzianos dokumentiert sind (P. Tosini, ebd., S. 55, Abb. 45). In Muzianos Biografie wird eine „Madonna in Lebensgröße mit dem heiligen Josef, dem heiligen Johannes und unserem Erlöser, die Steine zur Andacht bewegen“ erwähnt („Una Madonna come al naturale con San Giosef S. Giovanni e il nostro Salvatore che muoverebbe le pietre a devozione“) (siehe U. Procacci, Una „vita“ inedita di Girolamo Muziano, in: Arte Veneta, 1954, S. 251 f.; siehe P. Tosini, op. cit., Kat.-Nr. D61, S. 487). Darüber hinaus befand sich 1686 ein Gemälde mit demselben Thema in der Sammlung des Maffeo Barberini im römischen Palast der Familie bei den Quattro Fontane (dieses weist auch dieselben Maße wie das vorliegende Gemälde auf, dessen geringfügig kleineres Format möglicherweise einer Neubespannung geschuldet ist; siehe Getty Provenance Index); ein weiteres Bild dieses Sujets befand sich im 19. Jahrhundert in der Villa Medici (ebd., Kat.-Nr. D55, S. 485).
Neben dem hier besprochenen Werk sind zurzeit zwei weitere Versionen dieser Komposition bekannt: Die eine ist in jeder Hinsicht mit dem vorliegenden Bild identisch. Offenkundig handelt es sich um eine eigenhändige Replik, die mithilfe desselben Kartons ausgeführt wurde (siehe ebd., Kat.-Nr. A2, S. 23). Die andere befindet sich in der Galleria Borghese, ist ebenfalls eigenhändig, aber durch Übermalungen eines Künstlers des späten 17. Jahrhunderts verunklärt (siehe P. Tosini, Palinsesto borghesiano: un Muziano „seicentesco“, in: Amica Veritas. Studi di storia dell’arte in onore di Claudio Strinati, hrsg. von A. Vannugli, Rom 2020, S. 525–532). Bis dato ist es nicht gelungen, die links unten erscheinende Nummer „529“ zu identifizieren, die offenbar auf das Inventarverzeichnis einer Sammlung verweist.
In der plastischen Auffassung des Bildes und seiner kühlen Farbigkeit offenbart sich Muzianos Festhalten an der manieristischen Kunst Roms der 1540er- und 1550er-Jahre, für die ihre führenden Vertreter Daniele da Volterra, Girolamo Siciolante und Taddeo Zuccari standen. Für den eleganten Kopf des heiligen Josef mit seinen gekräuselten Adern und dem weichen Haar, der das Erbe der Ausbildung des Künstlers verrät, dienten hingegen naturalistisch gemalte Werke Girolamo Savoldos und Domenico Campagnolas mit ihrer lombardischen und venezianischen Stimmung als Vorbild.
Girolamo Muziano (1532–1592) war einer der führenden Exponenten der Malerei des späten 16. Jahrhunderts. Er lernte in Brescia, Padua und Venedig in den Werkstätten von Lambert Sustris and Domenico Campagnola und ging in den 1550er-Jahren dank der Unterstützung der venezianischen Kardinäle Barbaro, Corner und Pisani nach Rom. Die wohlwollende Aufnahme in der Stadt verschaffte ihm prestigeträchtige Aufträge in Kirchen und Palästen führender aristokratischer Familien wie den Colonna, Gabrielli, Ruiz, Mattei und Della Valle. In den 1560er-Jahren wurde er Hofmaler von Ippolito II. d’Este, für den er in der berühmten Villa d’Este in Tivoli freskierte. Mit dem Beginn des Pontifikats von Gregor XIII. Boncompagni (1572–1585) wurde Muziano zum Organisator und Schöpfer der bedeutendsten Aufträge des Papstes, darunter die Ausmalungen der Cappella Gregoriana in Sankt Peter und der Galleria delle Carte Geografiche im Vatikanspalast. Der unverkennbare Stil seiner durch den venezianischen Realismus gemäßigten gegenreformatorischen Malerei sollte den Weg zu den größten Innovationen in der Malerei des frühen 17. Jahrhunderts ebnen.
Experte: Mark MacDonnell
Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403
old.masters@dorotheum.com
Käufer Hotline
Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
old.masters@dorotheum.at +43 1 515 60 403 |
Auktion: | Alte Meister I |
Auktionstyp: | Saalauktion mit Live Bidding |
Datum: | 09.11.2022 - 17:00 |
Auktionsort: | Wien | Palais Dorotheum |
Besichtigung: | 22.10. - 09.11.2022 |