Lot Nr. 14 -


Bernardino Luini und Werkstatt


Bernardino Luini und Werkstatt - Alte Meister

(Dumenza um 1481–1532 Mailand)
Kreuzigung,
Öl auf Holz, 91 x 73,2 cm, gerahmt

Rückseitig mit Datierung und Monogramm bezeichnet: 1519/B. L. F

Provenienz:
vermutlich Sammlung Vitaliano Crivelli (1806–1873) und Agostino Comerio (1784–1834), Mailand;
Sammlung Jacob Friedrich de Clerck (1769–1834), Wien, um 1810;
Sammlung Baron Johann Baptist Puthon (1773–1839), Wien;
Sammlung Eduard Hirschler, Wien;
Auktion, E. Hirschler & Comp., Wien, 2. April 1906, Lot 66 (als Bernardino Luini);
Sammlung Marcel Fleischmann (1891–1984), Zürich;
Auktion, Christie’s, London, 28. März 1969, Lot 65 (als Umkreis des Luini);
europäische Privatsammlung

Ausgestellt:
Mailand, Palazzo Reale, Il Cinquecento lombardo: da Leonardo a Caravaggio, 4. Oktober 2000 – 25. Februar 2001, Nr. III. 49 (als Bernardino Luini, mit den Maßen 95 x 75 cm)

Literatur:
T. von Frimmel, Geschichte der Wiener Gemäldesammlungen. Einleitung und Geschichte der Kaiserlichen Gemäldegalerie, Bd. 1,1, Leipzig 1899, S. 56 (als Frühwerk Bernardo Luinis);
T. von Frimmel, Geschichte der Wiener Gemäldesammlungen. Abschlussbände mit übersichtlichen Zusammenstellungen. Buchstabe A bis F, Bd. 1, München 1913, S. 258 (als Luini);
T. von Frimmel, Geschichte der Wiener Gemäldesammlungen. Abschlussbände mit übersichtlichen Zusammenstellungen. Buchstabe G bis L, Bd. 2, Munich 1914, S. 167 (als Bernardo Luini);
W. Angelelli, A. G. De Marchi, Pittura dal Duecento al primo Cinquecento nelle fotografie di Girolamo Bombelli, Mailand 1991, S. 188 (als Bernardino Luini, mit inkorrekter Provenienz);
G. Calegari, in: F. Caroli (Hrsg.), Il Cinquecento lombardo: da Leonardo a Caravaggio, Ausstellungskatalog, Mailand 2000, S. 168f., Kat.-Nr. III.49 (als Bernardino Luini, bis dato unpubliziertes Werk);
Tatiana Kustodieva, Susanna Zatti (Hrsg.), Leonardeschi. Da Foppa a Giampietrino: dipinti dall’Ermitage di San Pietroburgo e dai Musei Civici di Pavia, Mailand 2011, S. 60, Erwähnung unter Kat.-Nr. I.15 (als „un’altra composizione simile“);
C. Quattrini, Bernardino Luini: catalogo generale delle opere, Turin 2019, S. 328–330, Erwähnung unter Kat.-Nr. 121 (als Kopie und „terza versione“)

Das vorliegende Gemälde ist in der Fototeca Zeri unter Nr. 79686 registriert (als Bernardino Luini).

Mauro Lucco hält das vorliegende Gemälde für ein zur Gänze eigenhändiges Werk Bernardino Luinis und beabsichtigt es in eine in Vorbereitung befindliche Publikation aufzunehmen.

Das vorliegende Gemälde beruht auf einer Bernardino Luini zugeschriebenen und in der Größe nahezu identischen Kreuzigung (90 x 73,5 cm) in der Eremitage in Sankt Petersburg (Inv.-Nr. ГЭ-259). Auch das Gemälde der Eremitage war ursprünglich auf Holz gemalt, doch wurde es 1887 auf Leinwand übertragen. Eine weitere dokumentierte Fassung ist heute verloren; sie befand sich einst in der Sammlung Benigno Crespi und wurde 1914 verkauft (siehe G. Calegar in der Literatur; A. Venturi, La Galleria Crespi di Milano. Note e raffronti di Adolfo Venturi, Mailand 1900, S. 245–247, Abb. 46, 47). Cristina Quattrini führt das vorliegende Werk als „Kopie“ (siehe Literatur).

Lucco datiert das vorliegende Gemälde gegen das Ende der zweiten Dekade des 16. Jahrhunderts. Luini sollte auf die Gestalt des Gekreuzigten in einem ein Jahrzehnt danach zwischen 1528 und 1530 ausgeführten Fresko für die Kirche Santa Maria degli Angeli in Lugano zurückgreifen (siehe R. Charles, Bernardino Luini: Mailand, in: The Burlington Magazine, Bd. 156, Nr. 1338, September 2014, S. 626f.).

Die vorliegende Tafel zeigt den gekreuzigten Christus flankiert vom heiligen Paulus, von der Gottesmutter, vom heiligen Johannes und vom heiligen Franziskus, während Maria Magdalena das Kreuz unterhalb der Füße Christi umfasst. Die weite Landschaft, die sich hinter der heiligen Szenerie auftut, ist von Reitern und ihren täglichen Verrichtungen nachgehenden Figuren bevölkert. Hinter der Hügelkette im Mittelgrund erscheint eine Stadt mit antiken Gebäuden, deren Silhouetten sich am blauen Himmel abzeichnen; dahinter erheben sich Berge. Die Bezugnahmen zum Schaffen Leonardos vor allem in der Landschaft stehen auch für den lombardischen Realismus, wie er auch in Werken Bramantinos und Zanales zutage tritt.

Bernardino Luini wurde Anfang der 1480er-Jahre in Dumenza am Comer See geboren; seinen Ruf begründete er in der ersten Dekade des 16. Jahrhunderts in Mailand und Umgebung, als er für verschiedene kirchliche Auftraggeber tätig war, darunter die Kirche Santa Maria della Passione und die Abtei von Chiaravalle. Als in bester lombardischer Tradition stehender Freskenmaler arbeitete er auch ausgiebig als Tafelmaler, als der er ebenfalls meisterliche Ergebnisse hervorbrachte. Luini gelang die Verschmelzung häuslich-intim interpretierter leonardesker Einflüsse mit venezianischen Strömungen insbesondere von Künstlern der Terra Ferma wie Lorenzo Lotto und Cima da Conegliano.

Provenienz:
Bei dem vorliegenden Gemälde mag es sich um jenes Werk Luinis handeln, das als „rappresentante G. Cristo in croce ai piedi della quale havvi la B.V., S. Maria Madd. S. Gio. S. Paolo e S. Francesco“ [„Jesus Christus auf dem Kreuz mit der Gottesmutter, Maria Magdalena, Johannes, Paulus und Franziskus zu Füßen“] dokumentiert ist und sich einst im Besitz Vitaliano Crivellis (1806–1873) und des Malers Agostino Comerio (1784–1834) befand. Das Gemälde wurde von Crivelli 1834 vor Comerios Tod in einer Notiz erfasst (Archivio di Stato di Milano, Fondo Crivelli-Giulini, Crivelli, Araldica, 87 fasc. 21, n. 15). Die Provenienz des Gemäldes geht zum Teil aus einer Reihe von Aufklebern, Stempeln und Wachssiegeln auf der Rückseite der Tafel hervor. Rechts unten befindet sich neben der unteren Verstrebung ein Zollstempel, der auf die Abfertigung des Bildes durch die „dogana Ducato di Milano“ während der Regentschaft des österreichisch-ungarischen Kaisers Ferdinand I. als König der Lombardei und des Veneto zwischen 1838 und 1848 verweist.

Das vorliegende Werk befand sich in Wien bei Eduard Hirschler (1828–1891), dessen ovales Wachssiegel ebenfalls auf der Rückseite, unterhalb der oberen Verstrebung, erscheint. Es trägt die Inschrift „E. Hirschler & Comp“, auf einem Aufkleber befindet sich die Nummer „4488“. Hirschler spezialisierte sich an der Wiener Akademie der bildenden Künste als Stillleben- und Blumenmaler, doch war er ab 1873 als Kunsthändler tätig. Als solcher führte er eine Galerie mit dem Namen „E./ Hirschler/ & Comp“, die von seinen Söhnen Rudolf und Paul weitergeführt wurde. Das Werk wurde bei E. Hirschler & Co. am 2. April 1906 als Lot 66 versteigert (die Abbildung im Auktionskatalog zeigt das Gemälde ohne Totenschädel, der vermutlich damals noch übermalt war). Im Katalog ist die Provenienz mit „Clerk, Baron Pouthon“ angegeben. Auf der Rückseite finden sich zwei Wachssiegel: eines mit der Krone eines Barons, das andere mit den verschlungenen Buchstaben „J.P.B.“ in der Form eines Sammlermonogramms. Ein mit Maschine beschrifteter Zettel links oben dokumentiert das Gemälde als in der Sammlung Marcel Fleischmann befindlich.

Technische Untersuchung durch Gianluca Poldi:
Das Werk ist auf einer Holztafel gemalt, die eine durchschnittliche Stärke von weniger als 1 Zentimeter aufweist und im Verlauf der Holzfasern vertikal ausgemeißelt wurde. Die Rückseite befindet sich in einem ausgezeichneten Erhaltungszustand — nahezu ohne jeglichen Hinweis auf Holzwurmbefall – und trägt mehrere Wachssiegel. Mehrere Beschriftungen auf der Rückseite wurden mittels Multispektralanalyse genauer untersucht, wobei sich insbesondere mittels Fluoreszenzspektroskopie eine bessere Lesbarkeit der Jahreszahl „1519“ ergeben hat, welche den Initialen „B.L.F.“ vorangestellt ist; beides wurden mit einem Pinsel und derselben metallhaltigen Gallustinte geschrieben.

Was die Maloberfläche angeht, hat sich unter Röntgenstrahlung gezeigt, dass sich die größten Sprünge in jenen Bereichen befinden, die am weitesten von der Hauptachse entfernt sind. Die Ringe sind dort breiter und poröser und die periodischen mechanischen Schwingungen des Holzes demnach stärker. Ähnliche Sprünge lassen sich in Werken Bramantinos aus dem frühen 16. Jahrhundert feststellen.

Trotz der sorgfältigen, in zwei hohen Bandbreiten durchgeführten IR-Analyse hat sich kein Hinweis auf eine Unterzeichnung ergeben, obgleich es eine gegeben haben muss. Vermutlich wurde sie mit einem Medium ausgeführt, das unter IR-Strahlung größtenteils unsichtbar ist, etwa roter Kreide oder metallhaltiger Gallustinte. In manchen Details zeigen sich jedoch vor allem in der hohen Bandbreite von 1000–1700 nm einige dünne, schwach kontrastierende Linien, die man als Unterzeichnung werten könnte: entlang der Beine Jesu, an den Enden der Querstrebe des Kreuzes, entlang Maria Magdalenas Wange und im Bereich ihrer linken Hand sowie im Gesicht der Gottesmutter.

Interessant ist der Hinweis, dass bei bestimmten Werken Bernardino Luinis, die mit denselben Methoden untersucht wurden, in mehreren Fällen nur eine sehr eingeschränkte Unterzeichnung sichtbar geworden ist. Diese geringen oder fehlenden Hinweise auf eine unter der Malschicht liegende Zeichnung in der Infrarotspektroskopie sind typisch für leonardeske Maler, was auf eine ihnen gemeinsame Arbeitsweise hindeutet. Andererseits gibt es auch keine Übertragungsspuren, die für Kopiervorgänge oder die Übertragung der Darstellung mit anderen Mitteln sprechen würden. Die Abwesenheit solcher Zeichen deckt sich mit der bekannten Arbeitsweise Luinis.

Die die Landschaft bevölkernden kleinen Figuren scheinen „alla prima“ gemalt. Unter Röntgenstrahlung zeigt sich trotz Kontrastierung sehr wenig von der Malerei, wobei die unregelmäßige Absorption der Röntgenstrahlen durch die Tafel überwiegt. Unter Infrarotstrahlung sind hingegen minimale Anpassungen zu erkennen: im Kontur Christi, am Querbalken des Kreuzes, vermutlich im Profil Maria Magdalenas zum Kreuz hin sowie vermutlich bei einigen Gewändern.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com

03.05.2023 - 18:00

Erzielter Preis: **
EUR 310.750,-
Schätzwert:
EUR 200.000,- bis EUR 300.000,-

Bernardino Luini und Werkstatt


(Dumenza um 1481–1532 Mailand)
Kreuzigung,
Öl auf Holz, 91 x 73,2 cm, gerahmt

Rückseitig mit Datierung und Monogramm bezeichnet: 1519/B. L. F

Provenienz:
vermutlich Sammlung Vitaliano Crivelli (1806–1873) und Agostino Comerio (1784–1834), Mailand;
Sammlung Jacob Friedrich de Clerck (1769–1834), Wien, um 1810;
Sammlung Baron Johann Baptist Puthon (1773–1839), Wien;
Sammlung Eduard Hirschler, Wien;
Auktion, E. Hirschler & Comp., Wien, 2. April 1906, Lot 66 (als Bernardino Luini);
Sammlung Marcel Fleischmann (1891–1984), Zürich;
Auktion, Christie’s, London, 28. März 1969, Lot 65 (als Umkreis des Luini);
europäische Privatsammlung

Ausgestellt:
Mailand, Palazzo Reale, Il Cinquecento lombardo: da Leonardo a Caravaggio, 4. Oktober 2000 – 25. Februar 2001, Nr. III. 49 (als Bernardino Luini, mit den Maßen 95 x 75 cm)

Literatur:
T. von Frimmel, Geschichte der Wiener Gemäldesammlungen. Einleitung und Geschichte der Kaiserlichen Gemäldegalerie, Bd. 1,1, Leipzig 1899, S. 56 (als Frühwerk Bernardo Luinis);
T. von Frimmel, Geschichte der Wiener Gemäldesammlungen. Abschlussbände mit übersichtlichen Zusammenstellungen. Buchstabe A bis F, Bd. 1, München 1913, S. 258 (als Luini);
T. von Frimmel, Geschichte der Wiener Gemäldesammlungen. Abschlussbände mit übersichtlichen Zusammenstellungen. Buchstabe G bis L, Bd. 2, Munich 1914, S. 167 (als Bernardo Luini);
W. Angelelli, A. G. De Marchi, Pittura dal Duecento al primo Cinquecento nelle fotografie di Girolamo Bombelli, Mailand 1991, S. 188 (als Bernardino Luini, mit inkorrekter Provenienz);
G. Calegari, in: F. Caroli (Hrsg.), Il Cinquecento lombardo: da Leonardo a Caravaggio, Ausstellungskatalog, Mailand 2000, S. 168f., Kat.-Nr. III.49 (als Bernardino Luini, bis dato unpubliziertes Werk);
Tatiana Kustodieva, Susanna Zatti (Hrsg.), Leonardeschi. Da Foppa a Giampietrino: dipinti dall’Ermitage di San Pietroburgo e dai Musei Civici di Pavia, Mailand 2011, S. 60, Erwähnung unter Kat.-Nr. I.15 (als „un’altra composizione simile“);
C. Quattrini, Bernardino Luini: catalogo generale delle opere, Turin 2019, S. 328–330, Erwähnung unter Kat.-Nr. 121 (als Kopie und „terza versione“)

Das vorliegende Gemälde ist in der Fototeca Zeri unter Nr. 79686 registriert (als Bernardino Luini).

Mauro Lucco hält das vorliegende Gemälde für ein zur Gänze eigenhändiges Werk Bernardino Luinis und beabsichtigt es in eine in Vorbereitung befindliche Publikation aufzunehmen.

Das vorliegende Gemälde beruht auf einer Bernardino Luini zugeschriebenen und in der Größe nahezu identischen Kreuzigung (90 x 73,5 cm) in der Eremitage in Sankt Petersburg (Inv.-Nr. ГЭ-259). Auch das Gemälde der Eremitage war ursprünglich auf Holz gemalt, doch wurde es 1887 auf Leinwand übertragen. Eine weitere dokumentierte Fassung ist heute verloren; sie befand sich einst in der Sammlung Benigno Crespi und wurde 1914 verkauft (siehe G. Calegar in der Literatur; A. Venturi, La Galleria Crespi di Milano. Note e raffronti di Adolfo Venturi, Mailand 1900, S. 245–247, Abb. 46, 47). Cristina Quattrini führt das vorliegende Werk als „Kopie“ (siehe Literatur).

Lucco datiert das vorliegende Gemälde gegen das Ende der zweiten Dekade des 16. Jahrhunderts. Luini sollte auf die Gestalt des Gekreuzigten in einem ein Jahrzehnt danach zwischen 1528 und 1530 ausgeführten Fresko für die Kirche Santa Maria degli Angeli in Lugano zurückgreifen (siehe R. Charles, Bernardino Luini: Mailand, in: The Burlington Magazine, Bd. 156, Nr. 1338, September 2014, S. 626f.).

Die vorliegende Tafel zeigt den gekreuzigten Christus flankiert vom heiligen Paulus, von der Gottesmutter, vom heiligen Johannes und vom heiligen Franziskus, während Maria Magdalena das Kreuz unterhalb der Füße Christi umfasst. Die weite Landschaft, die sich hinter der heiligen Szenerie auftut, ist von Reitern und ihren täglichen Verrichtungen nachgehenden Figuren bevölkert. Hinter der Hügelkette im Mittelgrund erscheint eine Stadt mit antiken Gebäuden, deren Silhouetten sich am blauen Himmel abzeichnen; dahinter erheben sich Berge. Die Bezugnahmen zum Schaffen Leonardos vor allem in der Landschaft stehen auch für den lombardischen Realismus, wie er auch in Werken Bramantinos und Zanales zutage tritt.

Bernardino Luini wurde Anfang der 1480er-Jahre in Dumenza am Comer See geboren; seinen Ruf begründete er in der ersten Dekade des 16. Jahrhunderts in Mailand und Umgebung, als er für verschiedene kirchliche Auftraggeber tätig war, darunter die Kirche Santa Maria della Passione und die Abtei von Chiaravalle. Als in bester lombardischer Tradition stehender Freskenmaler arbeitete er auch ausgiebig als Tafelmaler, als der er ebenfalls meisterliche Ergebnisse hervorbrachte. Luini gelang die Verschmelzung häuslich-intim interpretierter leonardesker Einflüsse mit venezianischen Strömungen insbesondere von Künstlern der Terra Ferma wie Lorenzo Lotto und Cima da Conegliano.

Provenienz:
Bei dem vorliegenden Gemälde mag es sich um jenes Werk Luinis handeln, das als „rappresentante G. Cristo in croce ai piedi della quale havvi la B.V., S. Maria Madd. S. Gio. S. Paolo e S. Francesco“ [„Jesus Christus auf dem Kreuz mit der Gottesmutter, Maria Magdalena, Johannes, Paulus und Franziskus zu Füßen“] dokumentiert ist und sich einst im Besitz Vitaliano Crivellis (1806–1873) und des Malers Agostino Comerio (1784–1834) befand. Das Gemälde wurde von Crivelli 1834 vor Comerios Tod in einer Notiz erfasst (Archivio di Stato di Milano, Fondo Crivelli-Giulini, Crivelli, Araldica, 87 fasc. 21, n. 15). Die Provenienz des Gemäldes geht zum Teil aus einer Reihe von Aufklebern, Stempeln und Wachssiegeln auf der Rückseite der Tafel hervor. Rechts unten befindet sich neben der unteren Verstrebung ein Zollstempel, der auf die Abfertigung des Bildes durch die „dogana Ducato di Milano“ während der Regentschaft des österreichisch-ungarischen Kaisers Ferdinand I. als König der Lombardei und des Veneto zwischen 1838 und 1848 verweist.

Das vorliegende Werk befand sich in Wien bei Eduard Hirschler (1828–1891), dessen ovales Wachssiegel ebenfalls auf der Rückseite, unterhalb der oberen Verstrebung, erscheint. Es trägt die Inschrift „E. Hirschler & Comp“, auf einem Aufkleber befindet sich die Nummer „4488“. Hirschler spezialisierte sich an der Wiener Akademie der bildenden Künste als Stillleben- und Blumenmaler, doch war er ab 1873 als Kunsthändler tätig. Als solcher führte er eine Galerie mit dem Namen „E./ Hirschler/ & Comp“, die von seinen Söhnen Rudolf und Paul weitergeführt wurde. Das Werk wurde bei E. Hirschler & Co. am 2. April 1906 als Lot 66 versteigert (die Abbildung im Auktionskatalog zeigt das Gemälde ohne Totenschädel, der vermutlich damals noch übermalt war). Im Katalog ist die Provenienz mit „Clerk, Baron Pouthon“ angegeben. Auf der Rückseite finden sich zwei Wachssiegel: eines mit der Krone eines Barons, das andere mit den verschlungenen Buchstaben „J.P.B.“ in der Form eines Sammlermonogramms. Ein mit Maschine beschrifteter Zettel links oben dokumentiert das Gemälde als in der Sammlung Marcel Fleischmann befindlich.

Technische Untersuchung durch Gianluca Poldi:
Das Werk ist auf einer Holztafel gemalt, die eine durchschnittliche Stärke von weniger als 1 Zentimeter aufweist und im Verlauf der Holzfasern vertikal ausgemeißelt wurde. Die Rückseite befindet sich in einem ausgezeichneten Erhaltungszustand — nahezu ohne jeglichen Hinweis auf Holzwurmbefall – und trägt mehrere Wachssiegel. Mehrere Beschriftungen auf der Rückseite wurden mittels Multispektralanalyse genauer untersucht, wobei sich insbesondere mittels Fluoreszenzspektroskopie eine bessere Lesbarkeit der Jahreszahl „1519“ ergeben hat, welche den Initialen „B.L.F.“ vorangestellt ist; beides wurden mit einem Pinsel und derselben metallhaltigen Gallustinte geschrieben.

Was die Maloberfläche angeht, hat sich unter Röntgenstrahlung gezeigt, dass sich die größten Sprünge in jenen Bereichen befinden, die am weitesten von der Hauptachse entfernt sind. Die Ringe sind dort breiter und poröser und die periodischen mechanischen Schwingungen des Holzes demnach stärker. Ähnliche Sprünge lassen sich in Werken Bramantinos aus dem frühen 16. Jahrhundert feststellen.

Trotz der sorgfältigen, in zwei hohen Bandbreiten durchgeführten IR-Analyse hat sich kein Hinweis auf eine Unterzeichnung ergeben, obgleich es eine gegeben haben muss. Vermutlich wurde sie mit einem Medium ausgeführt, das unter IR-Strahlung größtenteils unsichtbar ist, etwa roter Kreide oder metallhaltiger Gallustinte. In manchen Details zeigen sich jedoch vor allem in der hohen Bandbreite von 1000–1700 nm einige dünne, schwach kontrastierende Linien, die man als Unterzeichnung werten könnte: entlang der Beine Jesu, an den Enden der Querstrebe des Kreuzes, entlang Maria Magdalenas Wange und im Bereich ihrer linken Hand sowie im Gesicht der Gottesmutter.

Interessant ist der Hinweis, dass bei bestimmten Werken Bernardino Luinis, die mit denselben Methoden untersucht wurden, in mehreren Fällen nur eine sehr eingeschränkte Unterzeichnung sichtbar geworden ist. Diese geringen oder fehlenden Hinweise auf eine unter der Malschicht liegende Zeichnung in der Infrarotspektroskopie sind typisch für leonardeske Maler, was auf eine ihnen gemeinsame Arbeitsweise hindeutet. Andererseits gibt es auch keine Übertragungsspuren, die für Kopiervorgänge oder die Übertragung der Darstellung mit anderen Mitteln sprechen würden. Die Abwesenheit solcher Zeichen deckt sich mit der bekannten Arbeitsweise Luinis.

Die die Landschaft bevölkernden kleinen Figuren scheinen „alla prima“ gemalt. Unter Röntgenstrahlung zeigt sich trotz Kontrastierung sehr wenig von der Malerei, wobei die unregelmäßige Absorption der Röntgenstrahlen durch die Tafel überwiegt. Unter Infrarotstrahlung sind hingegen minimale Anpassungen zu erkennen: im Kontur Christi, am Querbalken des Kreuzes, vermutlich im Profil Maria Magdalenas zum Kreuz hin sowie vermutlich bei einigen Gewändern.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
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Auktion: Alte Meister
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 03.05.2023 - 18:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 22.04. - 03.05.2023


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