Lot Nr. 76 -


Meister des Doria Pamphilj Narziss und Endymion, gen. Maestro Ovidiano Doria Pamphilj


(Rom tätig im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert)
Leda und der Schwan,
Öl auf Leinwand, 170 x 217 cm, gerahmt

Wir danken Francesco Petrucci und Andrea G. De Marchi für ihre Hilfe bei der Katalogisierung des vorliegenden Gemäldes. Ein schriftliches Gutachten von Andrea G. De Marchi liegt diesem Lot bei.

Francesco Petrucci hält das vorliegende Gemälde für ein Werk von derselben Hand wie die beiden in der Sala dei Velluti im Palazzo Doria Pamphilj in Rom befindlichen Kompositionen: Narziss am Brunnen (Öl auf Leinwand, 218 x 172 cm, Inv.-Nr. FC 149) und Diana und Endymion (Öl auf Leinwand, 215 x 166 cm, Inv.-Nr. FC 144).

Andrea G. De Marchi hat unabhängig von Letzterem denselben Vergleich angestellt. Er plant die Szenen der Doria Pamphilj und das vorliegende Gemälde in einer künftigen Publikation unter dem Namen „Maestro Ovidiano Doria Pamhilj“ zu einer Gruppe zusammenzufassen.

Die Zuschreibung der beiden Gemälde der Doria Pamphilj war Gegenstand kunsthistorischer Debatten. Salvatore Tonci schrieb in seinem ersten Führer der Galerie von 1791 Diana und Endymion Rubens und den Narziss Guido Cagnacci zu (siehe S. Tonci, Descrizione ragionata della Galleria Doria, preceduta da un breve saggio di pittura, Rom 1791, S. 75, 196f.). Das Bild Diana und Endymion wurde später von Faldi Pier Francesco Mola gegeben (siehe I. Faldi, Palazzo Pamphilj al Collegio Romano, Rom 1957, S. 18). Andrea G. De Marchi hat erwogen, dass es sich bei dem noch unidentifizierten Künstler um den jungen Ventura Lamberti handeln könnte (siehe A. G. De Marchi, Collezione Doria Pamphilj, catalogo generale dei dipinti, Cinisello Balsamo/Mailand 2016, S. 239).

Ventura Lamberti (um 1653–1721) wurde in Carpi geboren und nach einigen Jahren in Modena Schüler von Carlo Cignani in Rom. Dort verkehrt er im Haus des Marchese Gabrieli. De Marchi erwähnt ein Gemälde mit Diana und Endymion von ähnlichen Abmessungen wie das Gemälde der Galleria Doria Pamphilj, das 1730 von Lione Pascoli als Werk Lambertis für diesen bedeutenden frühen Mäzen beschrieben wurde (L. Pascoli, Vite de pittori, scultori, ed architetti moderni, Rom 1730, S. 769). Von diesem Gemälde gibt es heute keine Spur, und es wäre daher naheliegend, es mit dem Endymion der hier besprochenen Gruppe zu identifizieren. Ventura Lamberti war zudem ein enger Freund des Komponisten Arcangelo Corelli, der jahrelang in den Diensten von Kardinal Benedetto Pamphilj stand. Es wäre schön, die gesamte Gruppe einem Künstler zuschreiben zu können, der sich ansonsten vor allem der christlichen Ikonografie widmete. In Rom malte Lamberti für die Chiesa dello Spirito Santo dei Napoletani die Erweckung eines toten Kindes durch den heiligen Franziskus von Paola sowie mehrere Kartons für Ottavianis Mosaike des heiligen Petrus. Seine Madonna mit Kind und dem heiligen Hieronymus wurde von Ludovico Dorigny gestochen. Zu seinen Schülern gehörte Marco Benefial.

De Marchi hat auch den jungen Benefial als möglichen Künstler für die sogenannte Ovid’sche Gruppe diskutiert. Später arbeitete Benefial für Camillo Pamphilj den Jüngeren. So schuf er um 1713 ein Gemälde, das die allegorischen Personifikationen der Künste im Ballsaal des Palazzo Doria Pamphilj darstellt. De Marchi erwog kurz eine mögliche Zuschreibung an Daniel Seiter, zieht jedoch die vorläufige Identifizierung des Künstlers mit Ventura Lamberti vor. Es wurde in Betracht gezogen, dass der wunderschön gemalte Weinkrug mit seiner schimmernden Oberfläche das Werk eines zweiten Künstlers sein könnte, der an der Ausführung des vorliegenden Gemäldes beteiligt war, wobei Carlo Manieri (um 1662–1700) als wahrscheinlichster Kandidat diskutiert wird. Als abschließende Überlegung zur Frage der Zuschreibung der Gruppe, die von sehr hoher Qualität ist, ist es vielleicht erwähnenswert, dass De Marchi ein Gemälde des Narziss mit ähnlichen Abmessungen wie das in der Sala dei Velluti erwähnt, das bereits 1682 als Gemeinschaftswerk von Carlo Maratta (1625–1713) und Crescenzio Onofri (1632–1712) beschrieben wurde (siehe A. G. De Marchi 2016, S. 239).

Die beiden Gemälde in der Galleria Doria Pamphilj in Rom wurden 1716 von Camillo Filippo Pamphilj erworben und sind in dem nach Camillos Tod 1747 erstellten Inventarverzeichnis beschrieben: „Due quadri, uno [...] Indimione, e Diana, e l’altro narciso con un putto“ (siehe A. G. De Marchi 2016, S. 239). Camillo Filippo Pamphilj (Rom 1675–1747) war der Sohn von Giambattista Pamphilj und dessen Frau Violante Facchinetti. Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1717 wurde er 3. Principe di San Martino al Cimino e Valmontone. Er war ein gefeierter Kunstsammler und Förderer der Musik und unterstützte auch öffentliche und kirchliche Einrichtungen wie Sant’Agnese in Agone auf der Piazza Navona. Zu seinen Lebzeiten erweiterte sich die Familiensammlung erheblich und umfasste Werke von Lionello Spada, Francesco Solimena sowie von „artisti stranieri“ wie Cornelis de Vos und Jacob van Loo (siehe A. G. De Marchi, Il Fascino dell’esotico in un bastimento di quadri per Camillo Pamphilj Junior, in: Bollettino d’arte, Reihe VII, Nr. 22, 23, S. 237–246). Es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch das vorliegende Gemälde einst zur Pamphilj-Sammlung gehörte, aus dieser aber vor dem Tod von Camillo Filippo Pamphilj im Jahr 1747 ausschied. Als zweifelsohne gewagtestes Gemälde der Gruppe teilt Leda dieses Schicksal mit anderen Gemälden, die aus verschiedenen Gründen verstreut wurden.

Alle drei Gemälde der Gruppe weisen vergleichbare Merkmale auf. Sie sind alle ihrem Wesen nach von sinnlichem Charakter (Narziss, so argumentierte De Marchi 1999, wurde höchstwahrscheinlich mit einem nachträglich gemalten Mantel verhüllt, um das Bild zu „zensieren“; siehe A. G. De Marchi, Il Palazzo Doria Pamphilj al Corso e le sue collezioni, Florenz 1999, S. 217). Die Kompositionen sind allesamt in einer dunklen, stimmungsvollen Landschaft angesiedelt, die stark an die Gemälde von Pier Francesco Mola erinnert. Auch in der Wiedergabe des Inkarnats, der üppigen Stofflichkeit und der goldenen Oberflächen sind sie einander verwandt. Interessanterweise befindet sich in der National Gallery in London ein kleines Gemälde, das dem „Stil von Mola“ zugeschrieben wird und eine sehr ähnliche Komposition wie die vorliegende Leda aufweist (Öl auf Leinwand, 38,6 x 50,1 cm, Inv.-Nr. NG151.1). Die drei Gemälde der Gruppe sind von auffallend ähnlicher Größe, auch wenn die beiden Gemälde in Rom im Hochformat und die Leda im Querformat gemalt sind.

Der Stoff von Leda und dem Schwan ist einer der bekanntesten Mythen der griechischen und römischen Antike. Antike Autoren wie Homer (Odyssee) und Ovid (Metamorphosen) transportierten ihn in die Neuzeit, und zusammen mit antiken Artefakten, die nach und nach wiederentdeckt wurden, lieferten sie ab dem 14. Jahrhundert die Grundlage für die künstlerische Bearbeitung des Themas. So ist beispielsweise bekannt, dass Lorenzo de’ Medici im Besitz einer antiken Kamee und eines Marmorreliefs mit der Darstellung von Leda und dem Schwan war. Als klassizistisches Thema mit erotischen Untertönen trat es in der italienischen Renaissance ab 1500 in den Vordergrund. Einige der berühmtesten Künstler behandelten das Thema während des gesamten 16. Jahrhunderts, darunter Leonardo (siehe zum Beispiel seine Zeichnung auf Papier, um 1503–1510, Devonshire Collection, Chatsworth), Michelangelo (1529, das Originalgemälde ist verloren, aber durch mehrere Kopien bekannt, etwa die Version in der National Gallery in London, Inv.-Nr. NG1868) und Correggio (um 1532, Staatliche Museen zu Berlin, Inv.-Nr. 218). Die dem klassischen Thema innewohnende erotische Konnotation, die im damaligen christlichen Europa im Rahmen des künstlerischen Ausdrucks gestattet war, machte es zu einem höchst beliebten Sujet in Malerei und Bildhauerei.

Den antiken Quellen zufolge war Leda die Tochter des Königs Thestius von Ätolien. Sie heiratete König Tyndareus und wurde dadurch zur Königin von Sparta. Der Göttervater Zeus war für seine unehelichen Kinder und seine legendäre Untreue bekannt, sehr zum Verdruss seiner Gemahlin Hera. Dabei half ihm, dass er sein Aussehen nach Belieben verändern konnte. Dem Mythos zufolge war Zeus von Ledas Schönheit bezaubert, erschien ihr in Gestalt eines Schwans und verführte sie. In derselben Nacht wurde Leda auch von ihrem Ehemann aufgesucht, und als Ergebnis dieser beiden Vereinigungen gebar Leda zwei Paar Zwillinge, von denen eines von Tyndareus und das andere von Zeus gezeugt worden waren: die Dioskuren Kastor und Pollux sowie Klytämnestra und Helena, die spätere Helena von Troja.

Von den zahlreichen Versionen des Mythos stellt das vorliegende Gemälde die am häufigsten dargestellte Szene dar: Zeus nähert sich Leda in der Gestalt eines Schwans und verführt sie. Der Schauplatz ist ein Hain am Ufer des Flusses Eurotas. Im Vordergrund ruht Leda, die bis auf einen ihr geflochtenes Haar haltenden blauen Haarreif völlig nackt ist, auf einem auf dem Boden ausgebreiteten weißen Laken. Die helle, weiche Haut und das weiße Federkleid sind im Spiel von Licht und Schatten fein modelliert. Die jüngste Reinigung des vorliegenden Gemäldes hat diese künstlerischen Qualitäten wieder zum Vorschein gebracht. Oberkörper und rechter Arm Ledas sind auf ein Kissen gestützt, das rechte Bein ist angewinkelt. Das linke ist verkürzt dargestellt und umschließt den Körper des Schwans. Dabei ergreift sie einen Flügel, wobei ihre Nase und der Schnabel des Schwans im Begriff sind, sich zu berühren. Die Szene ist sehr gefühlvoll interpretiert: Zur sanften Berührung der Köpfe gesellt sich Ledas Lächeln und Zeus’ zurückhaltender Gestus. Links hinter der Gruppe erscheint Amor, erkennbar an seinen Flügeln und dem Riemen seines Köchers, der in seiner Funktion als Liebesgott auf Leda und Zeus hindeutet.

Im Vordergrund der Komposition befindet sich ein fein gestalteter Weinkrug aus Bronze, der auf einem Faltenwurf aus rotem Samt zu liegen gekommen ist. Auf der Krugwand ist eine Szene dargestellt, die den Betrachter abermals in die Welt der antiken Mythen entführt: In der Mitte ist Merkur mit seinem geflügelten Helm zu erkennen, der mit angewinkeltem Bein vor einer schlafenden männlichen Figur Flöte spielt. Hinter ihm befinden sich Kopf und Torso einer Kuh. Der Dreiklang dieser Figuren bezeugt, dass die vorliegende Szene auf die Legende von Io zurückgeht. Zeus verliebte sich in Io, eine Priesterin der Hera, und verführte sie, ähnlich wie er es mit Leda tat. Seine eifersüchtige Frau Hera hatte dies jedoch bemerkt. Um seine Untreue zu vertuschen, verwandelte Zeus Io in eine Kuh. Hera entdeckte dies und verlangte die Kuh als Geschenk, was Zeus nicht ablehnen konnte. Hera ließ den hundertäugigen Riesen Argos die Kuh bewachen. Aus Mitleid mit Io schickte Zeus den Götterboten Hermes zu Argos, mit dem Auftrag, ihn zu töten. Hermes schläferte Argos ein, indem er auf seiner Flöte spielte, so dass Io entkommen konnte. Als „Bild im Bild“ wird auf dem vorliegenden Gemälde eine weitere Liebesgeschichte des Zeus dargestellt. Unklar ist, ob mit dieser Parallele zweier Metamorphosen eine moralisierende Aussage beabsichtigt war.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403

old.masters@dorotheum.com

25.10.2023 - 18:00

Erzielter Preis: **
EUR 268.375,-
Schätzwert:
EUR 80.000,- bis EUR 120.000,-

Meister des Doria Pamphilj Narziss und Endymion, gen. Maestro Ovidiano Doria Pamphilj


(Rom tätig im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert)
Leda und der Schwan,
Öl auf Leinwand, 170 x 217 cm, gerahmt

Wir danken Francesco Petrucci und Andrea G. De Marchi für ihre Hilfe bei der Katalogisierung des vorliegenden Gemäldes. Ein schriftliches Gutachten von Andrea G. De Marchi liegt diesem Lot bei.

Francesco Petrucci hält das vorliegende Gemälde für ein Werk von derselben Hand wie die beiden in der Sala dei Velluti im Palazzo Doria Pamphilj in Rom befindlichen Kompositionen: Narziss am Brunnen (Öl auf Leinwand, 218 x 172 cm, Inv.-Nr. FC 149) und Diana und Endymion (Öl auf Leinwand, 215 x 166 cm, Inv.-Nr. FC 144).

Andrea G. De Marchi hat unabhängig von Letzterem denselben Vergleich angestellt. Er plant die Szenen der Doria Pamphilj und das vorliegende Gemälde in einer künftigen Publikation unter dem Namen „Maestro Ovidiano Doria Pamhilj“ zu einer Gruppe zusammenzufassen.

Die Zuschreibung der beiden Gemälde der Doria Pamphilj war Gegenstand kunsthistorischer Debatten. Salvatore Tonci schrieb in seinem ersten Führer der Galerie von 1791 Diana und Endymion Rubens und den Narziss Guido Cagnacci zu (siehe S. Tonci, Descrizione ragionata della Galleria Doria, preceduta da un breve saggio di pittura, Rom 1791, S. 75, 196f.). Das Bild Diana und Endymion wurde später von Faldi Pier Francesco Mola gegeben (siehe I. Faldi, Palazzo Pamphilj al Collegio Romano, Rom 1957, S. 18). Andrea G. De Marchi hat erwogen, dass es sich bei dem noch unidentifizierten Künstler um den jungen Ventura Lamberti handeln könnte (siehe A. G. De Marchi, Collezione Doria Pamphilj, catalogo generale dei dipinti, Cinisello Balsamo/Mailand 2016, S. 239).

Ventura Lamberti (um 1653–1721) wurde in Carpi geboren und nach einigen Jahren in Modena Schüler von Carlo Cignani in Rom. Dort verkehrt er im Haus des Marchese Gabrieli. De Marchi erwähnt ein Gemälde mit Diana und Endymion von ähnlichen Abmessungen wie das Gemälde der Galleria Doria Pamphilj, das 1730 von Lione Pascoli als Werk Lambertis für diesen bedeutenden frühen Mäzen beschrieben wurde (L. Pascoli, Vite de pittori, scultori, ed architetti moderni, Rom 1730, S. 769). Von diesem Gemälde gibt es heute keine Spur, und es wäre daher naheliegend, es mit dem Endymion der hier besprochenen Gruppe zu identifizieren. Ventura Lamberti war zudem ein enger Freund des Komponisten Arcangelo Corelli, der jahrelang in den Diensten von Kardinal Benedetto Pamphilj stand. Es wäre schön, die gesamte Gruppe einem Künstler zuschreiben zu können, der sich ansonsten vor allem der christlichen Ikonografie widmete. In Rom malte Lamberti für die Chiesa dello Spirito Santo dei Napoletani die Erweckung eines toten Kindes durch den heiligen Franziskus von Paola sowie mehrere Kartons für Ottavianis Mosaike des heiligen Petrus. Seine Madonna mit Kind und dem heiligen Hieronymus wurde von Ludovico Dorigny gestochen. Zu seinen Schülern gehörte Marco Benefial.

De Marchi hat auch den jungen Benefial als möglichen Künstler für die sogenannte Ovid’sche Gruppe diskutiert. Später arbeitete Benefial für Camillo Pamphilj den Jüngeren. So schuf er um 1713 ein Gemälde, das die allegorischen Personifikationen der Künste im Ballsaal des Palazzo Doria Pamphilj darstellt. De Marchi erwog kurz eine mögliche Zuschreibung an Daniel Seiter, zieht jedoch die vorläufige Identifizierung des Künstlers mit Ventura Lamberti vor. Es wurde in Betracht gezogen, dass der wunderschön gemalte Weinkrug mit seiner schimmernden Oberfläche das Werk eines zweiten Künstlers sein könnte, der an der Ausführung des vorliegenden Gemäldes beteiligt war, wobei Carlo Manieri (um 1662–1700) als wahrscheinlichster Kandidat diskutiert wird. Als abschließende Überlegung zur Frage der Zuschreibung der Gruppe, die von sehr hoher Qualität ist, ist es vielleicht erwähnenswert, dass De Marchi ein Gemälde des Narziss mit ähnlichen Abmessungen wie das in der Sala dei Velluti erwähnt, das bereits 1682 als Gemeinschaftswerk von Carlo Maratta (1625–1713) und Crescenzio Onofri (1632–1712) beschrieben wurde (siehe A. G. De Marchi 2016, S. 239).

Die beiden Gemälde in der Galleria Doria Pamphilj in Rom wurden 1716 von Camillo Filippo Pamphilj erworben und sind in dem nach Camillos Tod 1747 erstellten Inventarverzeichnis beschrieben: „Due quadri, uno [...] Indimione, e Diana, e l’altro narciso con un putto“ (siehe A. G. De Marchi 2016, S. 239). Camillo Filippo Pamphilj (Rom 1675–1747) war der Sohn von Giambattista Pamphilj und dessen Frau Violante Facchinetti. Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1717 wurde er 3. Principe di San Martino al Cimino e Valmontone. Er war ein gefeierter Kunstsammler und Förderer der Musik und unterstützte auch öffentliche und kirchliche Einrichtungen wie Sant’Agnese in Agone auf der Piazza Navona. Zu seinen Lebzeiten erweiterte sich die Familiensammlung erheblich und umfasste Werke von Lionello Spada, Francesco Solimena sowie von „artisti stranieri“ wie Cornelis de Vos und Jacob van Loo (siehe A. G. De Marchi, Il Fascino dell’esotico in un bastimento di quadri per Camillo Pamphilj Junior, in: Bollettino d’arte, Reihe VII, Nr. 22, 23, S. 237–246). Es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch das vorliegende Gemälde einst zur Pamphilj-Sammlung gehörte, aus dieser aber vor dem Tod von Camillo Filippo Pamphilj im Jahr 1747 ausschied. Als zweifelsohne gewagtestes Gemälde der Gruppe teilt Leda dieses Schicksal mit anderen Gemälden, die aus verschiedenen Gründen verstreut wurden.

Alle drei Gemälde der Gruppe weisen vergleichbare Merkmale auf. Sie sind alle ihrem Wesen nach von sinnlichem Charakter (Narziss, so argumentierte De Marchi 1999, wurde höchstwahrscheinlich mit einem nachträglich gemalten Mantel verhüllt, um das Bild zu „zensieren“; siehe A. G. De Marchi, Il Palazzo Doria Pamphilj al Corso e le sue collezioni, Florenz 1999, S. 217). Die Kompositionen sind allesamt in einer dunklen, stimmungsvollen Landschaft angesiedelt, die stark an die Gemälde von Pier Francesco Mola erinnert. Auch in der Wiedergabe des Inkarnats, der üppigen Stofflichkeit und der goldenen Oberflächen sind sie einander verwandt. Interessanterweise befindet sich in der National Gallery in London ein kleines Gemälde, das dem „Stil von Mola“ zugeschrieben wird und eine sehr ähnliche Komposition wie die vorliegende Leda aufweist (Öl auf Leinwand, 38,6 x 50,1 cm, Inv.-Nr. NG151.1). Die drei Gemälde der Gruppe sind von auffallend ähnlicher Größe, auch wenn die beiden Gemälde in Rom im Hochformat und die Leda im Querformat gemalt sind.

Der Stoff von Leda und dem Schwan ist einer der bekanntesten Mythen der griechischen und römischen Antike. Antike Autoren wie Homer (Odyssee) und Ovid (Metamorphosen) transportierten ihn in die Neuzeit, und zusammen mit antiken Artefakten, die nach und nach wiederentdeckt wurden, lieferten sie ab dem 14. Jahrhundert die Grundlage für die künstlerische Bearbeitung des Themas. So ist beispielsweise bekannt, dass Lorenzo de’ Medici im Besitz einer antiken Kamee und eines Marmorreliefs mit der Darstellung von Leda und dem Schwan war. Als klassizistisches Thema mit erotischen Untertönen trat es in der italienischen Renaissance ab 1500 in den Vordergrund. Einige der berühmtesten Künstler behandelten das Thema während des gesamten 16. Jahrhunderts, darunter Leonardo (siehe zum Beispiel seine Zeichnung auf Papier, um 1503–1510, Devonshire Collection, Chatsworth), Michelangelo (1529, das Originalgemälde ist verloren, aber durch mehrere Kopien bekannt, etwa die Version in der National Gallery in London, Inv.-Nr. NG1868) und Correggio (um 1532, Staatliche Museen zu Berlin, Inv.-Nr. 218). Die dem klassischen Thema innewohnende erotische Konnotation, die im damaligen christlichen Europa im Rahmen des künstlerischen Ausdrucks gestattet war, machte es zu einem höchst beliebten Sujet in Malerei und Bildhauerei.

Den antiken Quellen zufolge war Leda die Tochter des Königs Thestius von Ätolien. Sie heiratete König Tyndareus und wurde dadurch zur Königin von Sparta. Der Göttervater Zeus war für seine unehelichen Kinder und seine legendäre Untreue bekannt, sehr zum Verdruss seiner Gemahlin Hera. Dabei half ihm, dass er sein Aussehen nach Belieben verändern konnte. Dem Mythos zufolge war Zeus von Ledas Schönheit bezaubert, erschien ihr in Gestalt eines Schwans und verführte sie. In derselben Nacht wurde Leda auch von ihrem Ehemann aufgesucht, und als Ergebnis dieser beiden Vereinigungen gebar Leda zwei Paar Zwillinge, von denen eines von Tyndareus und das andere von Zeus gezeugt worden waren: die Dioskuren Kastor und Pollux sowie Klytämnestra und Helena, die spätere Helena von Troja.

Von den zahlreichen Versionen des Mythos stellt das vorliegende Gemälde die am häufigsten dargestellte Szene dar: Zeus nähert sich Leda in der Gestalt eines Schwans und verführt sie. Der Schauplatz ist ein Hain am Ufer des Flusses Eurotas. Im Vordergrund ruht Leda, die bis auf einen ihr geflochtenes Haar haltenden blauen Haarreif völlig nackt ist, auf einem auf dem Boden ausgebreiteten weißen Laken. Die helle, weiche Haut und das weiße Federkleid sind im Spiel von Licht und Schatten fein modelliert. Die jüngste Reinigung des vorliegenden Gemäldes hat diese künstlerischen Qualitäten wieder zum Vorschein gebracht. Oberkörper und rechter Arm Ledas sind auf ein Kissen gestützt, das rechte Bein ist angewinkelt. Das linke ist verkürzt dargestellt und umschließt den Körper des Schwans. Dabei ergreift sie einen Flügel, wobei ihre Nase und der Schnabel des Schwans im Begriff sind, sich zu berühren. Die Szene ist sehr gefühlvoll interpretiert: Zur sanften Berührung der Köpfe gesellt sich Ledas Lächeln und Zeus’ zurückhaltender Gestus. Links hinter der Gruppe erscheint Amor, erkennbar an seinen Flügeln und dem Riemen seines Köchers, der in seiner Funktion als Liebesgott auf Leda und Zeus hindeutet.

Im Vordergrund der Komposition befindet sich ein fein gestalteter Weinkrug aus Bronze, der auf einem Faltenwurf aus rotem Samt zu liegen gekommen ist. Auf der Krugwand ist eine Szene dargestellt, die den Betrachter abermals in die Welt der antiken Mythen entführt: In der Mitte ist Merkur mit seinem geflügelten Helm zu erkennen, der mit angewinkeltem Bein vor einer schlafenden männlichen Figur Flöte spielt. Hinter ihm befinden sich Kopf und Torso einer Kuh. Der Dreiklang dieser Figuren bezeugt, dass die vorliegende Szene auf die Legende von Io zurückgeht. Zeus verliebte sich in Io, eine Priesterin der Hera, und verführte sie, ähnlich wie er es mit Leda tat. Seine eifersüchtige Frau Hera hatte dies jedoch bemerkt. Um seine Untreue zu vertuschen, verwandelte Zeus Io in eine Kuh. Hera entdeckte dies und verlangte die Kuh als Geschenk, was Zeus nicht ablehnen konnte. Hera ließ den hundertäugigen Riesen Argos die Kuh bewachen. Aus Mitleid mit Io schickte Zeus den Götterboten Hermes zu Argos, mit dem Auftrag, ihn zu töten. Hermes schläferte Argos ein, indem er auf seiner Flöte spielte, so dass Io entkommen konnte. Als „Bild im Bild“ wird auf dem vorliegenden Gemälde eine weitere Liebesgeschichte des Zeus dargestellt. Unklar ist, ob mit dieser Parallele zweier Metamorphosen eine moralisierende Aussage beabsichtigt war.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
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Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
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Auktion: Alte Meister
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 25.10.2023 - 18:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 14.10. - 25.10.2023


** Kaufpreis inkl. Käufergebühr und Mehrwertsteuer(für Lieferland Österreich)

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