Lot Nr. 116 -


Johann Heinrich Tischbein der Ältere


(Haina 1722–1789 Kassel)
Porträt von Wilhelmine Caroline Amalie (1757–1838), der Tochter des Künstlers, als Allegorie der Malerei,
Öl auf Leinwand, 54 x 42 cm, gerahmt 

Wir danken Anna-Charlotte Flohr, die die Zuschreibung bestätigt hat, für die Bestimmung der Dargestellten. Ihr ausführliches schriftliches Gutachten liegt dem vorliegenden Los bei. 

Tischbeins älteste Tochter, Wilhelmine Caroline Amalie, stand dem Künstler besonders nahe. Das vorliegende kürzlich wiederentdeckte Porträt ist ein seltenes, intimes und persönliches Zeugnis. Die junge Tochter, die auch selbst künstlerisch tätig war, ist mit Pinsel und Palette vor Staffelei und Leinwand abgebildet. Bekleidet ist sie mit einem locker aufgeknöpften Hemd, einem Schal und einem bläulichen Mantel. Ihr Haar ist einfach frisiert und mit einem Band zusammengebunden. Die gesamte Szenerie vermittelt ein Gefühl häuslicher Intimität. Es ist unklar, ob das Gemälde lediglich als Künstlerporträt oder im weiteren Sinne als Allegorie der Malerei gedacht war. Tischbein hatte als junger Vater mehrere Schicksalsschläge zu verkraften. Er verlor sowohl seine erste Frau Marie Sophie Robert im Jahr 1759 als auch seine zweite Frau Anne Marie Pernette im Jahr 1763. Diese persönlichen Tragödien mögen seine Beziehung zu seinen beiden jungen Töchtern vertieft haben.

Wilhelmine Caroline Amalie heiratete David Philipp von Apell (1754–1833), der Direktor des Kasseler Hoftheaters wurde. Sie stellte ihre Werke in der Kasseler Akademie aus und wurde von Zeitgenossen wie dem Dichter Christoph Martin Wieland gefeiert, der ihr ein Poem widmete, in dem er ein Selbstporträt pries, das sie ihm geschickt hatte (siehe W. Sucher, „Amalie Tischbein, verh. von Apell (1756–1839)“, in: M. Sitt (Hrsg.), Aufgedeckt: Malerinnen im Umfeld Tischbeins und der Kasseler Kunstakademie, Hamburg 2016, S. 27). Wieland hatte sie 1775 in Weimar kennengelernt (siehe C. M. Wieland, „An Mademoiselle Amalia Tischbein, als sie mir ihr von ihr selbst gemaltes Bildnis übersandte“, in: Der Teutsche Merkur, Bd. 30, Weimar 1776, S. 10).

Tischbein hat seine Lieblingstochter mehrfach dargestellt und sie offenbar auch in einige seiner größeren Historienbilder einbezogen. Nahezu alle bekannten Darstellungen Amalias zeigen sie aus einem ähnlichen Blickwinkel: Ein Gemälde mit dem Titel La Silence (Die Stille) im Schloss Fasanerie in Fulda zeigt sie in einer sehr ähnlichen Pose, und zudem taucht sie auf einer in Kassel befindlichen in Rötel ausgeführten Vorzeichnung auf (Hessische Hausstiftung, Eichenzell, Inv.-Nr. FAS B 241; und Graphische Sammlung, MHK, Inv.-Nr. GS 453 a). Vergleichbar ist auch ihr Bildnis mit Fächer, das sich in der Gemäldegalerie Alte Meister in Kassel befindet (Inv.-Nr. LM 1940/481). Auch auf Tischbeins berühmtem Familienporträt, von dem es zumindest zwei Versionen gegeben haben muss, ist sie noch einmal in der vertrauten Haltung zu sehen: Die eine Fassung ist ein kleinformatiges Gemälde im Niedersächsischen Landesmuseum, Hannover (Inv.-Nr. PAM 976), eine größere Variante wurde kürzlich im deutschen Kunsthandel versteigert (siehe Auktion, Lempertz, Köln, 14. November 2020, Los 2028). Das ehemals in Berlin befindliche Familienbildnis, das zusammen mit zwei weiteren Gemälden ähnlicher Größe einst als Wandschmuck für Tischbeins Haus am Bellevue in Kassel bestimmt war, zeigt sie im Profil, diesmal jedoch von links (ehemals Berliner Nationalgalerie, im Krieg verschollen; siehe Flohr 1997, Kat. G 214). Sehr eng verwandt mit ihrer Darstellung im vorliegenden Werk ist ihr Porträt in einem weiteren großformatigen Gemälde aus dieser Serie, das beide Töchter in hochmodischen türkischen Kleidern zeigt (siehe Abb. 1).

Der Kasseler Tischbein war eines der talentiertesten und einflussreichsten Mitglieder einer großen Künstlerfamilie. Sein Mäzen, Graf Stadion, finanzierte dem Künstler einen fünfjährigen Aufenthalt in Paris, wo er ab 1743 in der Werkstatt von Charles van Loo arbeitete. Zusammen mit Johann Christian Fiedler, Christian Bernhard Rode und Januarius Zick gehörte er zu den ersten deutschen Künstlern, die in Paris ausgebildet wurden. Zwischen 1748 und 1751 bereiste Tischbein Italien. Nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in Venedig besuchte er kurz Bologna und Florenz und hielt sich dann zwei Jahre in Rom auf. In Venedig schloss er Freundschaft mit Giovanni Battista Piazzetta. Nach seiner Rückkehr aus Italien empfahl Graf Stadion den Maler an den Landgrafen Wilhelm VIII. von Hessen-Kassel, der ihn im April 1753 zum Hofmaler ernannte. Nach dem Tod des Landgrafen blieb Tischbein auch unter seinem Nachfolger Friedrich II. als erster Hofmaler tätig. Ab 1762 unterrichtete er Zeichnen und Malen am Collegium Carolinum. 1776 wurde er nicht nur zum Professor für Malerei, sondern auch zum Direktor der Kasseler Akademie der bildenden Künste ernannt. Im Jahr 1779 wurde er Ehrenmitglied der Accademia Clementina in Bologna. Tischbein malte bedeutende Historienbilder, ist aber heute vor allem für seine höfischen und hocheleganten Porträts bekannt.

Das vorliegende Gemälde, das eindeutig von der zeitgenössischen venezianischen und französischen Kunst inspiriert ist und in einer verfeinerten, weichen und fast zarten Art und Weise ausgeführt ist, die für Tischbeins beste Werke typisch ist, stellt eine wichtige Hinzufügung zum Oeuvre des Künstlers dar.

Experte: Dr. Alexander Strasoldo Dr. Alexander Strasoldo
+43 1 515 60 403

old.masters@dorotheum.com

25.10.2023 - 18:00

Erzielter Preis: **
EUR 19.775,-
Schätzwert:
EUR 12.000,- bis EUR 15.000,-

Johann Heinrich Tischbein der Ältere


(Haina 1722–1789 Kassel)
Porträt von Wilhelmine Caroline Amalie (1757–1838), der Tochter des Künstlers, als Allegorie der Malerei,
Öl auf Leinwand, 54 x 42 cm, gerahmt 

Wir danken Anna-Charlotte Flohr, die die Zuschreibung bestätigt hat, für die Bestimmung der Dargestellten. Ihr ausführliches schriftliches Gutachten liegt dem vorliegenden Los bei. 

Tischbeins älteste Tochter, Wilhelmine Caroline Amalie, stand dem Künstler besonders nahe. Das vorliegende kürzlich wiederentdeckte Porträt ist ein seltenes, intimes und persönliches Zeugnis. Die junge Tochter, die auch selbst künstlerisch tätig war, ist mit Pinsel und Palette vor Staffelei und Leinwand abgebildet. Bekleidet ist sie mit einem locker aufgeknöpften Hemd, einem Schal und einem bläulichen Mantel. Ihr Haar ist einfach frisiert und mit einem Band zusammengebunden. Die gesamte Szenerie vermittelt ein Gefühl häuslicher Intimität. Es ist unklar, ob das Gemälde lediglich als Künstlerporträt oder im weiteren Sinne als Allegorie der Malerei gedacht war. Tischbein hatte als junger Vater mehrere Schicksalsschläge zu verkraften. Er verlor sowohl seine erste Frau Marie Sophie Robert im Jahr 1759 als auch seine zweite Frau Anne Marie Pernette im Jahr 1763. Diese persönlichen Tragödien mögen seine Beziehung zu seinen beiden jungen Töchtern vertieft haben.

Wilhelmine Caroline Amalie heiratete David Philipp von Apell (1754–1833), der Direktor des Kasseler Hoftheaters wurde. Sie stellte ihre Werke in der Kasseler Akademie aus und wurde von Zeitgenossen wie dem Dichter Christoph Martin Wieland gefeiert, der ihr ein Poem widmete, in dem er ein Selbstporträt pries, das sie ihm geschickt hatte (siehe W. Sucher, „Amalie Tischbein, verh. von Apell (1756–1839)“, in: M. Sitt (Hrsg.), Aufgedeckt: Malerinnen im Umfeld Tischbeins und der Kasseler Kunstakademie, Hamburg 2016, S. 27). Wieland hatte sie 1775 in Weimar kennengelernt (siehe C. M. Wieland, „An Mademoiselle Amalia Tischbein, als sie mir ihr von ihr selbst gemaltes Bildnis übersandte“, in: Der Teutsche Merkur, Bd. 30, Weimar 1776, S. 10).

Tischbein hat seine Lieblingstochter mehrfach dargestellt und sie offenbar auch in einige seiner größeren Historienbilder einbezogen. Nahezu alle bekannten Darstellungen Amalias zeigen sie aus einem ähnlichen Blickwinkel: Ein Gemälde mit dem Titel La Silence (Die Stille) im Schloss Fasanerie in Fulda zeigt sie in einer sehr ähnlichen Pose, und zudem taucht sie auf einer in Kassel befindlichen in Rötel ausgeführten Vorzeichnung auf (Hessische Hausstiftung, Eichenzell, Inv.-Nr. FAS B 241; und Graphische Sammlung, MHK, Inv.-Nr. GS 453 a). Vergleichbar ist auch ihr Bildnis mit Fächer, das sich in der Gemäldegalerie Alte Meister in Kassel befindet (Inv.-Nr. LM 1940/481). Auch auf Tischbeins berühmtem Familienporträt, von dem es zumindest zwei Versionen gegeben haben muss, ist sie noch einmal in der vertrauten Haltung zu sehen: Die eine Fassung ist ein kleinformatiges Gemälde im Niedersächsischen Landesmuseum, Hannover (Inv.-Nr. PAM 976), eine größere Variante wurde kürzlich im deutschen Kunsthandel versteigert (siehe Auktion, Lempertz, Köln, 14. November 2020, Los 2028). Das ehemals in Berlin befindliche Familienbildnis, das zusammen mit zwei weiteren Gemälden ähnlicher Größe einst als Wandschmuck für Tischbeins Haus am Bellevue in Kassel bestimmt war, zeigt sie im Profil, diesmal jedoch von links (ehemals Berliner Nationalgalerie, im Krieg verschollen; siehe Flohr 1997, Kat. G 214). Sehr eng verwandt mit ihrer Darstellung im vorliegenden Werk ist ihr Porträt in einem weiteren großformatigen Gemälde aus dieser Serie, das beide Töchter in hochmodischen türkischen Kleidern zeigt (siehe Abb. 1).

Der Kasseler Tischbein war eines der talentiertesten und einflussreichsten Mitglieder einer großen Künstlerfamilie. Sein Mäzen, Graf Stadion, finanzierte dem Künstler einen fünfjährigen Aufenthalt in Paris, wo er ab 1743 in der Werkstatt von Charles van Loo arbeitete. Zusammen mit Johann Christian Fiedler, Christian Bernhard Rode und Januarius Zick gehörte er zu den ersten deutschen Künstlern, die in Paris ausgebildet wurden. Zwischen 1748 und 1751 bereiste Tischbein Italien. Nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in Venedig besuchte er kurz Bologna und Florenz und hielt sich dann zwei Jahre in Rom auf. In Venedig schloss er Freundschaft mit Giovanni Battista Piazzetta. Nach seiner Rückkehr aus Italien empfahl Graf Stadion den Maler an den Landgrafen Wilhelm VIII. von Hessen-Kassel, der ihn im April 1753 zum Hofmaler ernannte. Nach dem Tod des Landgrafen blieb Tischbein auch unter seinem Nachfolger Friedrich II. als erster Hofmaler tätig. Ab 1762 unterrichtete er Zeichnen und Malen am Collegium Carolinum. 1776 wurde er nicht nur zum Professor für Malerei, sondern auch zum Direktor der Kasseler Akademie der bildenden Künste ernannt. Im Jahr 1779 wurde er Ehrenmitglied der Accademia Clementina in Bologna. Tischbein malte bedeutende Historienbilder, ist aber heute vor allem für seine höfischen und hocheleganten Porträts bekannt.

Das vorliegende Gemälde, das eindeutig von der zeitgenössischen venezianischen und französischen Kunst inspiriert ist und in einer verfeinerten, weichen und fast zarten Art und Weise ausgeführt ist, die für Tischbeins beste Werke typisch ist, stellt eine wichtige Hinzufügung zum Oeuvre des Künstlers dar.

Experte: Dr. Alexander Strasoldo Dr. Alexander Strasoldo
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Auktion: Alte Meister
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 25.10.2023 - 18:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 14.10. - 25.10.2023


** Kaufpreis inkl. Käufergebühr und Mehrwertsteuer(für Lieferland Österreich)

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