Lot Nr. 91 #


Giulio Romano Werkstatt


Giulio Romano Werkstatt - Meisterzeichnungen und Druckgraphik bis 1900, Aquarelle u. Miniaturen

(1499–1545) Der Traum vom menschlichen Leben, nach Michelangelo (recto); Kopien nach verschollenen Zeichnungen von Giulio Romano (verso), Feder in Braun, braun laviert auf Bütten, 36,6 x 27,3 cm, Passep., ohne Rahmen, (Sch)

Provenienz: recto Stempel Sammlung Wolfhart F. Bürgi (Lugt 3400); Galerie Hans, Ausst. Kat. Raffael und Umkreis, Hamburg 2008, Kat. 51, S. 136–138.

Literatur: Galerie Hans, Ausst. Kat. Raffael und Umkreis. Handzeichnungen aus der Sammlung Wolf Bürgi, Katalogtexte von Paul Joannides u. a., Hamburg 2008, Kat. 51, S. 136–138, mit Abb; F. Hartt, The Drawings of Michelangelo, 1971, S. 251, Nr. 359, Abb. S. 256; Sir Karl Parker, Catalogue of Drawings in the Ashmolean Museum, Oxford II, the Italian Schools, Oxford 1956, Kat. 15, S. 298, Abb. 537.

Die Zuschreibung an die Werkstatt von Giulio Romano wurde von Prof. Paul Joannides bestätigt.

Paul Joannides schreibt in seinem Katalogeintrag über die Zeichnung (Kat. Galerie Hans, Raffael und Umkreis, Kat. 51): “Das Recto ist eine Kopie identischer Größe von Michelangelos in schwarzer Kreide ausgeführtem Geschenkblatt des sogenannten “Traums vom menschlichen Leben”, das sich heute in der Prince’s Gate Collection des Courtauld Institute in London befindet (schwarze Kreide, 39,6 x 28 cm, Inv. D.1978. PG.424). Michelangelos “Traum” entstand in den frühen 1530er Jahren als Geschenk für einen Freund, möglicherweise Tommaso de’Cavalieri. Seine Geschenkblätter fanden außerordentliche Bewunderung und wurden vielfach reproduziert, wobei vom “Traum vom menschlichen Leben” weniger Kopien existieren als von vielen anderen Blättern.

Es ist belegt, dass einige der Geschenkblätter mit religiösen Motiven, die Michelangelo um 1540 für Vittoria Colonna schuf, gleich anschließend für Kardinal Ercole Gonzaga aus Mantua kopiert wurden. Noch heute finden sich ihre Spuren in der Stadt. Der vorliegenden Zeichnung nach zu urteilen, erstreckte sich das mantuanische Interesse an Michelangelos Zeichnungen auf seine weltlichen Sujets. Sie steht ganz offensichtlich in der stilistischen Tradition Giulio Romanos und beweist, dass neben anderen Blättern Michelangelos auch der „Traum vom menschlichen Leben“ in jener Stadt bekannt war, in der Giulio die zweite Hälfte seines Lebens verbrachte. Die Auftragslage für Kopisten muss wesentlich besser und der Markt für ihre Produkte weit größer gewesen sein, als wir uns heute mitunter ausmalen. Die Zeichnungen auf der Rückseite bestätigen die Verbindung zu Giulio. Nach seinen Arbeiten ausgeführt, lässt ihre Technik darauf schließen, dass eher Zeichnungen denn Gemälde als Vorlagen dienten. Zwar sind Giulios Originale verschollen oder noch nicht als seine identifiziert, aber die Kopien erfassen seinen charakteristischen Stil so deutlich, dass kein Zweifel an der Urheberschaft der fehlenden Vorbilder besteht. Die Verwendung von zweien der drei Studien ist bekannt. Die auf Delphinen reitenden Putten zeichnete Giulio für das rechte untere Feld der Südlünette in der Camera delle Aquile des Palazzo del Te. Die”Jungfrau mit dem Einhorn” ist ein gängiges Symbol der Reinheit und heute dank Leonardo da Vincis überaus eleganter Zeichnung des Motivs im Ashmolean Museum (Parker 1956, Kat. 15) weltberühmt. Eine gemalte Version des Themas im Castel Sant’Angelo lässt darauf schließen, dass Leonardos Entwurf entweder von ihm selbst oder einem seiner Schüler weiterentwickelt wurde, und Agostino Veneziano, ein ständiger Kupferstecher Raffaels, gab mit Datum 1515 einen signierten Stich nach der Zeichnung heraus. Giulio wiederum stand zu dieser Zeit mit Gewissheit in engem Kontakt zu Agostino, da dieser mindestens zwei Stiche nach Giulios eigenen Arbeiten anfertigte. Das Original dieser “Jungfrau mit Einhorn” verwirklichte Giulio als Stuckrelief in der Camera dei Venti im Palazzo del Te (ibid., S. 298, Abb. 537). Folglich enthält das gleiche Blatt eine Zeichnung nach einem der zwei großen Rivalen der Zeit - Michelangelo - und eine Zeichnung, die den anderen - Leonardo - spiegelt. Die dritte Zeichnung auf der Rückseite des Blattes, oben links, zeigt ein Mädchen, das vor einem Altar ihre Schürze hebt. Der Sinn ihrer Handlung erschließt sich nicht, aber Pose und Stil ähneln denen des stehenden Mädchens in Giulios Zeichnung “Ziegenopfer für Jupiter” in der National Gallery of Art, Washington D. C. (B-26.757). Zwar fand der Autor die Figur nicht im Palazzo del Tel, doch könnte die Zeichnung eine verworfene Idee für eine zweite Stuckfigur in der Camera dei Venti, die Vesta, gewesen sein, die dann in anderer Form ausgeführt wurde.

Die Qualität der Verso-Zeichnungen ist augenscheinlich höher als die des Recto, was jedoch nicht heißen muss, dass die Seiten von verschiedener Hand stammen. Der “Traum vom menschlichen Leben” ist eine komplexe Konstruktion mit verschiedenen Definitionsebenen und teils außerodentlich reicher Modellierung. Die Kopiervorlage war vermutlich ebenfalls in schwarzer Kreide ausgeführt, und diese mit Feder und Tusche zu übertragen, könnte einen Zeichner, der derlei Vielfalt und Vielschichtigkeit nicht gewohnt ist, durchaus verunsichert haben. Im Gegensatz dazu dürfte einem Schüler Giulios das Kopieren von Zeichnungen seines Meisters im gleichen Medium deutlich leichter gefallen sein.

Expertin: Mag. Astrid-Christina Schierz Mag. Astrid-Christina Schierz
+43-1-515 60-546

astrid.schierz@dorotheum.at

02.10.2014 - 17:00

Schätzwert:
EUR 18.000,- bis EUR 24.000,-

Giulio Romano Werkstatt


(1499–1545) Der Traum vom menschlichen Leben, nach Michelangelo (recto); Kopien nach verschollenen Zeichnungen von Giulio Romano (verso), Feder in Braun, braun laviert auf Bütten, 36,6 x 27,3 cm, Passep., ohne Rahmen, (Sch)

Provenienz: recto Stempel Sammlung Wolfhart F. Bürgi (Lugt 3400); Galerie Hans, Ausst. Kat. Raffael und Umkreis, Hamburg 2008, Kat. 51, S. 136–138.

Literatur: Galerie Hans, Ausst. Kat. Raffael und Umkreis. Handzeichnungen aus der Sammlung Wolf Bürgi, Katalogtexte von Paul Joannides u. a., Hamburg 2008, Kat. 51, S. 136–138, mit Abb; F. Hartt, The Drawings of Michelangelo, 1971, S. 251, Nr. 359, Abb. S. 256; Sir Karl Parker, Catalogue of Drawings in the Ashmolean Museum, Oxford II, the Italian Schools, Oxford 1956, Kat. 15, S. 298, Abb. 537.

Die Zuschreibung an die Werkstatt von Giulio Romano wurde von Prof. Paul Joannides bestätigt.

Paul Joannides schreibt in seinem Katalogeintrag über die Zeichnung (Kat. Galerie Hans, Raffael und Umkreis, Kat. 51): “Das Recto ist eine Kopie identischer Größe von Michelangelos in schwarzer Kreide ausgeführtem Geschenkblatt des sogenannten “Traums vom menschlichen Leben”, das sich heute in der Prince’s Gate Collection des Courtauld Institute in London befindet (schwarze Kreide, 39,6 x 28 cm, Inv. D.1978. PG.424). Michelangelos “Traum” entstand in den frühen 1530er Jahren als Geschenk für einen Freund, möglicherweise Tommaso de’Cavalieri. Seine Geschenkblätter fanden außerordentliche Bewunderung und wurden vielfach reproduziert, wobei vom “Traum vom menschlichen Leben” weniger Kopien existieren als von vielen anderen Blättern.

Es ist belegt, dass einige der Geschenkblätter mit religiösen Motiven, die Michelangelo um 1540 für Vittoria Colonna schuf, gleich anschließend für Kardinal Ercole Gonzaga aus Mantua kopiert wurden. Noch heute finden sich ihre Spuren in der Stadt. Der vorliegenden Zeichnung nach zu urteilen, erstreckte sich das mantuanische Interesse an Michelangelos Zeichnungen auf seine weltlichen Sujets. Sie steht ganz offensichtlich in der stilistischen Tradition Giulio Romanos und beweist, dass neben anderen Blättern Michelangelos auch der „Traum vom menschlichen Leben“ in jener Stadt bekannt war, in der Giulio die zweite Hälfte seines Lebens verbrachte. Die Auftragslage für Kopisten muss wesentlich besser und der Markt für ihre Produkte weit größer gewesen sein, als wir uns heute mitunter ausmalen. Die Zeichnungen auf der Rückseite bestätigen die Verbindung zu Giulio. Nach seinen Arbeiten ausgeführt, lässt ihre Technik darauf schließen, dass eher Zeichnungen denn Gemälde als Vorlagen dienten. Zwar sind Giulios Originale verschollen oder noch nicht als seine identifiziert, aber die Kopien erfassen seinen charakteristischen Stil so deutlich, dass kein Zweifel an der Urheberschaft der fehlenden Vorbilder besteht. Die Verwendung von zweien der drei Studien ist bekannt. Die auf Delphinen reitenden Putten zeichnete Giulio für das rechte untere Feld der Südlünette in der Camera delle Aquile des Palazzo del Te. Die”Jungfrau mit dem Einhorn” ist ein gängiges Symbol der Reinheit und heute dank Leonardo da Vincis überaus eleganter Zeichnung des Motivs im Ashmolean Museum (Parker 1956, Kat. 15) weltberühmt. Eine gemalte Version des Themas im Castel Sant’Angelo lässt darauf schließen, dass Leonardos Entwurf entweder von ihm selbst oder einem seiner Schüler weiterentwickelt wurde, und Agostino Veneziano, ein ständiger Kupferstecher Raffaels, gab mit Datum 1515 einen signierten Stich nach der Zeichnung heraus. Giulio wiederum stand zu dieser Zeit mit Gewissheit in engem Kontakt zu Agostino, da dieser mindestens zwei Stiche nach Giulios eigenen Arbeiten anfertigte. Das Original dieser “Jungfrau mit Einhorn” verwirklichte Giulio als Stuckrelief in der Camera dei Venti im Palazzo del Te (ibid., S. 298, Abb. 537). Folglich enthält das gleiche Blatt eine Zeichnung nach einem der zwei großen Rivalen der Zeit - Michelangelo - und eine Zeichnung, die den anderen - Leonardo - spiegelt. Die dritte Zeichnung auf der Rückseite des Blattes, oben links, zeigt ein Mädchen, das vor einem Altar ihre Schürze hebt. Der Sinn ihrer Handlung erschließt sich nicht, aber Pose und Stil ähneln denen des stehenden Mädchens in Giulios Zeichnung “Ziegenopfer für Jupiter” in der National Gallery of Art, Washington D. C. (B-26.757). Zwar fand der Autor die Figur nicht im Palazzo del Tel, doch könnte die Zeichnung eine verworfene Idee für eine zweite Stuckfigur in der Camera dei Venti, die Vesta, gewesen sein, die dann in anderer Form ausgeführt wurde.

Die Qualität der Verso-Zeichnungen ist augenscheinlich höher als die des Recto, was jedoch nicht heißen muss, dass die Seiten von verschiedener Hand stammen. Der “Traum vom menschlichen Leben” ist eine komplexe Konstruktion mit verschiedenen Definitionsebenen und teils außerodentlich reicher Modellierung. Die Kopiervorlage war vermutlich ebenfalls in schwarzer Kreide ausgeführt, und diese mit Feder und Tusche zu übertragen, könnte einen Zeichner, der derlei Vielfalt und Vielschichtigkeit nicht gewohnt ist, durchaus verunsichert haben. Im Gegensatz dazu dürfte einem Schüler Giulios das Kopieren von Zeichnungen seines Meisters im gleichen Medium deutlich leichter gefallen sein.

Expertin: Mag. Astrid-Christina Schierz Mag. Astrid-Christina Schierz
+43-1-515 60-546

astrid.schierz@dorotheum.at


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
kundendienst@dorotheum.at

+43 1 515 60 200
Auktion: Meisterzeichnungen und Druckgraphik bis 1900, Aquarelle u. Miniaturen
Auktionstyp: Saalauktion
Datum: 02.10.2014 - 17:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 24.09. - 02.10.2014