Lot Nr. 643


Guido Reni


Guido Reni - Alte Meister

(Bologna 1575 – 1642)
Die Anbetung der Hirten,
Öl auf Kupfer, 48 x 38 cm, gerahmt

Wir danken Nicholas Turner, der die Eigenhändigkeit des vorliegenden Gemäldes nach dessen Untersuchung im Original bestätigt hat (schriftliche Mitteilung).

Dass es sich hier um eine wichtige Hinzufügung zum Oeuvre Guido Renis handelt, hat der verstorbene Sir Denis Mahon als Erster festgestellt (mündliche Mitteilung, 2002). Mahon hat die vorliegende Komposition mit Renis Altarbild in der Certosa di San Martino in Neapel in Zusammenhang gebracht, die gemeinhin um 1640 datiert wird(1). Er vertrat die Auffassung, dass die Kupfertafel zwischen Renis Vollendung des Altarbildes in Neapel und 1642, dem Todesjahr des Malers, entstanden ist. Erhärtet wird diese Datierung dadurch, dass es sich um eine reduzierte Variante des Altarbildes in Neapel handelt, wenn auch mit deutlich weniger Figuren, die in stark veränderten Haltungen erscheinen.

Obwohl die Komposition zu einem späten Zeitpunkt in Renis Schaffen entstand, ließ er sich dabei von einem viel früheren Werk, nämlich von Domenichinos Anbetung der Hirten (National Gallery of Scotland, Edinburgh), anregen, die allgemein um 1607/08 datiert wird und von der man glaubt, dass sie auf einem verlorenen Gemälde Annibale Carraccis beruht.(2) Zahlreiche Elemente aus Domenichinos Komposition treten auch hier in Erscheinung; hierzu gehören die stark beleuchtete Gruppe der Madonna mit Kind im Zentrum des Bildes, der auf einem Dudelsack spielende Knabe auf der einen Seite und die neugierige Zuschauerschar rechts, die ungläubig das Jesuskind bestaunt.

Reni hatte keine Bedenken, den Erfolg des Certosa-Altarbildes auszunutzen. Abgesehen von der vorliegenden Kupfertafel schuf er eine Reihe von Varianten, die auf dessen Komposition beruhten und deren Figuren und Hintergrunddarstellungen er neu anordnete bzw. modifizierte.(3) Das vorliegende Bild ist nur eine jener Versionen, die das Jesuskind an der Brust der Mutter trinkend zeigt. Die bekannteste befindet sich in der National Gallery in London und entspricht in ihrer Monumentalität dem Prototyp.(4) Dem Londoner Bild am nächsten steht die vorliegende Kupfertafel in der Anlage der beiden Putten, die in ihrer vom Licht erfassten Präsenz, Haltung und leicht gelängten Form eher an ihre sechs Gegenparts im Londoner Bild erinnern als an die vier Putten und zwei kindlichen Engel des Bildes in Neapel.

Unsere neu entdeckte Anbetung der Hirten muss eines der letzten erhaltenen Werke, wenn nicht überhaupt das allerletzte gewesen sein, das Reni auf Kupfer gemalt hat. In seiner Frühzeit hat er diesen Bildträger häufig für seine kleinformatigen, detailreichen Kabinettbilder verwendet, die sich durch ein breites Farbenspektrum, ein strahlendes Licht und kleine Figuren in eleganter Pose auszeichnen, die er innerhalb dieser vielschichtigen Kompositionen platzierte. In etwa spätestens zu Anfang seines letzten Jahrzehnts, als sein Pinselstrich freier, seine Farben pastelliger und seine Lasuren dünner und durchscheinender wurden, scheint er das Malen auf Kupfer mehr oder weniger aufgegeben und stattdessen fast ausschließlich auf Leinwand gearbeitet zu haben.

Renis Spätstil zeigt sich trotz des kleinen Formats der auf Kupfer gemalten Anbetung der Hirten ganz deutlich, beispielsweise in der durchwegs breiten Pinselführung, die sich entschieden von der Ausführung der in den zehn Jahren nach seiner ersten Romreise entstandenen Kupfertafeln unterscheidet; sichtbar wird dies im schön improvisierten Pinselstrich, etwa im Bereich der stacheligen Textur des Heus über der Krippe, in der das Jesuskind liegt, oder in der Subtilität des hell schimmernden Inkarnats des trinkenden Kindes und der beiden schwebenden Putten – ein Effekt, den der Maler durch zartes Modellieren mit der Pinselspitze und das Setzen von Schraffuren erzielt hat, worin Reni ein Meister war.

Das Bild weist ein gewichtiges Pentimento auf: Ursprünglich erschien nur ein Putto – der rechte des Paares – im oberen Bereich der Komposition, der eine Schriftrolle in beiden Händen hochhielt; im vollendeten Werk hingegen teilt er sich diese Aufgabe mit seinem Begleiter. Den zuerst gemalten Oberarm des rechten Puttos sieht man durch Brust und Schulter des anderen hindurchscheinen; und die zuerst gemalte Schriftrolle verläuft in einem Schwung von der linken Hand des rechten Puttos nach oben links, wo sie auf die Vorderkante der sich bauschenden Draperie des anderen Puttos trifft und dann durch seinen rechten Oberarm hindurch auf die übermalte rechte Hand trifft, die sich kaum sichtbar unterhalb des Flügels des linken Puttos befindet. Änderungen in den Umrisslinien und kleine Modifizierungen in der Position der Gliedmaßen der einzelnen Figuren finden sich überall auf der Kupfertafel und sind, falls überhaupt notwendig, ein letzter Beweis für die Eigenhändigkeit des Meisters, der immer nach der ausgewogensten Figurenanordnung Ausschau hielt. Hier seien nur ein paar dieser Anpassungen herausgegriffen: etwa das rechte Knie des Hirten, der das Lamm hält und unmittelbar rechts der Krippe kniet; die Nase des direkt hinter ihm knienden bärtigen Hirten mit Stab; und der linke Ellbogen und das Handgelenk des in der rechten unteren Ecke sitzenden Knaben.

Wir danken Nicholas Turner für seine Hilfe bei der Katalogisierung dieses Gemäldes.

(1) S. Pepper, Guido Reni, l’opera completa, Novara 1988, S. 301, Kat. Nr. 194, Abb. 181
(2) R. Spear, Domenichino, Yale University Press, 1982, Kat. Nr. 30, Abb. 48
(3) Ein Gemälde im Hochformat in der National Gallery, London (Pepper 1988, Kat. Nr. 195, Abb. 182); ein achteckiges Bild im Puschkin-Museum, Moskau (Pepper 1988, Kat. Nr. 182, Abb. 169), von dem zahlreiche Kopien vermerkt sind; und ein noch wenig erforschtes Bild im Depot der Galleria Brera, Mailand (E. Baccheschi, L’opera completa di Guido Reni, Mailand 1971, S. 114, Abb. 201 d, mit falscher Angabe der Abbildung als 201 c).
(4) National Gallery, London (Pepper 1988, Kat. Nr. 195, Abb. 182)


Nicholas Turner bestätigt erneut die Zuschreibung des vorliegenden Gemäldes an Guido Reni (Bologna 1575–1642).
Professor Richard Spear lehnt diese Zuschreibung auf Basis einer Fotografie ab.

17.04.2013 - 18:00

Erzielter Preis: **
EUR 55.200,-
Schätzwert:
EUR 50.000,- bis EUR 70.000,-

Guido Reni


(Bologna 1575 – 1642)
Die Anbetung der Hirten,
Öl auf Kupfer, 48 x 38 cm, gerahmt

Wir danken Nicholas Turner, der die Eigenhändigkeit des vorliegenden Gemäldes nach dessen Untersuchung im Original bestätigt hat (schriftliche Mitteilung).

Dass es sich hier um eine wichtige Hinzufügung zum Oeuvre Guido Renis handelt, hat der verstorbene Sir Denis Mahon als Erster festgestellt (mündliche Mitteilung, 2002). Mahon hat die vorliegende Komposition mit Renis Altarbild in der Certosa di San Martino in Neapel in Zusammenhang gebracht, die gemeinhin um 1640 datiert wird(1). Er vertrat die Auffassung, dass die Kupfertafel zwischen Renis Vollendung des Altarbildes in Neapel und 1642, dem Todesjahr des Malers, entstanden ist. Erhärtet wird diese Datierung dadurch, dass es sich um eine reduzierte Variante des Altarbildes in Neapel handelt, wenn auch mit deutlich weniger Figuren, die in stark veränderten Haltungen erscheinen.

Obwohl die Komposition zu einem späten Zeitpunkt in Renis Schaffen entstand, ließ er sich dabei von einem viel früheren Werk, nämlich von Domenichinos Anbetung der Hirten (National Gallery of Scotland, Edinburgh), anregen, die allgemein um 1607/08 datiert wird und von der man glaubt, dass sie auf einem verlorenen Gemälde Annibale Carraccis beruht.(2) Zahlreiche Elemente aus Domenichinos Komposition treten auch hier in Erscheinung; hierzu gehören die stark beleuchtete Gruppe der Madonna mit Kind im Zentrum des Bildes, der auf einem Dudelsack spielende Knabe auf der einen Seite und die neugierige Zuschauerschar rechts, die ungläubig das Jesuskind bestaunt.

Reni hatte keine Bedenken, den Erfolg des Certosa-Altarbildes auszunutzen. Abgesehen von der vorliegenden Kupfertafel schuf er eine Reihe von Varianten, die auf dessen Komposition beruhten und deren Figuren und Hintergrunddarstellungen er neu anordnete bzw. modifizierte.(3) Das vorliegende Bild ist nur eine jener Versionen, die das Jesuskind an der Brust der Mutter trinkend zeigt. Die bekannteste befindet sich in der National Gallery in London und entspricht in ihrer Monumentalität dem Prototyp.(4) Dem Londoner Bild am nächsten steht die vorliegende Kupfertafel in der Anlage der beiden Putten, die in ihrer vom Licht erfassten Präsenz, Haltung und leicht gelängten Form eher an ihre sechs Gegenparts im Londoner Bild erinnern als an die vier Putten und zwei kindlichen Engel des Bildes in Neapel.

Unsere neu entdeckte Anbetung der Hirten muss eines der letzten erhaltenen Werke, wenn nicht überhaupt das allerletzte gewesen sein, das Reni auf Kupfer gemalt hat. In seiner Frühzeit hat er diesen Bildträger häufig für seine kleinformatigen, detailreichen Kabinettbilder verwendet, die sich durch ein breites Farbenspektrum, ein strahlendes Licht und kleine Figuren in eleganter Pose auszeichnen, die er innerhalb dieser vielschichtigen Kompositionen platzierte. In etwa spätestens zu Anfang seines letzten Jahrzehnts, als sein Pinselstrich freier, seine Farben pastelliger und seine Lasuren dünner und durchscheinender wurden, scheint er das Malen auf Kupfer mehr oder weniger aufgegeben und stattdessen fast ausschließlich auf Leinwand gearbeitet zu haben.

Renis Spätstil zeigt sich trotz des kleinen Formats der auf Kupfer gemalten Anbetung der Hirten ganz deutlich, beispielsweise in der durchwegs breiten Pinselführung, die sich entschieden von der Ausführung der in den zehn Jahren nach seiner ersten Romreise entstandenen Kupfertafeln unterscheidet; sichtbar wird dies im schön improvisierten Pinselstrich, etwa im Bereich der stacheligen Textur des Heus über der Krippe, in der das Jesuskind liegt, oder in der Subtilität des hell schimmernden Inkarnats des trinkenden Kindes und der beiden schwebenden Putten – ein Effekt, den der Maler durch zartes Modellieren mit der Pinselspitze und das Setzen von Schraffuren erzielt hat, worin Reni ein Meister war.

Das Bild weist ein gewichtiges Pentimento auf: Ursprünglich erschien nur ein Putto – der rechte des Paares – im oberen Bereich der Komposition, der eine Schriftrolle in beiden Händen hochhielt; im vollendeten Werk hingegen teilt er sich diese Aufgabe mit seinem Begleiter. Den zuerst gemalten Oberarm des rechten Puttos sieht man durch Brust und Schulter des anderen hindurchscheinen; und die zuerst gemalte Schriftrolle verläuft in einem Schwung von der linken Hand des rechten Puttos nach oben links, wo sie auf die Vorderkante der sich bauschenden Draperie des anderen Puttos trifft und dann durch seinen rechten Oberarm hindurch auf die übermalte rechte Hand trifft, die sich kaum sichtbar unterhalb des Flügels des linken Puttos befindet. Änderungen in den Umrisslinien und kleine Modifizierungen in der Position der Gliedmaßen der einzelnen Figuren finden sich überall auf der Kupfertafel und sind, falls überhaupt notwendig, ein letzter Beweis für die Eigenhändigkeit des Meisters, der immer nach der ausgewogensten Figurenanordnung Ausschau hielt. Hier seien nur ein paar dieser Anpassungen herausgegriffen: etwa das rechte Knie des Hirten, der das Lamm hält und unmittelbar rechts der Krippe kniet; die Nase des direkt hinter ihm knienden bärtigen Hirten mit Stab; und der linke Ellbogen und das Handgelenk des in der rechten unteren Ecke sitzenden Knaben.

Wir danken Nicholas Turner für seine Hilfe bei der Katalogisierung dieses Gemäldes.

(1) S. Pepper, Guido Reni, l’opera completa, Novara 1988, S. 301, Kat. Nr. 194, Abb. 181
(2) R. Spear, Domenichino, Yale University Press, 1982, Kat. Nr. 30, Abb. 48
(3) Ein Gemälde im Hochformat in der National Gallery, London (Pepper 1988, Kat. Nr. 195, Abb. 182); ein achteckiges Bild im Puschkin-Museum, Moskau (Pepper 1988, Kat. Nr. 182, Abb. 169), von dem zahlreiche Kopien vermerkt sind; und ein noch wenig erforschtes Bild im Depot der Galleria Brera, Mailand (E. Baccheschi, L’opera completa di Guido Reni, Mailand 1971, S. 114, Abb. 201 d, mit falscher Angabe der Abbildung als 201 c).
(4) National Gallery, London (Pepper 1988, Kat. Nr. 195, Abb. 182)


Nicholas Turner bestätigt erneut die Zuschreibung des vorliegenden Gemäldes an Guido Reni (Bologna 1575–1642).
Professor Richard Spear lehnt diese Zuschreibung auf Basis einer Fotografie ab.


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
old.masters@dorotheum.at

+43 1 515 60 403
Auktion: Alte Meister
Auktionstyp: Saalauktion
Datum: 17.04.2013 - 18:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 06.04. - 17.04.2013


** Kaufpreis inkl. Käufergebühr und Mehrwertsteuer

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