Lot Nr. 319 -


Meister der Beweinung von Scandicci


Meister der Beweinung von Scandicci - Alte Meister

(tätig in Florenz um 1500–1515)
Madonna mit Kind und Johannesknaben,
Öl auf Holz, Dm. 86 cm, gerahmt

Provenienz:
Kunstmarkt, Frankreich;
dort erworben durch den jetzigen Besitzer

Wir danken Louis Waldman, der die Zuschreibung des vorliegenden Gemäldes auf Grundlage einer hochaufgelösten Digitalfotografie bestätigt hat.

Das Schaffen des Meisters der Beweinung von Scandicci wurde erstmals von Everett Fahy in seiner Doktorarbeit aus dem Jahr 1968 erforscht (E. Fahy, Some Followers of Domenico Ghirlandaio, Dissertation, Harvard University, Cambridge, MA, 1968) und in der Nachfolgepublikation Some Followers of Domenico Ghirlandaio (New York, 1976), in der Fahy fünfzehn Werke dieses anonymen Meisters vorstellte, im Detail diskutiert. Fahy trieb damit das Wissen um diesen noch nicht näher identifizierten Künstler voran und fand Bestätigung für dessen Tätigkeit in Florenz während der ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts sowie für dessen stilistische Nähe zum Frühstil Francesco Granaccis und Ridolfo del Ghirlandaios (beide ebenfalls während der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts tätig). Diese Beobachtungen setzten an einer Reihe von Forschungen an, in deren Rahmen bereits ein Grundstock stilistisch vereinbarer Werke gesichtet worden war, die bis dato noch keiner bestimmten Künstleridentität hatten zugewiesen werden können.

Der Notname des Malers rührt von einer Tafel des Künstlers mit einer Beweinung Christi her, die für die Kirche San Bartolomeo in Tuto in Scandicci bei Florenz entstanden war. Kompositionell lehnt sie sich an Pietro Peruginos Beweinung für die Klarissen des Klosters Santa Chiara in Florenz an (heute Galleria Palatina, Palazzo Pitti). Fahy war daher der Auffassung, dass der Meister der Beweinung von Scandicci als Nachfolger Peruginos näher zu identifizieren sei, der sich in der ersten Dekade des 16. Jahrhunderts am Schaffen Domenico Ghirlandaios umorientiert hatte. Abgesehen von diesen Einflüssen war der Florentiner Meister auch empfänglich für andere Künstler aus den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts, die maßgeblichen Einfluss auf die Florentiner Malerei ausübten, darunter Raffael, Michelangelo und der junge Andrea del Sarto.

Der vorliegende Tondo steht für die Florentiner Kunst und Kultur am Beginn des 16. Jahrhunderts. Er lässt sich mit anderen Tondi des Künstlers vergleichen, etwa mit der Madonna mit Kind und hl. Johannes im Oberösterreichischen Landesmuseum in Linz und einem Rundbild gleichen Bildthemas in der Eremitage in St. Petersburg, aber auch mit der Madonna mit Kind im Museum of Fine Arts in Boston (von rechteckigem Format). Alle diese Werke zeichnen sich durch denselben ausgesprochen beschreibenden Figurentypus mit sorgfältig wiedergegebenen Anatomien und dieselben feinen, kurvenreichen Faltenwürfe sowie durch eine ähnliche Landschaftsauffassung aus.

Man könnte meinen, dass das Rundformat, das sich in so vielen seiner Werke findet, ein Markenzeichen des Meisters der Beweinung von Scandicci darstellt; diese Form war eng verbunden mit der Malerei des späten Quattrocento und geprägt von einem neuen Verhältnis zwischen Figur und Raum, das von Michelangelo mit seinen vielgepriesenen Kompositionen des Tondo Pitti und Tondo Doni in die Florentiner Malerei eingeführt wurde.

Eine zweite, kleinere Fassung des vorliegenden Gemäldes (Öl auf Holz, Durchmesser 83,8 cm) mit einer vereinfachten Komposition ist auf dem Kunstmarkt aufgetaucht. Auf dem vorliegenden Gemälde hat der Meister den Umschlag des Buches der Madonna mit einer Goldborte verziert; in der Landschaft hinter dem hl. Johannes hat er einen Baum dargestellt, und die Büsche am Fluss hat er mit zarten Glanzlichtern versehen. Auf der kleineren Zweitfassung hingegen hat der grüne Buchumschlag keine Goldborte; der Baum hinter dem hl. Johannes fehlt, und bei der Platzierung von Glanzlichtern wurde weniger Sorgfalt an den Tag gelegt. Alle diese Merkmale weisen darauf hin, dass letzteres Bild auf einem Prototyp beruht, bei dem es sich möglicherweise um das vorliegende Gemälde handelt. Die vorliegende Komposition war somit offenbar so erfolgreich, dass sie zumindest einmal wiederholt wurde. Eine derartige Vorgangsweise war im Schaffen des Meisters, der seine Bildfindungen augenscheinlich zum Teil in anderen Kompositionen übernahm, kein Einzelfall. Ein weiteres Beispiel ist das Bild der Eremitage, das in wichtigen Punkten Ähnlichkeit mit der Madonna mit Kind und Johannesknaben im Museo di Casa Martelli in Florenz und mit einem weiteren ebenfalls in der Eremitage befindlichen Bild aufweist, wo der Künstler den Johannesknaben weggelassen hat, wohingegen die Figuren der Madonna und des Kindes identisch sind.

Technische Untersuchung:

Das vorliegende Werk weist die von Florentiner Künstlern des frühen 16. Jahrhunderts typische Malweise auf, wobei die Figuren mit einer einfachen, präzisen Unterzeichnung umrissen sind; zudem zeigt sich die Fähigkeit des Malers, durch Einsatz einer ölbasierten Mischung von Bleiweiß, Zinnober und Ocker in Verbindung mit dunkleren Farbpartikeln in den Schattenzonen ein Sfumato im Bereich der Körper zu erzeugen.

In der Infrarotreflektografie ist die Verwendung eines dünnen Pinsels für die Unterzeichnung zu erkennen, ebenso der Einsatz eines scharfen, trockenen Zeichenmittels wie schwarze Kreide oder Kohle, um die unter starker Vergrößerung sichtbaren ersten Konturen zu ziehen.

Unter den Pigmenten findet sich das großflächig im Himmel und in den blauen Flächen der Landschaft sowie im Mantel und Ärmel der Madonna zum Einsatz kommende Azurit. Der Ärmel wurde mit Bleizinngelb gehöht, um das eigenartige Changieren der Farbe zu erzielen. Grünspan ist in den grünen Zonen festzustellen, ein Rotlack kam beim Kleid der Madonna zum Einsatz.

Wir danken Gianluca Poldi für die Durchführung der technischen Untersuchung des vorliegenden Gemäldes.

Experte: Dr. Alexander Strasoldo Dr. Alexander Strasoldo
+43 1 515 60 403

old.masters@dorotheum.com

30.04.2019 - 17:00

Erzielter Preis: **
EUR 43.978,-
Schätzwert:
EUR 40.000,- bis EUR 60.000,-

Meister der Beweinung von Scandicci


(tätig in Florenz um 1500–1515)
Madonna mit Kind und Johannesknaben,
Öl auf Holz, Dm. 86 cm, gerahmt

Provenienz:
Kunstmarkt, Frankreich;
dort erworben durch den jetzigen Besitzer

Wir danken Louis Waldman, der die Zuschreibung des vorliegenden Gemäldes auf Grundlage einer hochaufgelösten Digitalfotografie bestätigt hat.

Das Schaffen des Meisters der Beweinung von Scandicci wurde erstmals von Everett Fahy in seiner Doktorarbeit aus dem Jahr 1968 erforscht (E. Fahy, Some Followers of Domenico Ghirlandaio, Dissertation, Harvard University, Cambridge, MA, 1968) und in der Nachfolgepublikation Some Followers of Domenico Ghirlandaio (New York, 1976), in der Fahy fünfzehn Werke dieses anonymen Meisters vorstellte, im Detail diskutiert. Fahy trieb damit das Wissen um diesen noch nicht näher identifizierten Künstler voran und fand Bestätigung für dessen Tätigkeit in Florenz während der ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts sowie für dessen stilistische Nähe zum Frühstil Francesco Granaccis und Ridolfo del Ghirlandaios (beide ebenfalls während der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts tätig). Diese Beobachtungen setzten an einer Reihe von Forschungen an, in deren Rahmen bereits ein Grundstock stilistisch vereinbarer Werke gesichtet worden war, die bis dato noch keiner bestimmten Künstleridentität hatten zugewiesen werden können.

Der Notname des Malers rührt von einer Tafel des Künstlers mit einer Beweinung Christi her, die für die Kirche San Bartolomeo in Tuto in Scandicci bei Florenz entstanden war. Kompositionell lehnt sie sich an Pietro Peruginos Beweinung für die Klarissen des Klosters Santa Chiara in Florenz an (heute Galleria Palatina, Palazzo Pitti). Fahy war daher der Auffassung, dass der Meister der Beweinung von Scandicci als Nachfolger Peruginos näher zu identifizieren sei, der sich in der ersten Dekade des 16. Jahrhunderts am Schaffen Domenico Ghirlandaios umorientiert hatte. Abgesehen von diesen Einflüssen war der Florentiner Meister auch empfänglich für andere Künstler aus den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts, die maßgeblichen Einfluss auf die Florentiner Malerei ausübten, darunter Raffael, Michelangelo und der junge Andrea del Sarto.

Der vorliegende Tondo steht für die Florentiner Kunst und Kultur am Beginn des 16. Jahrhunderts. Er lässt sich mit anderen Tondi des Künstlers vergleichen, etwa mit der Madonna mit Kind und hl. Johannes im Oberösterreichischen Landesmuseum in Linz und einem Rundbild gleichen Bildthemas in der Eremitage in St. Petersburg, aber auch mit der Madonna mit Kind im Museum of Fine Arts in Boston (von rechteckigem Format). Alle diese Werke zeichnen sich durch denselben ausgesprochen beschreibenden Figurentypus mit sorgfältig wiedergegebenen Anatomien und dieselben feinen, kurvenreichen Faltenwürfe sowie durch eine ähnliche Landschaftsauffassung aus.

Man könnte meinen, dass das Rundformat, das sich in so vielen seiner Werke findet, ein Markenzeichen des Meisters der Beweinung von Scandicci darstellt; diese Form war eng verbunden mit der Malerei des späten Quattrocento und geprägt von einem neuen Verhältnis zwischen Figur und Raum, das von Michelangelo mit seinen vielgepriesenen Kompositionen des Tondo Pitti und Tondo Doni in die Florentiner Malerei eingeführt wurde.

Eine zweite, kleinere Fassung des vorliegenden Gemäldes (Öl auf Holz, Durchmesser 83,8 cm) mit einer vereinfachten Komposition ist auf dem Kunstmarkt aufgetaucht. Auf dem vorliegenden Gemälde hat der Meister den Umschlag des Buches der Madonna mit einer Goldborte verziert; in der Landschaft hinter dem hl. Johannes hat er einen Baum dargestellt, und die Büsche am Fluss hat er mit zarten Glanzlichtern versehen. Auf der kleineren Zweitfassung hingegen hat der grüne Buchumschlag keine Goldborte; der Baum hinter dem hl. Johannes fehlt, und bei der Platzierung von Glanzlichtern wurde weniger Sorgfalt an den Tag gelegt. Alle diese Merkmale weisen darauf hin, dass letzteres Bild auf einem Prototyp beruht, bei dem es sich möglicherweise um das vorliegende Gemälde handelt. Die vorliegende Komposition war somit offenbar so erfolgreich, dass sie zumindest einmal wiederholt wurde. Eine derartige Vorgangsweise war im Schaffen des Meisters, der seine Bildfindungen augenscheinlich zum Teil in anderen Kompositionen übernahm, kein Einzelfall. Ein weiteres Beispiel ist das Bild der Eremitage, das in wichtigen Punkten Ähnlichkeit mit der Madonna mit Kind und Johannesknaben im Museo di Casa Martelli in Florenz und mit einem weiteren ebenfalls in der Eremitage befindlichen Bild aufweist, wo der Künstler den Johannesknaben weggelassen hat, wohingegen die Figuren der Madonna und des Kindes identisch sind.

Technische Untersuchung:

Das vorliegende Werk weist die von Florentiner Künstlern des frühen 16. Jahrhunderts typische Malweise auf, wobei die Figuren mit einer einfachen, präzisen Unterzeichnung umrissen sind; zudem zeigt sich die Fähigkeit des Malers, durch Einsatz einer ölbasierten Mischung von Bleiweiß, Zinnober und Ocker in Verbindung mit dunkleren Farbpartikeln in den Schattenzonen ein Sfumato im Bereich der Körper zu erzeugen.

In der Infrarotreflektografie ist die Verwendung eines dünnen Pinsels für die Unterzeichnung zu erkennen, ebenso der Einsatz eines scharfen, trockenen Zeichenmittels wie schwarze Kreide oder Kohle, um die unter starker Vergrößerung sichtbaren ersten Konturen zu ziehen.

Unter den Pigmenten findet sich das großflächig im Himmel und in den blauen Flächen der Landschaft sowie im Mantel und Ärmel der Madonna zum Einsatz kommende Azurit. Der Ärmel wurde mit Bleizinngelb gehöht, um das eigenartige Changieren der Farbe zu erzielen. Grünspan ist in den grünen Zonen festzustellen, ein Rotlack kam beim Kleid der Madonna zum Einsatz.

Wir danken Gianluca Poldi für die Durchführung der technischen Untersuchung des vorliegenden Gemäldes.

Experte: Dr. Alexander Strasoldo Dr. Alexander Strasoldo
+43 1 515 60 403

old.masters@dorotheum.com


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
old.masters@dorotheum.at

+43 1 515 60 403
Auktion: Alte Meister
Auktionstyp: Saalauktion
Datum: 30.04.2019 - 17:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 20.04. - 30.04.2019


** Kaufpreis inkl. Käufergebühr und Mehrwertsteuer(für Lieferland Österreich)

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