Lot Nr. 388


Guido Cagnacci


Guido Cagnacci - Alte Meister

(Sant’ Arcangelo di Romagna 1601–1663 Wien)
Die büßende Maria Magdalena,
Öl auf Leinwand, 96 x 75,5 cm, Florentiner Ädikula-Rahmen, vermutlich 17. Jahrhundert

Provenienz:
Auktion, Sotheby’s, London, 28. Oktober 1987, Lot 164 (als Guido Cagnacci zugeschrieben);
Privatsammlung, Forlì

Ausgestellt:
Ravenna, Museo Nazionale, Biblia Pauperum: dipinti dalle diocesi di Romagna 1570–1670, 1992, Kat.-Nr. 72 (als Guido Cagnacci);
Rimini, Museo della Città, Guido Cagnacci, 21. August – 28. November 1993, Kat.-Nr. 23 (als Guido Cagnacci);
Forlì, Musei San Domenico, Guido Cagnacci. Protagonista del Seicento tra Caravaggio e Reni, 20. Januar – 22. Juni 2008, Kat.-Nr. 48 (als Guido Cagnacci)

Literatur:
J. Winkelmann, Guido Cagnacci, in: G. Manni et al., Arte emiliana, dalle raccolte storiche al nuovo collezionismo, Modena 1989, S. 90f., Nr. 65 (als Guido Cagnacci);
B. Buscaroli Fabbri, in: N. Ceroni/G. Viroli, Biblia Pauperum. Dipinti dalle diocesi di Romagna 1570–1670, Ausstellungskatalog, Ravenna 1992, S. 224f., Kat.-Nr. 72 (als Guido Cagnacci);
P. G. Pasini, in: D. Benati/M. Bona Castellotti, Guido Cagnacci, Ausstellungskatalog, Rimini 1993, S. 120f., Kat.-Nr. 23 (als Guido Cagnacci);
L. Muti, A tu per tu con la pittura: studi e ricerche di Storia dell’arte, Faenza 2002, S. 357, Nr. 4 (als Guido Cagnacci);
G. Viroli, in: D. Benati/A. Paolucci, Guido Cagnacci. Protagonista del Seicento tra Caravaggio e Reni, Ausstellungskatalog, Forlì 2008, S. 230f., Kat.-Nr. 48 (als Guido Cagnacci);
D. de Sarno Prignano, in: L. Muti/D. de Sarno Prignano, Guido Cagnacci: Hypòstasis, Faenza 2009, S. 286, Kat.-Nr. 18 (als Guido Cagnacci)

Durch die Helldunkelmalerei tritt die Gestalt der Maria Magdalena aus dem Schatten ins Licht. Das Streiflicht stellt ihr Gesicht mit den halb geschlossenen Augen und geöffneten Lippen in einem Ausdruck von Melancholie aus. Das Licht, das der Modellierung der Gesichtszüge dient, spielt jedoch nicht bloß eine formgebende Rolle, „sondern betont das so sanft gesteigerte Sentiment der unendlichen Süße barmherzigen Mitgefühls“ (siehe Prignano, Literatur). Cagnacci löst hier den Hintergrund als dunkle Schattenzonen auf. In dieser Finsternis zeichnen sich die Attribute der Heiligen nur noch ab: Die Schale wird bloß angedeutet, während der gerade noch sichtbare Heiligenschein mit zarter Pinselspitze gemalt wurde. Die narrativen Elemente sind auf ein Minimum reduziert; der Einfluss der römischen Caravaggisti ist offensichtlich.

Die hl. Maria Magdalena war eines der bevorzugten Sujets der Maler Italiens des 17. Jahrhunderts: Sie verkörperte das von der Gegenreformation vorangetriebene Leitbild von Sünde und Absolution. Sie veränderte ihr Leben radikal und befreite sich von ihren Sünden, um Christus nachzufolgen. Als Büßende steht ihre Gestalt zwischen himmlischem und irdischem Dasein. Darstellungen der Heiligen vereinen in sich die Dualität von Übertretung und Erlösung, die ganz der Auffassung der Gegenreformation entsprach. Die auffälligsten Attribute der Maria Magdalena sind hier langes Haar und ihre entblößte Brust, die auf ihr altes Leben verweisen, während das Kreuz und der Totenkopf auf ihre Reue und ihr Leben in Abgeschiedenheit anspielen und zudem zum Nachsinnen über die Vergänglichkeit dieser Welt einladen.

Das vorliegende Werk ist bezeichnend für Cagnaccis vielgerühmtes Schaffen. Wie Viroli ausführt, „ist die Darstellung isolierter Halbfiguren von Heiligen oder antiken Heldinnen ein wichtiger Aspekt von Cagnaccis Oeuvre“ (siehe Literatur). Gegenüber den davor entstandenen weiblichen Aktfiguren des Künstlers scheint die vorliegende Maria Magdalena noch ausdrucksstärker und dynamischer.

Bei dem vorliegenden Gemälde handelt es sich um eine frühere Fassung des Bildthemas, die im Nationalen Mikalojus-Konstantinas-Čiurlionis-Kunstmuseum in Kaunas, Litauen, aufbewahrt wird (siehe V. Markova, Kartini Italianski Masterov XIV–XVIII Vekov iz Muzeyev CCCP, Moskau 1984, S. 74, Kat.-Nr. 39). Winkelmann (siehe Literatur) hat darauf hingewiesen, dass das vorliegende Bild der Fassung in Litauen vorangeht, wofür der dichtere Farbauftrag und die Farbintensität sprechen, die in die Periode vor dem Umzug des Künstlers nach Venedig im Jahr 1650 gehören, während die rosigen Hauttöne und der durchscheinende Farbauftrag der Kaunas-Magdalena für Cagnaccis venezianisches Schaffen typisch sind. Wenn Cagnacci ein Bildthema wiederholte, nahm er gerne ein paar Veränderungen vor. Weitere Varianten der Büßenden Maria Magdalena befinden sich etwa in Urbania und in einer römischen Privatsammlung (siehe L. Muti 2002, Literatur). Vergleiche mit anderen Werken Cagnaccis bieten sich mit der um 1650 entstandenen Lucretia im Musée des Beaux-Arts in Lille und dem um 1647 für den Marchese Albicini gemalten Heiligen Andreas an (siehe J. Winkelmann, Literatur, S. 90, Kat.-Nr. 64 und F. Giannini, Passione e sensualità: la pittura di Guido Cagnacci, Neapel 2011, S. 102).

Buscaroli Fabbri (siehe Literatur) hat eine Datierung des vorliegenden Gemäldes in die späten 1640er-Jahre vorgeschlagen, als Cagnacci noch zwischen der Romagna und Venedig pendelte, bevor er sich dauerhaft in Venedig niederließ, und in seinen Gemälden Sinnlichkeit und Freude mit Melancholie und Traurigkeit verschmolzen. Pasini und Prignano (siehe Literatur) sehen hingegen eine Entstehungszeit am Beginn der Tätigkeit des Künstlers in Forlì um 1637/1638.

Guido Cagnacci wurde 1601 in Sant’ Arcangelo di Romagna geboren und zog im Alter von 15 Jahren nach Bologna. Wahrscheinlich lernte er bei Ludovico Carracci und Guido Reni. 1621 reiste er zusammen mit Guercino, einem der für ihn einflussreichsten Maler seiner prägenden Jahre, nach Rom. Er kam dort in Kontakt mit den Nachfolgern Caravaggios und blieb bis 1627. Dann kehrte er in die Romagna zurück, wo er auch für Auftraggeber aus Venedig tätig war. 1650 ließ er sich dauerhaft in Venedig nieder. Acht Jahre später wurde er nach Wien gerufen, wo er starb.

Sein Stil zeichnet sich durch eine zwischen caravaggeskem Naturalismus und Renis Idealismus oszillierende Herangehensweise aus. In seinem Oeuvre finden sich erstaunlich sinnliche, dabei aber auch sehr reelle Figurentypen. Umgesetzt wurden diese durch einen meisterhaften Umgang mit der Farbe, der während Cagnaccis Aufenthalt in Venedig und danach, als er die großen Meister des venezianischen Cinquecento interpretierte, noch mehr hervortrat.

30.04.2019 - 17:00

Erzielter Preis: **
EUR 125.300,-
Schätzwert:
EUR 100.000,- bis EUR 150.000,-

Guido Cagnacci


(Sant’ Arcangelo di Romagna 1601–1663 Wien)
Die büßende Maria Magdalena,
Öl auf Leinwand, 96 x 75,5 cm, Florentiner Ädikula-Rahmen, vermutlich 17. Jahrhundert

Provenienz:
Auktion, Sotheby’s, London, 28. Oktober 1987, Lot 164 (als Guido Cagnacci zugeschrieben);
Privatsammlung, Forlì

Ausgestellt:
Ravenna, Museo Nazionale, Biblia Pauperum: dipinti dalle diocesi di Romagna 1570–1670, 1992, Kat.-Nr. 72 (als Guido Cagnacci);
Rimini, Museo della Città, Guido Cagnacci, 21. August – 28. November 1993, Kat.-Nr. 23 (als Guido Cagnacci);
Forlì, Musei San Domenico, Guido Cagnacci. Protagonista del Seicento tra Caravaggio e Reni, 20. Januar – 22. Juni 2008, Kat.-Nr. 48 (als Guido Cagnacci)

Literatur:
J. Winkelmann, Guido Cagnacci, in: G. Manni et al., Arte emiliana, dalle raccolte storiche al nuovo collezionismo, Modena 1989, S. 90f., Nr. 65 (als Guido Cagnacci);
B. Buscaroli Fabbri, in: N. Ceroni/G. Viroli, Biblia Pauperum. Dipinti dalle diocesi di Romagna 1570–1670, Ausstellungskatalog, Ravenna 1992, S. 224f., Kat.-Nr. 72 (als Guido Cagnacci);
P. G. Pasini, in: D. Benati/M. Bona Castellotti, Guido Cagnacci, Ausstellungskatalog, Rimini 1993, S. 120f., Kat.-Nr. 23 (als Guido Cagnacci);
L. Muti, A tu per tu con la pittura: studi e ricerche di Storia dell’arte, Faenza 2002, S. 357, Nr. 4 (als Guido Cagnacci);
G. Viroli, in: D. Benati/A. Paolucci, Guido Cagnacci. Protagonista del Seicento tra Caravaggio e Reni, Ausstellungskatalog, Forlì 2008, S. 230f., Kat.-Nr. 48 (als Guido Cagnacci);
D. de Sarno Prignano, in: L. Muti/D. de Sarno Prignano, Guido Cagnacci: Hypòstasis, Faenza 2009, S. 286, Kat.-Nr. 18 (als Guido Cagnacci)

Durch die Helldunkelmalerei tritt die Gestalt der Maria Magdalena aus dem Schatten ins Licht. Das Streiflicht stellt ihr Gesicht mit den halb geschlossenen Augen und geöffneten Lippen in einem Ausdruck von Melancholie aus. Das Licht, das der Modellierung der Gesichtszüge dient, spielt jedoch nicht bloß eine formgebende Rolle, „sondern betont das so sanft gesteigerte Sentiment der unendlichen Süße barmherzigen Mitgefühls“ (siehe Prignano, Literatur). Cagnacci löst hier den Hintergrund als dunkle Schattenzonen auf. In dieser Finsternis zeichnen sich die Attribute der Heiligen nur noch ab: Die Schale wird bloß angedeutet, während der gerade noch sichtbare Heiligenschein mit zarter Pinselspitze gemalt wurde. Die narrativen Elemente sind auf ein Minimum reduziert; der Einfluss der römischen Caravaggisti ist offensichtlich.

Die hl. Maria Magdalena war eines der bevorzugten Sujets der Maler Italiens des 17. Jahrhunderts: Sie verkörperte das von der Gegenreformation vorangetriebene Leitbild von Sünde und Absolution. Sie veränderte ihr Leben radikal und befreite sich von ihren Sünden, um Christus nachzufolgen. Als Büßende steht ihre Gestalt zwischen himmlischem und irdischem Dasein. Darstellungen der Heiligen vereinen in sich die Dualität von Übertretung und Erlösung, die ganz der Auffassung der Gegenreformation entsprach. Die auffälligsten Attribute der Maria Magdalena sind hier langes Haar und ihre entblößte Brust, die auf ihr altes Leben verweisen, während das Kreuz und der Totenkopf auf ihre Reue und ihr Leben in Abgeschiedenheit anspielen und zudem zum Nachsinnen über die Vergänglichkeit dieser Welt einladen.

Das vorliegende Werk ist bezeichnend für Cagnaccis vielgerühmtes Schaffen. Wie Viroli ausführt, „ist die Darstellung isolierter Halbfiguren von Heiligen oder antiken Heldinnen ein wichtiger Aspekt von Cagnaccis Oeuvre“ (siehe Literatur). Gegenüber den davor entstandenen weiblichen Aktfiguren des Künstlers scheint die vorliegende Maria Magdalena noch ausdrucksstärker und dynamischer.

Bei dem vorliegenden Gemälde handelt es sich um eine frühere Fassung des Bildthemas, die im Nationalen Mikalojus-Konstantinas-Čiurlionis-Kunstmuseum in Kaunas, Litauen, aufbewahrt wird (siehe V. Markova, Kartini Italianski Masterov XIV–XVIII Vekov iz Muzeyev CCCP, Moskau 1984, S. 74, Kat.-Nr. 39). Winkelmann (siehe Literatur) hat darauf hingewiesen, dass das vorliegende Bild der Fassung in Litauen vorangeht, wofür der dichtere Farbauftrag und die Farbintensität sprechen, die in die Periode vor dem Umzug des Künstlers nach Venedig im Jahr 1650 gehören, während die rosigen Hauttöne und der durchscheinende Farbauftrag der Kaunas-Magdalena für Cagnaccis venezianisches Schaffen typisch sind. Wenn Cagnacci ein Bildthema wiederholte, nahm er gerne ein paar Veränderungen vor. Weitere Varianten der Büßenden Maria Magdalena befinden sich etwa in Urbania und in einer römischen Privatsammlung (siehe L. Muti 2002, Literatur). Vergleiche mit anderen Werken Cagnaccis bieten sich mit der um 1650 entstandenen Lucretia im Musée des Beaux-Arts in Lille und dem um 1647 für den Marchese Albicini gemalten Heiligen Andreas an (siehe J. Winkelmann, Literatur, S. 90, Kat.-Nr. 64 und F. Giannini, Passione e sensualità: la pittura di Guido Cagnacci, Neapel 2011, S. 102).

Buscaroli Fabbri (siehe Literatur) hat eine Datierung des vorliegenden Gemäldes in die späten 1640er-Jahre vorgeschlagen, als Cagnacci noch zwischen der Romagna und Venedig pendelte, bevor er sich dauerhaft in Venedig niederließ, und in seinen Gemälden Sinnlichkeit und Freude mit Melancholie und Traurigkeit verschmolzen. Pasini und Prignano (siehe Literatur) sehen hingegen eine Entstehungszeit am Beginn der Tätigkeit des Künstlers in Forlì um 1637/1638.

Guido Cagnacci wurde 1601 in Sant’ Arcangelo di Romagna geboren und zog im Alter von 15 Jahren nach Bologna. Wahrscheinlich lernte er bei Ludovico Carracci und Guido Reni. 1621 reiste er zusammen mit Guercino, einem der für ihn einflussreichsten Maler seiner prägenden Jahre, nach Rom. Er kam dort in Kontakt mit den Nachfolgern Caravaggios und blieb bis 1627. Dann kehrte er in die Romagna zurück, wo er auch für Auftraggeber aus Venedig tätig war. 1650 ließ er sich dauerhaft in Venedig nieder. Acht Jahre später wurde er nach Wien gerufen, wo er starb.

Sein Stil zeichnet sich durch eine zwischen caravaggeskem Naturalismus und Renis Idealismus oszillierende Herangehensweise aus. In seinem Oeuvre finden sich erstaunlich sinnliche, dabei aber auch sehr reelle Figurentypen. Umgesetzt wurden diese durch einen meisterhaften Umgang mit der Farbe, der während Cagnaccis Aufenthalt in Venedig und danach, als er die großen Meister des venezianischen Cinquecento interpretierte, noch mehr hervortrat.


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
old.masters@dorotheum.at

+43 1 515 60 403
Auktion: Alte Meister
Auktionstyp: Saalauktion
Datum: 30.04.2019 - 17:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 20.04. - 30.04.2019


** Kaufpreis inkl. Käufergebühr und Mehrwertsteuer

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