Lot Nr. 402


Carpoforo Tencalla


Carpoforo Tencalla - Alte Meister

(Bissone 1623–1685)
Odysseus entdeckt Achilles unter den Töchtern des Lykomedes,
Öl auf Leinwand, 135,5 x 181 cm, gerahmt

Provenienz:
Privatsammlung, Österreich, bis 1997;
dort erworben durch den jetzigen Besitzer

Wir danken Mauro Lucco, der die Zuschreibung an den Tessiner Maler Carpoforo Tencalla nach Prüfung des vorliegenden Gemäldes im Original vorgeschlagen hat, für dessen Hilfe bei der Katalogisierung. Er datiert das Werk um 1660.

Man kann dieses Gemälde mit Werken des Künstlers vergleichen, die dieser in Südbayern, in der Slowakei, in Mähren sowie in Österreich, vor allem in Wien, schuf: Carpoforo Tencalla stattete den Leopoldinischen Trakt der Hofburg, die Kirche am Hof und das Stift Heiligenkreuz mit Fresken aus. Seine ersten Arbeiten aus dem Jahr 1667 sind bedauerlicherweise verloren, jene in der Sakristei der Klosterkirche Heiligenkreuz und der Kirche am Hof, die er in den beiden darauffolgenden Jahren fertigstellte, haben sich bis heute erhalten. Zwischen 1666 und 1678 ist Tencalla als im Schloss Petronell der Familie Abensperg-Traun tätig dokumentiert, und die monochrome Figur des Überflusses im Ballsaal lässt sich aufgrund ihrer hellen Lichtlinien der vorliegenden Arbeit zur Seite stellen. Auch die Lebendigkeit der Figuren – wie die Odysseus’ – lässt sich unschwer in den signierten Fresken des Chors der Abteikirche Lambach in Oberösterreich von 1659 oder der 1670 entstandenen Allegorie des Winters im Festsaal des damals im Besitz der Familie Trauttmansdorff befindlichen Schlosses Trautenfels wiederfinden.

Die im vorliegenden Werk dargestellte Episode ist die unter anderem von Statius (Achilleïs: 1:207), Philostratus, Apollodor (Bibliotheke III, 13:8) und Ovid (Metamorphosen XIII: 162–170) erzählte Geschichte von Achilles. Indem sich Odysseus der Kriegslist bediente, Waffen unter den Geschenken für die Töchter Lykomedes’, des Königs von Skyros, zu verstecken, gelang es ihm, den als Frau verkleideten Achilles zu entlarven. Dieser war dort von seiner Mutter Thetis versteckt worden, um zu verhindern, dass er in den Krieg gegen Troja verwickelt wurde, in dem er seiner Bestimmung gemäß den Tod finden sollte. Und so begegnen wir tatsächlich im Zentrum der Komposition einer „Jungfrau“, die allem Anschein nach ihre traditionellen Waffen der Verführung – Schmuck, Perlen, Salben, Bürsten und Bänder – aufgibt, um nach Pfeil und Bogen zu greifen. Die „Jungfrau“ ist allerdings eindeutig muskulöser und stärker gebaut als die sie umgebenden jungen Frauen, was allein schon genügen würde, sie zu verraten. Plinius zufolge (Naturalis Historia, XXXV: 134) stammte die am meisten gerühmte Darstellung dieser Episode im Altertum – ein brillantes, in den letzten Jahrzehnten des vierten Jahrhunderts v. d. Z. entstandenes Werk – von Athenion aus Maroneia.

Tencalla interpretiert die Szene mit einem gewissen barocken Enzyklopädismus. Dass Achilleus zu den Waffen greift, hat seinen Grund in dem Schlachtenlärm, den Odysseus’ in der Nähe lagernde Kampfgefährten kunstvoll erzeugen. Es ist dieser Lärm, der den Helden dazu bringt, ungestüm zu den Waffen zu greifen, während ihn Odysseus zu beruhigen versucht. Angedeutet wird seine Kampfbereitschaft auch durch die Gegenwart des Pferdes auf der linken Seite, das gewiss keine Kreatur ist, die üblicherweise in die haremartigen Unterkünfte von Frauen eingelassen wird. Odysseus ist, im polnischen Stil, orientalisch gekleidet und trägt wie sein namenloser Gefährte einen auffälligen Turban. Vielleicht wurde der Mythos abgewandelt, um etwas darzustellen, was in jener Epoche als reale Bedrohung empfunden wurde: die Ausdehnung des Osmanischen Reichs. Die Gemächer der Frauen erstrecken sich offensichtlich über einen riesigen Palast, von dem aus verschiedene Personen in einer Loggia die sich entfaltende Szene verfolgen.

30.04.2019 - 17:00

Schätzwert:
EUR 25.000,- bis EUR 30.000,-

Carpoforo Tencalla


(Bissone 1623–1685)
Odysseus entdeckt Achilles unter den Töchtern des Lykomedes,
Öl auf Leinwand, 135,5 x 181 cm, gerahmt

Provenienz:
Privatsammlung, Österreich, bis 1997;
dort erworben durch den jetzigen Besitzer

Wir danken Mauro Lucco, der die Zuschreibung an den Tessiner Maler Carpoforo Tencalla nach Prüfung des vorliegenden Gemäldes im Original vorgeschlagen hat, für dessen Hilfe bei der Katalogisierung. Er datiert das Werk um 1660.

Man kann dieses Gemälde mit Werken des Künstlers vergleichen, die dieser in Südbayern, in der Slowakei, in Mähren sowie in Österreich, vor allem in Wien, schuf: Carpoforo Tencalla stattete den Leopoldinischen Trakt der Hofburg, die Kirche am Hof und das Stift Heiligenkreuz mit Fresken aus. Seine ersten Arbeiten aus dem Jahr 1667 sind bedauerlicherweise verloren, jene in der Sakristei der Klosterkirche Heiligenkreuz und der Kirche am Hof, die er in den beiden darauffolgenden Jahren fertigstellte, haben sich bis heute erhalten. Zwischen 1666 und 1678 ist Tencalla als im Schloss Petronell der Familie Abensperg-Traun tätig dokumentiert, und die monochrome Figur des Überflusses im Ballsaal lässt sich aufgrund ihrer hellen Lichtlinien der vorliegenden Arbeit zur Seite stellen. Auch die Lebendigkeit der Figuren – wie die Odysseus’ – lässt sich unschwer in den signierten Fresken des Chors der Abteikirche Lambach in Oberösterreich von 1659 oder der 1670 entstandenen Allegorie des Winters im Festsaal des damals im Besitz der Familie Trauttmansdorff befindlichen Schlosses Trautenfels wiederfinden.

Die im vorliegenden Werk dargestellte Episode ist die unter anderem von Statius (Achilleïs: 1:207), Philostratus, Apollodor (Bibliotheke III, 13:8) und Ovid (Metamorphosen XIII: 162–170) erzählte Geschichte von Achilles. Indem sich Odysseus der Kriegslist bediente, Waffen unter den Geschenken für die Töchter Lykomedes’, des Königs von Skyros, zu verstecken, gelang es ihm, den als Frau verkleideten Achilles zu entlarven. Dieser war dort von seiner Mutter Thetis versteckt worden, um zu verhindern, dass er in den Krieg gegen Troja verwickelt wurde, in dem er seiner Bestimmung gemäß den Tod finden sollte. Und so begegnen wir tatsächlich im Zentrum der Komposition einer „Jungfrau“, die allem Anschein nach ihre traditionellen Waffen der Verführung – Schmuck, Perlen, Salben, Bürsten und Bänder – aufgibt, um nach Pfeil und Bogen zu greifen. Die „Jungfrau“ ist allerdings eindeutig muskulöser und stärker gebaut als die sie umgebenden jungen Frauen, was allein schon genügen würde, sie zu verraten. Plinius zufolge (Naturalis Historia, XXXV: 134) stammte die am meisten gerühmte Darstellung dieser Episode im Altertum – ein brillantes, in den letzten Jahrzehnten des vierten Jahrhunderts v. d. Z. entstandenes Werk – von Athenion aus Maroneia.

Tencalla interpretiert die Szene mit einem gewissen barocken Enzyklopädismus. Dass Achilleus zu den Waffen greift, hat seinen Grund in dem Schlachtenlärm, den Odysseus’ in der Nähe lagernde Kampfgefährten kunstvoll erzeugen. Es ist dieser Lärm, der den Helden dazu bringt, ungestüm zu den Waffen zu greifen, während ihn Odysseus zu beruhigen versucht. Angedeutet wird seine Kampfbereitschaft auch durch die Gegenwart des Pferdes auf der linken Seite, das gewiss keine Kreatur ist, die üblicherweise in die haremartigen Unterkünfte von Frauen eingelassen wird. Odysseus ist, im polnischen Stil, orientalisch gekleidet und trägt wie sein namenloser Gefährte einen auffälligen Turban. Vielleicht wurde der Mythos abgewandelt, um etwas darzustellen, was in jener Epoche als reale Bedrohung empfunden wurde: die Ausdehnung des Osmanischen Reichs. Die Gemächer der Frauen erstrecken sich offensichtlich über einen riesigen Palast, von dem aus verschiedene Personen in einer Loggia die sich entfaltende Szene verfolgen.


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old.masters@dorotheum.at

+43 1 515 60 403
Auktion: Alte Meister
Auktionstyp: Saalauktion
Datum: 30.04.2019 - 17:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 20.04. - 30.04.2019

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