Lot Nr. 11


Raffaello Sanzio, gen. Raffael enges Umfeld*


Raffaello Sanzio, gen. Raffael enges Umfeld* - Alte Meister I

(Urbino 1483–1520 Rom)
Madonna mit Kind,
Öl auf Holz, Tondo, Durchmesser 87,5 cm, gerahmt

* Das Werk ist in der unmittelbaren Einflusssphäre des Künstlers entstanden.

Provenienz:
europäische Privatsammlung;
dort erworben durch den jetzigen Besitzer um 2000

Bei der vorliegenden Madonna mit Kind handelt es sich um ein Gemälde von hoher Qualität. Nachforschungen und die technische Untersuchung haben bestätigt, dass das Werk von großem Interesse ist. Für das Tondo wurde eine Datierung um 1505 vorgeschlagen. Es gilt als qualitativ hochwertige Fassung einer Komposition Raffaels. Die Frage, ob das Bild unter Raffaels Aufsicht ausgeführt wurde, bleibt offen.

Kompositorisch gleicht das vorliegende Gemälde stark einem Frühwerk Raffaels, das insbesondere mit der sogenannten Kleinen Cowper-Madonna in der National Gallery of Art in Washington vergleichbar ist, die ebenfalls um 1505 datiert wird (siehe Abb. 1).

Über Raffaels Arbeitsweise der Frühzeit weiß man wenig. Die Zuschreibungen vieler Werke aus dieser Periode sind Gegenstand kunsthistorischer Diskussion. Zurzeit müsste eine endgültige Zuschreibung des Gemäldes offen und subjektiv bleiben, zumal sich Zuschreibungen undokumentierter Werke nur auf Meinungen stützen können, die im Laufe der Zeit und mit dem Fortschritt der Wissenschaft veränderbar sind.

Höchstwahrscheinlich wurde das vorliegende Gemälde entweder unter Zuhilfenahme eines Kartons Raffaels ausgeführt, den sich der Maler geliehen hat, oder indem das vollendete Werk Raffaels gepaust wurde, wobei die Kompositionsform des Tondos gewählt wurde. Der Künstler des vorliegenden Gemäldes muss Zugang zu den Entwürfen und Gemälden Raffaels gehabt haben, sodass es sich wohl um jemanden gehandelt haben muss, der in seinem Umfeld arbeitete.

Die im vorliegenden Werk erkennbare Sicherheit der Zeichnung und Feinheit der Technik sind der Malweise vergleichbar, die Raffael in seiner Frühzeit pflegte. Mehrere bemerkenswerte Details in der Umsetzung des Bildthemas erinnern ebenfalls stark an seine Herangehensweise. Auch die technische Untersuchung ergibt eine große Nähe zu Raffaels Korpus eigenhändiger Werke. Die hochwertige Ausführung belegen unter Infrarotreflektografie entstandene Aufnahmen, welche die Unterzeichnung auf dem präparierten Malgrund deutlich erkennen lassen.

Madonna und Kind sind im Einklang mit dem von Perugino etablierten und von Raffael zur Perfektion gebrachten Kanon vor einer hölzernen Balustrade platziert, hinter der sich eine Landschaft erstreckt. Die Madonna ist leicht nach vorne geneigt und hält das stehende Jesuskind auf den Knien. Der linke Fuß des Kindes ruht sanft auf dem rechten Handrücken der Mutter, mit den Händen hält es sich an Brust und Hals fest. Wie bei anderen Perugino folgenden Werken aus Raffaels Frühzeit trägt Maria ein in der Taille gebundenes rotes Kleid mit rundem Ausschnitt und einen transparenten Schleier, der sich vom Hinterkopf aus um ihren Körper legt. Der in einem grünlichen Ockerton gefütterte himmelblaue Umhang scheint ihr von den Schultern gerutscht. Im Hintergrund, hinter der mit einem dunklen Tuch bedeckten Rückwand, öffnet sich eine Hügellandschaft. Sie wird rechts von einem Waldweg durchzogen, links sind Felsen, ein einzelner Baum und Wälder dargestellt.

Mit ihrem erhabenen Antlitz folgt die Madonna der bildnerischen Auffassung der Renaissance und dem von Raffael aufgestellten Kanon der Schönheit: weiße Haut mit rosigen Wangen, dünne, geschwungene Brauen über dunklen, mandelförmigen Augen, eine gelängte Nase mit winziger Spitze sowie rosige Lippen und punktförmige Grübchen.

Die Haltung des Kindes, das mit dem linken Arm an der Mutter lehnt und damit die Rundung des Ausschnitts unterbricht, erinnert an das Jesuskind der um 1505 entstandenen Northbrook Madonna (Worcester Museum of Art, Massachusetts, Inv.-Nr. 1940.39), in der man lange ein eigenhändiges Werk Raffaels sah, die aber nach wie vor Gegenstand wissenschaftlicher Kontroversen ist. Heute ist man der allgemeinen Auffassung, dass der Entwurf der Komposition vom Künstler stammt und er die Ausführung beaufsichtigt hat. Diese hätte dann wohl einem Gehilfen oder Mitarbeiter oder zumindest einem Künstler aus dem Umkreis Raffaels oblegen.

Raffael hatte während seiner Schaffenszeit in Umbrien, wo er als unabhängiger Künstler dokumentiert ist, und in Florenz keine Werkstattgehilfen, doch sind Verbindungen zu Zeitgenossen wie Berto di Giovanni und Domenico Alfani dokumentiert, die sich beide seiner Zeichnungen bedienten. Das vorliegende Gemälde ordnet sich in diesen Kontext ein und stammt von einem Künstler, der Raffael sehr nahestand.

Technische Untersuchung durch Gianluca Poldi:

Mittels Infrarotreflektografie wird eine sehr dünne Unterzeichnung in manchen Details der Figuren erkennbar, etwa im Gesicht der Madonna (Nase, Mund, Kinn) und im Bereich der Hände sowie entlang des rechten Profils des Kindes.

Es sind keine Übertragungsspuren wie etwa die einer Lochpause sowie ausschließlich minimale Veränderungen erkennbar. Dazu gehörten die Fingerspitzen der rechten Hand der Madonna, die verlängert wurden, um über den blauen Umhang zu reichen, wohingegen sie ursprünglich kürzer dargestellt waren und die Hand geschlossener erschien. Zudem zeigt sich, dass bei dem schlichten, aber kostbaren, mit schwarzem Pigment ausgeführten Tuch über der Balustrade, welche die Figuren vom Hintergrund trennt, rechts ein paar Falten über der bereits gemalten Landschaft hinzugefügt wurden.

An über 20 Stellen durchgeführte Untersuchungen mittels Röntgenfluoreszenz und Reflexionsspektroskopie (VIS-RS) ermöglichen die Bestimmung der meisten Verwendung findenden Pigmente sowie das Erkennen einiger Besonderheiten. Das Werk ist auf einem weißen Grund gemalt, der sowohl Kalzium als auch Strontium enthält, und folglich vermutlich auf Gesso. Als einziger blauer Farbstoff kam Azurit zum Einsatz, der in allen Blaubereichen feststellbar ist und sich durch Verunreinigungen mit Bariumsulfat auszeichnet; dieses Blau wurde im Bereich der purpurnen Kopfbedeckung der Heiligen Jungfrau mit Krapplack vermischt. Derselbe Rotlack (bestimmbar durch VIS-RS mit Absorptionsbanden von 510 und 550 nm), der sich in vor 1500–1510 entstandenen Gemälden kaum findet und auch danach nicht häufig verwendet wurde, zeigt sich auch im Bereich der Lippen der Madonna anstelle des viel gebräuchlicheren Rotlacks auf Karminbasis. Spuren von Mangan und Silizium in den Rotlack enthaltenden Bereichen weisen auf die Verwendung von Glaspartikeln hin, um den Trocknungsprozess voranzutreiben und der Oberfläche Körper und Rauheit zu verleihen.

Jüngst durchgeführte Studien haben ergeben, dass diese Malpraxis bei Raffael und seiner Werkstatt sowie bei seinem Vater und Perugino gang und gäbe war.

Die Hauttöne wurden allgemein durch eine Mischung von Bleiweiß, Ocker/Erden und Zinnober erzielt. Die Grüntöne enthalten Grünspan, der bisweilen mit bleibasiertem Gelb aufgehellt wurde, mitunter im Bereich der Vegetation und in den Lichtern am Aufschlag des Mantels der Heiligen Jungfrau. Ocker und Erden ergeben die Brauntöne der Landschaft, zu denen stellenweise in einem letzten Arbeitsschritt Grünspan hinzukam.

Das schwarze Tuch im Hintergrund enthält Phosphor, was darauf hinweist, dass Knochenkohle vor Kohle aus Rebenholz oder Ruß der Vorzug gegeben wurde. In der klaren Feinheit, mit der das Gemälde ausgeführt ist, offenbart sich die hohe Qualität der eingesetzten Technik.

Maltechnik und Materialen befinden sich durchweg im Einklang mit der Malpraxis des 16. Jahrhunderts und des Umkreises Raffaels.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com

10.11.2021 - 16:00

Schätzwert:
EUR 200.000,- bis EUR 300.000,-

Raffaello Sanzio, gen. Raffael enges Umfeld*


(Urbino 1483–1520 Rom)
Madonna mit Kind,
Öl auf Holz, Tondo, Durchmesser 87,5 cm, gerahmt

* Das Werk ist in der unmittelbaren Einflusssphäre des Künstlers entstanden.

Provenienz:
europäische Privatsammlung;
dort erworben durch den jetzigen Besitzer um 2000

Bei der vorliegenden Madonna mit Kind handelt es sich um ein Gemälde von hoher Qualität. Nachforschungen und die technische Untersuchung haben bestätigt, dass das Werk von großem Interesse ist. Für das Tondo wurde eine Datierung um 1505 vorgeschlagen. Es gilt als qualitativ hochwertige Fassung einer Komposition Raffaels. Die Frage, ob das Bild unter Raffaels Aufsicht ausgeführt wurde, bleibt offen.

Kompositorisch gleicht das vorliegende Gemälde stark einem Frühwerk Raffaels, das insbesondere mit der sogenannten Kleinen Cowper-Madonna in der National Gallery of Art in Washington vergleichbar ist, die ebenfalls um 1505 datiert wird (siehe Abb. 1).

Über Raffaels Arbeitsweise der Frühzeit weiß man wenig. Die Zuschreibungen vieler Werke aus dieser Periode sind Gegenstand kunsthistorischer Diskussion. Zurzeit müsste eine endgültige Zuschreibung des Gemäldes offen und subjektiv bleiben, zumal sich Zuschreibungen undokumentierter Werke nur auf Meinungen stützen können, die im Laufe der Zeit und mit dem Fortschritt der Wissenschaft veränderbar sind.

Höchstwahrscheinlich wurde das vorliegende Gemälde entweder unter Zuhilfenahme eines Kartons Raffaels ausgeführt, den sich der Maler geliehen hat, oder indem das vollendete Werk Raffaels gepaust wurde, wobei die Kompositionsform des Tondos gewählt wurde. Der Künstler des vorliegenden Gemäldes muss Zugang zu den Entwürfen und Gemälden Raffaels gehabt haben, sodass es sich wohl um jemanden gehandelt haben muss, der in seinem Umfeld arbeitete.

Die im vorliegenden Werk erkennbare Sicherheit der Zeichnung und Feinheit der Technik sind der Malweise vergleichbar, die Raffael in seiner Frühzeit pflegte. Mehrere bemerkenswerte Details in der Umsetzung des Bildthemas erinnern ebenfalls stark an seine Herangehensweise. Auch die technische Untersuchung ergibt eine große Nähe zu Raffaels Korpus eigenhändiger Werke. Die hochwertige Ausführung belegen unter Infrarotreflektografie entstandene Aufnahmen, welche die Unterzeichnung auf dem präparierten Malgrund deutlich erkennen lassen.

Madonna und Kind sind im Einklang mit dem von Perugino etablierten und von Raffael zur Perfektion gebrachten Kanon vor einer hölzernen Balustrade platziert, hinter der sich eine Landschaft erstreckt. Die Madonna ist leicht nach vorne geneigt und hält das stehende Jesuskind auf den Knien. Der linke Fuß des Kindes ruht sanft auf dem rechten Handrücken der Mutter, mit den Händen hält es sich an Brust und Hals fest. Wie bei anderen Perugino folgenden Werken aus Raffaels Frühzeit trägt Maria ein in der Taille gebundenes rotes Kleid mit rundem Ausschnitt und einen transparenten Schleier, der sich vom Hinterkopf aus um ihren Körper legt. Der in einem grünlichen Ockerton gefütterte himmelblaue Umhang scheint ihr von den Schultern gerutscht. Im Hintergrund, hinter der mit einem dunklen Tuch bedeckten Rückwand, öffnet sich eine Hügellandschaft. Sie wird rechts von einem Waldweg durchzogen, links sind Felsen, ein einzelner Baum und Wälder dargestellt.

Mit ihrem erhabenen Antlitz folgt die Madonna der bildnerischen Auffassung der Renaissance und dem von Raffael aufgestellten Kanon der Schönheit: weiße Haut mit rosigen Wangen, dünne, geschwungene Brauen über dunklen, mandelförmigen Augen, eine gelängte Nase mit winziger Spitze sowie rosige Lippen und punktförmige Grübchen.

Die Haltung des Kindes, das mit dem linken Arm an der Mutter lehnt und damit die Rundung des Ausschnitts unterbricht, erinnert an das Jesuskind der um 1505 entstandenen Northbrook Madonna (Worcester Museum of Art, Massachusetts, Inv.-Nr. 1940.39), in der man lange ein eigenhändiges Werk Raffaels sah, die aber nach wie vor Gegenstand wissenschaftlicher Kontroversen ist. Heute ist man der allgemeinen Auffassung, dass der Entwurf der Komposition vom Künstler stammt und er die Ausführung beaufsichtigt hat. Diese hätte dann wohl einem Gehilfen oder Mitarbeiter oder zumindest einem Künstler aus dem Umkreis Raffaels oblegen.

Raffael hatte während seiner Schaffenszeit in Umbrien, wo er als unabhängiger Künstler dokumentiert ist, und in Florenz keine Werkstattgehilfen, doch sind Verbindungen zu Zeitgenossen wie Berto di Giovanni und Domenico Alfani dokumentiert, die sich beide seiner Zeichnungen bedienten. Das vorliegende Gemälde ordnet sich in diesen Kontext ein und stammt von einem Künstler, der Raffael sehr nahestand.

Technische Untersuchung durch Gianluca Poldi:

Mittels Infrarotreflektografie wird eine sehr dünne Unterzeichnung in manchen Details der Figuren erkennbar, etwa im Gesicht der Madonna (Nase, Mund, Kinn) und im Bereich der Hände sowie entlang des rechten Profils des Kindes.

Es sind keine Übertragungsspuren wie etwa die einer Lochpause sowie ausschließlich minimale Veränderungen erkennbar. Dazu gehörten die Fingerspitzen der rechten Hand der Madonna, die verlängert wurden, um über den blauen Umhang zu reichen, wohingegen sie ursprünglich kürzer dargestellt waren und die Hand geschlossener erschien. Zudem zeigt sich, dass bei dem schlichten, aber kostbaren, mit schwarzem Pigment ausgeführten Tuch über der Balustrade, welche die Figuren vom Hintergrund trennt, rechts ein paar Falten über der bereits gemalten Landschaft hinzugefügt wurden.

An über 20 Stellen durchgeführte Untersuchungen mittels Röntgenfluoreszenz und Reflexionsspektroskopie (VIS-RS) ermöglichen die Bestimmung der meisten Verwendung findenden Pigmente sowie das Erkennen einiger Besonderheiten. Das Werk ist auf einem weißen Grund gemalt, der sowohl Kalzium als auch Strontium enthält, und folglich vermutlich auf Gesso. Als einziger blauer Farbstoff kam Azurit zum Einsatz, der in allen Blaubereichen feststellbar ist und sich durch Verunreinigungen mit Bariumsulfat auszeichnet; dieses Blau wurde im Bereich der purpurnen Kopfbedeckung der Heiligen Jungfrau mit Krapplack vermischt. Derselbe Rotlack (bestimmbar durch VIS-RS mit Absorptionsbanden von 510 und 550 nm), der sich in vor 1500–1510 entstandenen Gemälden kaum findet und auch danach nicht häufig verwendet wurde, zeigt sich auch im Bereich der Lippen der Madonna anstelle des viel gebräuchlicheren Rotlacks auf Karminbasis. Spuren von Mangan und Silizium in den Rotlack enthaltenden Bereichen weisen auf die Verwendung von Glaspartikeln hin, um den Trocknungsprozess voranzutreiben und der Oberfläche Körper und Rauheit zu verleihen.

Jüngst durchgeführte Studien haben ergeben, dass diese Malpraxis bei Raffael und seiner Werkstatt sowie bei seinem Vater und Perugino gang und gäbe war.

Die Hauttöne wurden allgemein durch eine Mischung von Bleiweiß, Ocker/Erden und Zinnober erzielt. Die Grüntöne enthalten Grünspan, der bisweilen mit bleibasiertem Gelb aufgehellt wurde, mitunter im Bereich der Vegetation und in den Lichtern am Aufschlag des Mantels der Heiligen Jungfrau. Ocker und Erden ergeben die Brauntöne der Landschaft, zu denen stellenweise in einem letzten Arbeitsschritt Grünspan hinzukam.

Das schwarze Tuch im Hintergrund enthält Phosphor, was darauf hinweist, dass Knochenkohle vor Kohle aus Rebenholz oder Ruß der Vorzug gegeben wurde. In der klaren Feinheit, mit der das Gemälde ausgeführt ist, offenbart sich die hohe Qualität der eingesetzten Technik.

Maltechnik und Materialen befinden sich durchweg im Einklang mit der Malpraxis des 16. Jahrhunderts und des Umkreises Raffaels.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
old.masters@dorotheum.at

+43 1 515 60 403
Auktion: Alte Meister I
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 10.11.2021 - 16:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 29.10. - 10.11.2021