Lot Nr. 39


Umkreis oder Werkstatt des Tiziano Vecellio, gen. Tizian


(Pieve di Cadore 1485–1576 Venedig)
Venus und Adonis,
bezeichnet rechts unten: TICIANUS / F,
Öl auf Leinwand, 172,5 x 207,5 cm, gerahmt

Provenienz:
Adelsbesitz, bis 1982;
aus diesem erworben durch den Großvater des jetzigen Besitzers

Bei Venus und Adonis handelt es sich um eine der berühmtesten Kompositionen Tizians, die vom Meister und seinen Gehilfen immer wieder repliziert wurde. Die Hauptinspirationsquelle des Künstlers waren Ovids Metamorphosen (Buch X, 532–539 und 705–709), wo sich die Göttin der Schönheit in den hübschen Adonis verliebt, der ein leidenschaftlicher Jäger war. Trotz Warnungen der Venus wurde der junge Mann bei einem Jagdausflug von einem wilden Eber getötet. Die verzweifelte Göttin griff daraufhin zur Metamorphose, um das Andenken an ihren Geliebten zu bewahren, und verwandelte ihn in eine schöne, duftende Anemone.

Tizian wählte die Darstellung des Augenblicks, in dem Adonis zu seiner letzten Jagd aufbricht, bewaffnet mit Speer und Jagdhorn, eine Hundemeute an der Leine führend. Es ist Morgengrauen, Apollos Wagen ist im Osten zwischen den Wolken zu sehen, während Amor noch unter einem Baum schläft. Venus versucht – vergeblich – ihren jungen Geliebten in einer verzweifelten Umarmung festzuhalten, um ihn am Fortgehen zu hindern – ein Detail, das in den literarischen Quellen fehlt und vermutlich auf eine Erfindung Tizians zurückgeht.

Unter den zahlreichen bekannten Versionen finden sich mehrere Varianten, die sich im Ausmaß an Eigenhändigkeit, der Größe der Leinwand, der Anzahl der dargestellten Hunde, der Weite der Landschaft und dem Vorhandensein bzw. Fehlen mehrere kleinerer Details mehr oder weniger nahestehen. Es wird allgemein angenommen, dass die älteste Fassung der Gruppe die Version des Prado aus der Zeit um 1554 ist. Es ist jedoch möglich, dass der Künstler das Thema bereits Jahrzehnte früher konzipiert hatte: Der Knabe mit einem Vogel in der National Gallery in London, der stilistisch dem Meister oder seinem Umkreis zuzuschreiben ist und in die 1520er-Jahre datiert werden kann, könnte tatsächlich eine Studie für eine heute verlorene Fassung von Venus und Adonis sein, die zum sogenannten „Farnese-Typus“ gehörte. Forscher haben diese Bezeichnung zwecks Unterscheidung vom „Prado-Typus“ gewählt.

Die Datierung des heute in Madrid befindlichen Gemäldes beruft sich auf einen Brief Tizians an Philipp II. vom Sommer 1554, in dem der Künstler dem Monarchen annoncierte, dass er ein „Gemälde von Venus und Adonis“ schicken würde, das als Pendant zur berühmten Danae, die sich heute ebenfalls im Prado befindet, im Ankleidezimmer untergebracht werden sollte. Ein paar Monate später wurde das Gemälde anlässlich der Hochzeit von Philipp und Mary Tudor nach London geschickt; in den folgenden Jahren folgten vier weitere Gemälde mit mythologischen Themen, die zusammen Tizians sogenannte Serie der „Poesie“ bilden (Werke, die sich heute auf amerikanische und europäische Museen verteilen und die kürzlich anlässlich der Ausstellung Titian: Love, Desire, Death, welche 2020 in der National Gallery in London zu sehen war, zusammengeführt wurden).

Der Erfolg von Philipps Venus und Adonis war enorm und unmittelbar und verhalf Tizian endgültig zu internationalem Ruhm. Bereits 1555 erhob der venezianische Gelehrte Lodovico Dolce ein Loblied auf das Werk und pries die allegorische Subtilität und starke erotische Aufladung des Bildes der nackten Venus in Rückenansicht – ein Aspekt, der sicherlich zur Beliebtheit des Motivs unter Sammlern beitrug (L. Dolce, Lettere di diversi eccellentissimi huomini, raccolte da diversi libri, Venedig 1555, S. 530–534; die Beschreibung des Gemäldes findet sich in einem Brief Dolces an Kardinal Alessandro Contarini).

Die Fassungen der National Gallery und der Dulwich Picture Gallery in London, des J. Paul Getty Museum in Malibu und der Galleria Nazionale d’Arte Antica in Rom sowie einige Gemälde in privaten Sammlungen beruhen vermutlich auf der Madrider Version von Venus und Adonis oder einem verwandten verlorenen Prototyp. Die hier vorgestellte Leinwand entspricht der Typologie des Prado-Bildes bis auf einige Abweichungen in der Darstellung von Himmel und Landschaft ebenfalls ziemlich genau, und auch die Abmessungen sind vergleichbar (die Madrider Leinwand misst 186 x 207 cm); das Trompe-l’oeil-Etikett auf dem Boden im Vordergrund weist Tizian als Schöpfer der Komposition aus.

Das Bild von Venus und Adonis für Kardinal Alessandro Farnese wurde auf einem Kupferstich aus dem frühen 17. Jahrhundert reproduziert, und mehrere auf Leinwand gemalte Repliken wurden später von Tizians Werkstatt ausgeführt, darunter die Gemälde im Metropolitan Museum in New York und in der National Gallery of Art in Washington. Im Vergleich zum „Prado-Typus“ weisen diese Kompositionen eine stärkere Nahsicht mit einer weniger weiten Landschaft sowie nur zwei anstatt drei Hunde und eine anderen Position Amors auf, der wie bereits erwähnt mit dem Knaben mit einem Vogel in London verwandt ist.

In den Inventarverzeichnissen zahlreicher bedeutender Sammlungen scheinen Gemälde mit der Darstellung von Venus und Adonis auf, die Tizian oder seinen Mitarbeitern zugeschrieben werden: Zu den bekanntesten zählen jene von Kaiser Rudolf II. in Prag, der Familie Contarini in Venedig, des Herzogs von Orléans in Paris, der Königin Christina von Schweden im Palazzo Riario in Rom und des Prinzen Eugen von Savoyen in Wien. Bislang konnte nur ein Teil dieser Gemälde identifiziert werden. Das Auftauchen einer neuen Fassung ist somit ein wichtiger Beitrag zu Überlegungen, die sich zum Schicksal von Tizians Werk und zur Verbreitung seiner Bildvorlagen innerhalb seines Umfeldes anstellen lassen.

Ein technisches Gutachten zu diesem Gemälde ist auf Anfrage erhältlich (bitte wenden Sie sich an die Abteilung Alter Meister).

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com

25.10.2023 - 18:00

Erzielter Preis: **
EUR 390.000,-
Schätzwert:
EUR 300.000,- bis EUR 400.000,-

Umkreis oder Werkstatt des Tiziano Vecellio, gen. Tizian


(Pieve di Cadore 1485–1576 Venedig)
Venus und Adonis,
bezeichnet rechts unten: TICIANUS / F,
Öl auf Leinwand, 172,5 x 207,5 cm, gerahmt

Provenienz:
Adelsbesitz, bis 1982;
aus diesem erworben durch den Großvater des jetzigen Besitzers

Bei Venus und Adonis handelt es sich um eine der berühmtesten Kompositionen Tizians, die vom Meister und seinen Gehilfen immer wieder repliziert wurde. Die Hauptinspirationsquelle des Künstlers waren Ovids Metamorphosen (Buch X, 532–539 und 705–709), wo sich die Göttin der Schönheit in den hübschen Adonis verliebt, der ein leidenschaftlicher Jäger war. Trotz Warnungen der Venus wurde der junge Mann bei einem Jagdausflug von einem wilden Eber getötet. Die verzweifelte Göttin griff daraufhin zur Metamorphose, um das Andenken an ihren Geliebten zu bewahren, und verwandelte ihn in eine schöne, duftende Anemone.

Tizian wählte die Darstellung des Augenblicks, in dem Adonis zu seiner letzten Jagd aufbricht, bewaffnet mit Speer und Jagdhorn, eine Hundemeute an der Leine führend. Es ist Morgengrauen, Apollos Wagen ist im Osten zwischen den Wolken zu sehen, während Amor noch unter einem Baum schläft. Venus versucht – vergeblich – ihren jungen Geliebten in einer verzweifelten Umarmung festzuhalten, um ihn am Fortgehen zu hindern – ein Detail, das in den literarischen Quellen fehlt und vermutlich auf eine Erfindung Tizians zurückgeht.

Unter den zahlreichen bekannten Versionen finden sich mehrere Varianten, die sich im Ausmaß an Eigenhändigkeit, der Größe der Leinwand, der Anzahl der dargestellten Hunde, der Weite der Landschaft und dem Vorhandensein bzw. Fehlen mehrere kleinerer Details mehr oder weniger nahestehen. Es wird allgemein angenommen, dass die älteste Fassung der Gruppe die Version des Prado aus der Zeit um 1554 ist. Es ist jedoch möglich, dass der Künstler das Thema bereits Jahrzehnte früher konzipiert hatte: Der Knabe mit einem Vogel in der National Gallery in London, der stilistisch dem Meister oder seinem Umkreis zuzuschreiben ist und in die 1520er-Jahre datiert werden kann, könnte tatsächlich eine Studie für eine heute verlorene Fassung von Venus und Adonis sein, die zum sogenannten „Farnese-Typus“ gehörte. Forscher haben diese Bezeichnung zwecks Unterscheidung vom „Prado-Typus“ gewählt.

Die Datierung des heute in Madrid befindlichen Gemäldes beruft sich auf einen Brief Tizians an Philipp II. vom Sommer 1554, in dem der Künstler dem Monarchen annoncierte, dass er ein „Gemälde von Venus und Adonis“ schicken würde, das als Pendant zur berühmten Danae, die sich heute ebenfalls im Prado befindet, im Ankleidezimmer untergebracht werden sollte. Ein paar Monate später wurde das Gemälde anlässlich der Hochzeit von Philipp und Mary Tudor nach London geschickt; in den folgenden Jahren folgten vier weitere Gemälde mit mythologischen Themen, die zusammen Tizians sogenannte Serie der „Poesie“ bilden (Werke, die sich heute auf amerikanische und europäische Museen verteilen und die kürzlich anlässlich der Ausstellung Titian: Love, Desire, Death, welche 2020 in der National Gallery in London zu sehen war, zusammengeführt wurden).

Der Erfolg von Philipps Venus und Adonis war enorm und unmittelbar und verhalf Tizian endgültig zu internationalem Ruhm. Bereits 1555 erhob der venezianische Gelehrte Lodovico Dolce ein Loblied auf das Werk und pries die allegorische Subtilität und starke erotische Aufladung des Bildes der nackten Venus in Rückenansicht – ein Aspekt, der sicherlich zur Beliebtheit des Motivs unter Sammlern beitrug (L. Dolce, Lettere di diversi eccellentissimi huomini, raccolte da diversi libri, Venedig 1555, S. 530–534; die Beschreibung des Gemäldes findet sich in einem Brief Dolces an Kardinal Alessandro Contarini).

Die Fassungen der National Gallery und der Dulwich Picture Gallery in London, des J. Paul Getty Museum in Malibu und der Galleria Nazionale d’Arte Antica in Rom sowie einige Gemälde in privaten Sammlungen beruhen vermutlich auf der Madrider Version von Venus und Adonis oder einem verwandten verlorenen Prototyp. Die hier vorgestellte Leinwand entspricht der Typologie des Prado-Bildes bis auf einige Abweichungen in der Darstellung von Himmel und Landschaft ebenfalls ziemlich genau, und auch die Abmessungen sind vergleichbar (die Madrider Leinwand misst 186 x 207 cm); das Trompe-l’oeil-Etikett auf dem Boden im Vordergrund weist Tizian als Schöpfer der Komposition aus.

Das Bild von Venus und Adonis für Kardinal Alessandro Farnese wurde auf einem Kupferstich aus dem frühen 17. Jahrhundert reproduziert, und mehrere auf Leinwand gemalte Repliken wurden später von Tizians Werkstatt ausgeführt, darunter die Gemälde im Metropolitan Museum in New York und in der National Gallery of Art in Washington. Im Vergleich zum „Prado-Typus“ weisen diese Kompositionen eine stärkere Nahsicht mit einer weniger weiten Landschaft sowie nur zwei anstatt drei Hunde und eine anderen Position Amors auf, der wie bereits erwähnt mit dem Knaben mit einem Vogel in London verwandt ist.

In den Inventarverzeichnissen zahlreicher bedeutender Sammlungen scheinen Gemälde mit der Darstellung von Venus und Adonis auf, die Tizian oder seinen Mitarbeitern zugeschrieben werden: Zu den bekanntesten zählen jene von Kaiser Rudolf II. in Prag, der Familie Contarini in Venedig, des Herzogs von Orléans in Paris, der Königin Christina von Schweden im Palazzo Riario in Rom und des Prinzen Eugen von Savoyen in Wien. Bislang konnte nur ein Teil dieser Gemälde identifiziert werden. Das Auftauchen einer neuen Fassung ist somit ein wichtiger Beitrag zu Überlegungen, die sich zum Schicksal von Tizians Werk und zur Verbreitung seiner Bildvorlagen innerhalb seines Umfeldes anstellen lassen.

Ein technisches Gutachten zu diesem Gemälde ist auf Anfrage erhältlich (bitte wenden Sie sich an die Abteilung Alter Meister).

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
old.masters@dorotheum.at

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Auktion: Alte Meister
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 25.10.2023 - 18:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 14.10. - 25.10.2023


** Kaufpreis inkl. Käufergebühr und Mehrwertsteuer

Es können keine Kaufaufträge über Internet mehr abgegeben werden. Die Auktion befindet sich in Vorbereitung bzw. wurde bereits durchgeführt.