Lot Nr. 58


Werkstatt des Anthonis van Dyck


(Antwerpen 1599–1641 London)
Madonna mit Kind und heiliger Barbara,
Öl auf Leinwand, 128 x 92 cm, gerahmt

Provenienz:
Adelsbesitz, Sevilla, 1960;
dort erworben durch den Vater des jetzigen Besitzers

Ausgestellt:
Sevilla, Museum of Fine Arts, Pintores granadinos del siglo XVII. Actos conmemorativos del tricentenario de Bartolomé E. Murillo, März–April 1982, Kat.-Nr. 19 (als Alonso Cano)

Literatur:
E. Pareja López, Pintores granadinos del siglo XVII. Actos conmemorativos del tricentenario de Bartolomé E. Murillo, Ausstellungskatalog, Sevilla 1982, S. 52 f., mit Abb. (als Alonso Cano)

Wir danken Gloria Martínez Leiva für ihre Hilfe bei der Katalogisierung dieses Lots. Ihr schriftliches Gutachten auf Spanisch liegt dem Werk in Kopie bei.

Das hier angebotene Werk zeigt die sitzend dargestellte Jungfrau Maria mit dem Kind auf dem Schoß, davor kniet in demütiger Haltung die heilige Barbara. Bekleidet mit einem weißen Gewand und einem blauen Mantel mit braunem Schleier, hebt sich die Jungfrau Maria deutlich von der dunklen Wolkenlandschaft ab. Die Gottesmutter wird nach der Geburt Christi üblicherweise in Rot dargestellt, doch dies würde sie hier nicht ausreichend von der heiligen Barbara unterscheiden, die häufig ebenfalls in dieser Farbe abgebildet ist. Auf der rechten Seite der Komposition, hinter der Heiligen, ist ein Turm zu erkennen, der ein Gegengewicht zu den Figuren im Vordergrund bildet und vor allem die Heilige identifiziert. Als Tochter eines Statthalters des antiken Heliopolis in Phönizien (im heutigen Libanon) wurde Barbara in einen Turm gesperrt, um eine unpassende Heirat zu verhindern. Während ihrer Gefangenschaft konvertierte sie zum Christentum und ließ im Turm ein drittes Fenster als Symbol für die Heilige Dreifaltigkeit anbringen. Nachdem sie sich geweigert hatte, den von ihrem Vater vorgeschlagenen Kandidaten zu heiraten, weil sie sich für Christus als Gemahl entschieden hatte, ließ der Statthalter sie in Huldigung der heidnischen Götter brutal töten. Auf diesem Gemälde verweisen ihr reiches Gewand und ihr Mantel sowie die Perlen auf den hohen gesellschaftlichen Rang der Heiligen. Ihre rechte Hand legt sie elegant an die Brust, als Zeichen des Respekts und der Demut; ihre Linke hält einen Palmzweig umfasst, der auf ihr Martyrium hinweist.

Das vorliegende Gemälde gehört zu jenen Kompositionen, die van Dyck während seiner zweiten Antwerpener Periode (um 1627–1632/34) schuf, in der seine Jahre in Italien (1621–1627) widerhallen. Ein schönes Beispiel für sein Schaffen aus dieser Zeit, in dem die Inspiration durch Tizian und Guido Reni deutlich zum Ausdruck kommt, ist die Muttergottes mit Kind, angebetet von reuigen Sündern, die sich im Musée du Louvre in Paris befindet (Inv.-Nr. 1230). In dem Pariser Gemälde sind die sitzende Jungfrau und das Kind mit einer knienden Figur zu ihrer Linken mit den Protagonisten des vorliegenden Werks vergleichbar, ebenso wie der dunkle Hintergrund auf der linken Seite des Pariser Gemäldes, der den Künstler des vorliegenden Werks inspiriert haben muss.

Van Dycks Mystische Vermählung der heiligen Rosalia diente möglicherweise als direkte Anregung für das vorliegende Gemälde (Kunsthistorisches Museum, Wien, Inv.-Nr. 482). Van Dyck erhielt den Auftrag zu diesem Altarbild von der Jesuitenbruderschaft „der bejahrten Junggesellen“ (Sodaliteit der bejaerde Jongmans), als er 1628 Mitglied wurde. Das Wiener Gemälde spielt seinerseits auf Tizians Madonna des Hauses Pesaro in der Basilika Santa Maria Gloriosa dei Frari in Venedig an, ist allerdings seitenverkehrt wiedergegeben. Es bleibt ungewiss, wie van Dyck das Wiener Werk konzipiert hat, da es keine Aufzeichnungen über den Aufenthalt des Künstlers in Venedig gibt und auch keine Zeichnungen van Dycks nach Tizians Kompositionen bekannt sind. Einen Stich als Vorlage heranzuziehen war zwar gängige Praxis, doch sind keine Druckgrafiken nach Tizians Werk bekannt, die zu van Dycks Zeit Verbreitung gefunden hätten.

Bei der Darstellung der Jungfrau Maria des hier angebotenen Gemäldes scheint es, dass Elemente aus dem Wiener Werk übernommen wurden. Insbesondere die Gesichtszüge der Heiligen Jungfrau, die Neigung ihres Hauptes und der Faltenwurf des Schleiers sind nahezu identisch mit dem Werk im Kunsthistorischen Museum. Dies gilt auch für Gesicht und Kopfhaltung der heiligen Barbara im Vergleich zur heiligen Rosalia. Die Umrisse der Gesichter der Figuren sind stark konturiert, sodass die Vermutung naheliegt, dass der Künstler des vorliegenden Werks eine Kopiertechnik verwendet haben könnte.

Wie auch unter Lot 99 zitiert, stellt Horst Vey in seiner Diskussion über die religiösen Werke der zweiten Antwerpener Periode van Dycks fest: „Es scheint eher die Ausnahme als die Regel gewesen zu sein, dass eine Komposition die Werkstatt verließ, noch bevor eine Wiederholung angefertigt worden war“ (siehe H. Vey in: S. J. Barnes, N. De Poorter, O. Millar & H. Vey, Van Dyck. A Complete Catalogue of the Paintings, New Haven/London 2004, S. 240). Berücksichtigt man diesen Hinweis und die aus dem Wiener Werk exakt übernommenen Bildelemente, ist es naheliegend, dass das vorliegende Werk nach 1629 in van Dycks Werkstatt entstand.

Experte: Damian Brenninkmeyer Damian Brenninkmeyer
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com

24.04.2024 - 18:00

Schätzwert:
EUR 30.000,- bis EUR 50.000,-

Werkstatt des Anthonis van Dyck


(Antwerpen 1599–1641 London)
Madonna mit Kind und heiliger Barbara,
Öl auf Leinwand, 128 x 92 cm, gerahmt

Provenienz:
Adelsbesitz, Sevilla, 1960;
dort erworben durch den Vater des jetzigen Besitzers

Ausgestellt:
Sevilla, Museum of Fine Arts, Pintores granadinos del siglo XVII. Actos conmemorativos del tricentenario de Bartolomé E. Murillo, März–April 1982, Kat.-Nr. 19 (als Alonso Cano)

Literatur:
E. Pareja López, Pintores granadinos del siglo XVII. Actos conmemorativos del tricentenario de Bartolomé E. Murillo, Ausstellungskatalog, Sevilla 1982, S. 52 f., mit Abb. (als Alonso Cano)

Wir danken Gloria Martínez Leiva für ihre Hilfe bei der Katalogisierung dieses Lots. Ihr schriftliches Gutachten auf Spanisch liegt dem Werk in Kopie bei.

Das hier angebotene Werk zeigt die sitzend dargestellte Jungfrau Maria mit dem Kind auf dem Schoß, davor kniet in demütiger Haltung die heilige Barbara. Bekleidet mit einem weißen Gewand und einem blauen Mantel mit braunem Schleier, hebt sich die Jungfrau Maria deutlich von der dunklen Wolkenlandschaft ab. Die Gottesmutter wird nach der Geburt Christi üblicherweise in Rot dargestellt, doch dies würde sie hier nicht ausreichend von der heiligen Barbara unterscheiden, die häufig ebenfalls in dieser Farbe abgebildet ist. Auf der rechten Seite der Komposition, hinter der Heiligen, ist ein Turm zu erkennen, der ein Gegengewicht zu den Figuren im Vordergrund bildet und vor allem die Heilige identifiziert. Als Tochter eines Statthalters des antiken Heliopolis in Phönizien (im heutigen Libanon) wurde Barbara in einen Turm gesperrt, um eine unpassende Heirat zu verhindern. Während ihrer Gefangenschaft konvertierte sie zum Christentum und ließ im Turm ein drittes Fenster als Symbol für die Heilige Dreifaltigkeit anbringen. Nachdem sie sich geweigert hatte, den von ihrem Vater vorgeschlagenen Kandidaten zu heiraten, weil sie sich für Christus als Gemahl entschieden hatte, ließ der Statthalter sie in Huldigung der heidnischen Götter brutal töten. Auf diesem Gemälde verweisen ihr reiches Gewand und ihr Mantel sowie die Perlen auf den hohen gesellschaftlichen Rang der Heiligen. Ihre rechte Hand legt sie elegant an die Brust, als Zeichen des Respekts und der Demut; ihre Linke hält einen Palmzweig umfasst, der auf ihr Martyrium hinweist.

Das vorliegende Gemälde gehört zu jenen Kompositionen, die van Dyck während seiner zweiten Antwerpener Periode (um 1627–1632/34) schuf, in der seine Jahre in Italien (1621–1627) widerhallen. Ein schönes Beispiel für sein Schaffen aus dieser Zeit, in dem die Inspiration durch Tizian und Guido Reni deutlich zum Ausdruck kommt, ist die Muttergottes mit Kind, angebetet von reuigen Sündern, die sich im Musée du Louvre in Paris befindet (Inv.-Nr. 1230). In dem Pariser Gemälde sind die sitzende Jungfrau und das Kind mit einer knienden Figur zu ihrer Linken mit den Protagonisten des vorliegenden Werks vergleichbar, ebenso wie der dunkle Hintergrund auf der linken Seite des Pariser Gemäldes, der den Künstler des vorliegenden Werks inspiriert haben muss.

Van Dycks Mystische Vermählung der heiligen Rosalia diente möglicherweise als direkte Anregung für das vorliegende Gemälde (Kunsthistorisches Museum, Wien, Inv.-Nr. 482). Van Dyck erhielt den Auftrag zu diesem Altarbild von der Jesuitenbruderschaft „der bejahrten Junggesellen“ (Sodaliteit der bejaerde Jongmans), als er 1628 Mitglied wurde. Das Wiener Gemälde spielt seinerseits auf Tizians Madonna des Hauses Pesaro in der Basilika Santa Maria Gloriosa dei Frari in Venedig an, ist allerdings seitenverkehrt wiedergegeben. Es bleibt ungewiss, wie van Dyck das Wiener Werk konzipiert hat, da es keine Aufzeichnungen über den Aufenthalt des Künstlers in Venedig gibt und auch keine Zeichnungen van Dycks nach Tizians Kompositionen bekannt sind. Einen Stich als Vorlage heranzuziehen war zwar gängige Praxis, doch sind keine Druckgrafiken nach Tizians Werk bekannt, die zu van Dycks Zeit Verbreitung gefunden hätten.

Bei der Darstellung der Jungfrau Maria des hier angebotenen Gemäldes scheint es, dass Elemente aus dem Wiener Werk übernommen wurden. Insbesondere die Gesichtszüge der Heiligen Jungfrau, die Neigung ihres Hauptes und der Faltenwurf des Schleiers sind nahezu identisch mit dem Werk im Kunsthistorischen Museum. Dies gilt auch für Gesicht und Kopfhaltung der heiligen Barbara im Vergleich zur heiligen Rosalia. Die Umrisse der Gesichter der Figuren sind stark konturiert, sodass die Vermutung naheliegt, dass der Künstler des vorliegenden Werks eine Kopiertechnik verwendet haben könnte.

Wie auch unter Lot 99 zitiert, stellt Horst Vey in seiner Diskussion über die religiösen Werke der zweiten Antwerpener Periode van Dycks fest: „Es scheint eher die Ausnahme als die Regel gewesen zu sein, dass eine Komposition die Werkstatt verließ, noch bevor eine Wiederholung angefertigt worden war“ (siehe H. Vey in: S. J. Barnes, N. De Poorter, O. Millar & H. Vey, Van Dyck. A Complete Catalogue of the Paintings, New Haven/London 2004, S. 240). Berücksichtigt man diesen Hinweis und die aus dem Wiener Werk exakt übernommenen Bildelemente, ist es naheliegend, dass das vorliegende Werk nach 1629 in van Dycks Werkstatt entstand.

Experte: Damian Brenninkmeyer Damian Brenninkmeyer
+43 1 515 60 403

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Auktion: Alte Meister
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 24.04.2024 - 18:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 13.04. - 24.04.2024