Lot Nr. 99


Werkstatt des Anthonis van Dyck


(Antwerpen 1599–1641 London)
Die Jungfrau Maria als Fürsprecherin,
Öl auf Leinwand, 166 x 113 cm, gerahmt

Provenienz:
Privatsammlung, Niederlande, seit 1975

Literatur:
S. J. Barnes, N. De Poorter, O. Millar, H. Vey, Van Dyck. A Complete Catalogue of the Paintings, New Haven/London, 2004, S. 275 (als Kopie);
E. Larsen, The Paintings of Anthony van Dyck, Freren, 1988, S. 278 f., Nr. 691, Abb. S. 279 und S. 48 f., Nr. 13 (als Anthonis van Dyck)

Wir danken Katlijne van der Stighelen, die die Zuschreibung nach Untersuchung des vorliegenden Gemäldes im Original vorgeschlagen hat (schriftliche Mitteilung in Kopie). Wir bedanken uns für ihre Unterstützung bei der Katalogisierung dieses Lots.

Bei dem hier angebotenen Gemälde handelt es sich um eine größere Werkstattversion eines Bildes, das als van Dycks Urfassung gilt und in der National Gallery of Art in Washington, D.C., aufbewahrt wird (Inv.-Nr. 1942.9.88). Der himmelwärts gerichtete Blick der Gottesmutter in beiden Kompositionen ist vergleichbar mit Werken des Künstlers aus dieser Zeit, zum Beispiel der Madonna mit Kind im Fitzwilliam Museum in Cambridge (Inv.-Nr. PD.48-1976). Das vorliegende Werk und das Washingtoner Gemälde stellen die Jungfrau Maria als Fürsprecherin dar, umgeben von Engeln, die die Leidenswerkzeuge, die Arma Christi, tragen. In beiden Werken präsentieren die Engel das Heilige Kreuz und das Tuch der heiligen Veronika. Ein größerer Schleier, möglicherweise jener der Muttergottes, ist um Kopf und Schultern des Engels auf der rechten Seite drapiert, der den Betrachter anblickt. Auf beiden Gemälden wird Maria mit einem Kranz aus Rosen gekrönt, der ihre Rolle als Fürsprecherin für die Erlösung des Menschen symbolisiert.

Ein genauer Vergleich zwischen den beiden Werken zeigt subtile Veränderungen in der Ikonografie. Auf dem Washingtoner Gemälde trägt der Engel in der linken oberen Ecke eine Dornenkrone über dem Kopf, die auf dem vorliegenden Werk durch einen Blumenkorb ersetzt wird. Außerdem ist der Engel, der links auf Maria weist, auf dem Washingtoner Gemälde mit leeren Händen zu sehen, während er auf dem vorliegenden Werk einen Palmzweig hält. Die Unterschiede zwischen den beiden Werken wurden möglicherweise durch die Vorlieben eines bestimmten Auftraggebers oder den intendierten Standort des vorliegenden Werks beeinflusst.

Das hier angebotene Gemälde ist deutlich höher als das Werk in Washington, aber nur zehn Zentimeter breiter (164,5 x 112,6 cm gegenüber 118,8 x 102,3 cm). Der Unterschied betrifft vor allem den Himmel am oberen Bildrand sowie den unteren Teil des Gemäldes. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass das Washingtoner Werk ursprünglich die gleiche Größe aufwies.

Das Washingtoner Gemälde zeichnet sich durch die für van Dycks zweite Antwerpener Periode (um 1627–1632/34) charakteristische suggestive und flüssige Pinselführung aus. Im jüngsten Werkverzeichnis zum Schaffen van Dycks datiert Horst Vey das Werk in Washington um 1630/32 (H. Vey, in: S. J. Barnes, N. De Poorter, O. Millar, H. Vey 2004, S. 274 f.). In der Diskussion zu den religiösen Werken aus van Dycks zweiter Antwerpener Periode hält Vey fest: „Es scheint eher die Ausnahme als die Regel gewesen zu sein, dass eine Komposition die Werkstatt verließ, noch bevor eine Wiederholung angefertigt worden war“ (H. Vey, in: S. J. Barnes, N. De Poorter, O. Millar, H. Vey 2004, S. 240). Ausgehend von dieser Sichtweise wäre es naheliegend, dass nach dem Washingtoner Werk ausgeführte Fassungen in van Dycks Werkstatt entstanden sind.

Eine solche Werkstattversion von kleinerem Format wurde kürzlich als „Umkreis van Dycks“ in diesen Räumen versteigert (siehe Auktion, Dorotheum, Wien, 15. Dezember 2023, Los 140). Dort ist der Engel, der auf die Jungfrau Maria auf der Höhe ihrer rechten Hand zufliegt, mit den linken Arm nach unten gestreckt dargestellt, während derselbe Engel auf dem Washingtoner Gemälde den linken Arm nach oben streckt und auf die Heilige Jungfrau als Fürsprecherin hinweist. Eine technische Untersuchung der Leinwand in Washington hat ergeben, dass der betreffende Engel ursprünglich mit einem nach unten ausgestreckten linken Arm dargestellt war, der später angepasst wurde. Auf dem vorliegenden Gemälde ist der linke Arm des Engels genau wie auf dem Washingtoner Werk positioniert, wobei er hier den Palmzweig hält. Daraus ist zu schließen, dass das hier angebotene Werk auf der Endphase des Washingtoner Gemäldes beruht.

Die Komposition van Dycks wurde durch einen seitenverkehrten Stichs von Lucas Vorsterman dem Jüngeren verbreitet, der nach dem frühen Stadium des Washingtoner Gemäldes angefertigt wurde und in dem der Engel ebenfalls mit der ursprünglichen linken Armhaltung dargestellt ist (siehe S. Turner, C. Depauw, The New Hollstein Dutch and Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts, 1450–1700: Anthony van Dyck, 8 Bde., Rotterdam 2002, VII, Nr. 562. S. 273 f.). Ein Abzug dieser Druckgrafik befindet sich im Rijksmuseum in Amsterdam. Da weder der Druck noch das Werk in der Dorotheum-Auktion vom 15. Dezember 2023 datiert sind, bleibt ungewiss, wie viel Zeit zwischen dem ersten Ausführungsstadium und der späteren Anpassung des Gemäldes in Washington verstrichen ist. Bei der Restaurierung des letzteren wurde festgestellt, dass die Übermalung des Arms von van Dyck selbst vorgenommen wurde. Da der Künstler erst ganz kurz nach 1634 in Antwerpen eintraf, muss van Dyck das Werk vor diesem Datum verändert haben. Aus diesem Grund kommt Katlijne van der Stighelen zu dem Schluss, dass das vorliegende Gemälde mit Sicherheit nach 1634 datiert werden kann.

Experte: Damian Brenninkmeyer Damian Brenninkmeyer
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com

24.04.2024 - 18:00

Schätzwert:
EUR 40.000,- bis EUR 60.000,-

Werkstatt des Anthonis van Dyck


(Antwerpen 1599–1641 London)
Die Jungfrau Maria als Fürsprecherin,
Öl auf Leinwand, 166 x 113 cm, gerahmt

Provenienz:
Privatsammlung, Niederlande, seit 1975

Literatur:
S. J. Barnes, N. De Poorter, O. Millar, H. Vey, Van Dyck. A Complete Catalogue of the Paintings, New Haven/London, 2004, S. 275 (als Kopie);
E. Larsen, The Paintings of Anthony van Dyck, Freren, 1988, S. 278 f., Nr. 691, Abb. S. 279 und S. 48 f., Nr. 13 (als Anthonis van Dyck)

Wir danken Katlijne van der Stighelen, die die Zuschreibung nach Untersuchung des vorliegenden Gemäldes im Original vorgeschlagen hat (schriftliche Mitteilung in Kopie). Wir bedanken uns für ihre Unterstützung bei der Katalogisierung dieses Lots.

Bei dem hier angebotenen Gemälde handelt es sich um eine größere Werkstattversion eines Bildes, das als van Dycks Urfassung gilt und in der National Gallery of Art in Washington, D.C., aufbewahrt wird (Inv.-Nr. 1942.9.88). Der himmelwärts gerichtete Blick der Gottesmutter in beiden Kompositionen ist vergleichbar mit Werken des Künstlers aus dieser Zeit, zum Beispiel der Madonna mit Kind im Fitzwilliam Museum in Cambridge (Inv.-Nr. PD.48-1976). Das vorliegende Werk und das Washingtoner Gemälde stellen die Jungfrau Maria als Fürsprecherin dar, umgeben von Engeln, die die Leidenswerkzeuge, die Arma Christi, tragen. In beiden Werken präsentieren die Engel das Heilige Kreuz und das Tuch der heiligen Veronika. Ein größerer Schleier, möglicherweise jener der Muttergottes, ist um Kopf und Schultern des Engels auf der rechten Seite drapiert, der den Betrachter anblickt. Auf beiden Gemälden wird Maria mit einem Kranz aus Rosen gekrönt, der ihre Rolle als Fürsprecherin für die Erlösung des Menschen symbolisiert.

Ein genauer Vergleich zwischen den beiden Werken zeigt subtile Veränderungen in der Ikonografie. Auf dem Washingtoner Gemälde trägt der Engel in der linken oberen Ecke eine Dornenkrone über dem Kopf, die auf dem vorliegenden Werk durch einen Blumenkorb ersetzt wird. Außerdem ist der Engel, der links auf Maria weist, auf dem Washingtoner Gemälde mit leeren Händen zu sehen, während er auf dem vorliegenden Werk einen Palmzweig hält. Die Unterschiede zwischen den beiden Werken wurden möglicherweise durch die Vorlieben eines bestimmten Auftraggebers oder den intendierten Standort des vorliegenden Werks beeinflusst.

Das hier angebotene Gemälde ist deutlich höher als das Werk in Washington, aber nur zehn Zentimeter breiter (164,5 x 112,6 cm gegenüber 118,8 x 102,3 cm). Der Unterschied betrifft vor allem den Himmel am oberen Bildrand sowie den unteren Teil des Gemäldes. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass das Washingtoner Werk ursprünglich die gleiche Größe aufwies.

Das Washingtoner Gemälde zeichnet sich durch die für van Dycks zweite Antwerpener Periode (um 1627–1632/34) charakteristische suggestive und flüssige Pinselführung aus. Im jüngsten Werkverzeichnis zum Schaffen van Dycks datiert Horst Vey das Werk in Washington um 1630/32 (H. Vey, in: S. J. Barnes, N. De Poorter, O. Millar, H. Vey 2004, S. 274 f.). In der Diskussion zu den religiösen Werken aus van Dycks zweiter Antwerpener Periode hält Vey fest: „Es scheint eher die Ausnahme als die Regel gewesen zu sein, dass eine Komposition die Werkstatt verließ, noch bevor eine Wiederholung angefertigt worden war“ (H. Vey, in: S. J. Barnes, N. De Poorter, O. Millar, H. Vey 2004, S. 240). Ausgehend von dieser Sichtweise wäre es naheliegend, dass nach dem Washingtoner Werk ausgeführte Fassungen in van Dycks Werkstatt entstanden sind.

Eine solche Werkstattversion von kleinerem Format wurde kürzlich als „Umkreis van Dycks“ in diesen Räumen versteigert (siehe Auktion, Dorotheum, Wien, 15. Dezember 2023, Los 140). Dort ist der Engel, der auf die Jungfrau Maria auf der Höhe ihrer rechten Hand zufliegt, mit den linken Arm nach unten gestreckt dargestellt, während derselbe Engel auf dem Washingtoner Gemälde den linken Arm nach oben streckt und auf die Heilige Jungfrau als Fürsprecherin hinweist. Eine technische Untersuchung der Leinwand in Washington hat ergeben, dass der betreffende Engel ursprünglich mit einem nach unten ausgestreckten linken Arm dargestellt war, der später angepasst wurde. Auf dem vorliegenden Gemälde ist der linke Arm des Engels genau wie auf dem Washingtoner Werk positioniert, wobei er hier den Palmzweig hält. Daraus ist zu schließen, dass das hier angebotene Werk auf der Endphase des Washingtoner Gemäldes beruht.

Die Komposition van Dycks wurde durch einen seitenverkehrten Stichs von Lucas Vorsterman dem Jüngeren verbreitet, der nach dem frühen Stadium des Washingtoner Gemäldes angefertigt wurde und in dem der Engel ebenfalls mit der ursprünglichen linken Armhaltung dargestellt ist (siehe S. Turner, C. Depauw, The New Hollstein Dutch and Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts, 1450–1700: Anthony van Dyck, 8 Bde., Rotterdam 2002, VII, Nr. 562. S. 273 f.). Ein Abzug dieser Druckgrafik befindet sich im Rijksmuseum in Amsterdam. Da weder der Druck noch das Werk in der Dorotheum-Auktion vom 15. Dezember 2023 datiert sind, bleibt ungewiss, wie viel Zeit zwischen dem ersten Ausführungsstadium und der späteren Anpassung des Gemäldes in Washington verstrichen ist. Bei der Restaurierung des letzteren wurde festgestellt, dass die Übermalung des Arms von van Dyck selbst vorgenommen wurde. Da der Künstler erst ganz kurz nach 1634 in Antwerpen eintraf, muss van Dyck das Werk vor diesem Datum verändert haben. Aus diesem Grund kommt Katlijne van der Stighelen zu dem Schluss, dass das vorliegende Gemälde mit Sicherheit nach 1634 datiert werden kann.

Experte: Damian Brenninkmeyer Damian Brenninkmeyer
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
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Auktion: Alte Meister
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 24.04.2024 - 18:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 13.04. - 24.04.2024