Lot Nr. 120


Francesco Guardi


Francesco Guardi - Alte Meister

(Venedig 1712–1793)
Der Bucintoro bei San Nicolò al Lido in Venedig am Tag des Himmelfahrtsfests,
Öl auf Leinwand, 19 x 29,5 cm, gerahmt

Provenienz:
europäische Privatsammlung

Wir danken Bożena Anna Kowalczyk, die die Zuschreibung bestätigt hat, für ihre Hilfe bei der Katalogisierung des Lots.

Das vorliegende Gemälde stellt einen Neuzugang zum Œuvre Francesco Guardis dar. Mit dieser Komposition griff der Künstler das Thema des Christi-Himmelfahrt-Festes auf. Es war das spektakulärste der traditionellen Feste der Republik, mit dem man der Eroberung Dalmatiens durch den Dogen Pietro II. Orseolo (961‒1009) gedachte. Der regierende Doge begab sich in Begleitung des Senats auf dem Staatsschiff, dem Bucintoro, vom Molo zur Kirche San Nicolò del Lido, um den sposalizio del mare, den Ritus der Vermählung Venedigs mit dem Meer, zu vollziehen. Während der Zeremonie warf er als Symbol für die Herrschaft Venedigs über das Meer, der die Seerepublik ihren Reichtum verdankte, einen goldenen Ring ins Wasser. Diese auch „Festa della Sensa“ genannte Zeremonie war bei die Grand Tour absolvierenden Reisenden besonders beliebt. Es war auch ein äußerst malerisches Ereignis: Das von einer Flotte von Gondeln und anderen Wasserfahrzeugen begleitete prachtvolle Staatsschiff lief nur an diesem einen Tag des Jahres aus dem Arsenale aus.

Luca Carlevarijs (1663‒1730) war der Erste, der dieses Ereignis wählte, um die Pracht Venedigs in Bildern festzuhalten, die sich sicherlich bei ausländischen Besuchern und Sammlern eines beachtlichen Erfolgs erfreuten. Seine Darstellungen der „Festa della Sensa“ stellen jedoch den Bucintoro nach seiner Rückkehr vom Lido oder kurz vor seiner Abfahrt dorthin am Molo liegend dar und zeigen das dahinter von Wasserfahrzeugen durchfurchte schäumende Bacino di San Marco. In den frühen 1730er-Jahren folgte Canaletto dem Beispiel Carlevarijs mit einer Reihe großer Gemälde, die er für ausländische Botschafter in Venedig wie jene Frankreichs und des Heiligen Römischen Reiches und vielleicht auch für König Ludwig XV. sowie für seinen Förderer Joseph Smith schuf. Gegen 1735/36 änderte Canaletto den Blickwinkel und malte das Bacino von Westen her in Richtung Riva degli Schiavoni, wobei er immer mehr Fahrzeuge im Wasser, den Bucintoro aber immer noch am Molo liegend ins Bild setzte. Erst in den Jahren 1763 bis 1766 schuf Canaletto zwei Zeichnungen für die zwölfteilige Serie Feste Dogali [Festlichkeiten des Dogen], in denen der Bucintoro unterwegs auf der Fahrt zum Lido bei San Nicolò dargestellt ist. Diese Zeichnungen wurden von Giambattista Brustolon (1718‒1796) gestochen und von 1775 bis 1778 von Guardi in Gemälde übersetzt (A. Morassi, Guardi: Antonio e Francesco Guardi, Venedig 1973, Bd. I, Kat.-Nr. 247, 248, Bd. II, Abb. 273, 274). Die Vorlagen dienten Guardi als Inspiration für eine umfangreiche Serie gezeichneter und gemalter Darstellungen des Bucintoro im weiten Raum des Beckens von San Marco und der offenen Lagune, die am Horizont die Monumente des Lido oder Venedigs andeuten, während in der Ferne gelegentlich ein Segelboot auftauchen kann. In seinen letzten Lebensjahren gehörte die „Festa della Sensa“ zu Francesco Guardis bevorzugten Themen: Den Bucintoro aus verschiedenen Perspektiven auf dem Weg zum oder vom Lido erfassend, schuf er eine Reihe von Werken, die dank seines wunderbar feinfühligen Strichs die ganze atmosphärische Raffinesse Venedigs im 18. Jahrhundert vermitteln. Von diesen Gemälden sticht das um 1780 entstandene und früher in der Sammlung von Mario Crespi in Mailand aufbewahrte Werkpaar besonders hervor: Der Bucintoro am Lido, Venedig, am Tag des Himmelfahrtsfests und Der Bucintoro bei der Rückkehr vom Lido, Venedig, am Tag des Himmelfahrtsfests (siehe Morassi 1973, Bd. I, Kat.-Nr. 283, 284, Bd. II, Abb. 313, 314). Es sind großartige Werke, die Ansichten von einer hohen, einer Vogelperspektive ähnlichen Position eröffnen, wobei die Weite des Bacino und der Lagune von einer Unzahl von Wasserfahrzeugen durchpflügt wird, die den in der Ferne sichtbaren Bucintoro umgeben, der sich jedoch wie im vorliegenden Gemälde in voller Länge dargestellt findet. Eine Wiedergabe aus geringerer Entfernung wie im gegenwärtigen Fall zeigen Der Bucintoro vor dem Lido, Venedig aus den Jahren 1778‒1780 in der National Gallery of Ireland, Dublin (Morassi 1973, Bd. I, Kat.-Nr. 291, Bd. II, Abb. 323), und ein weiteres Gemälde in einer Privatsammlung namens Der Bucintoro bei San Nicolò al Lido, Venedig (Morassi 1973, Bd. I, Kat.-Nr. 287, Bd. II, Abb. 316). Das letztere Werk erfasst das Staatsschiff ebenso aus einem etwas schrägen Winkel wie eine ziemlich flüchtige Studie im Fogg Art Museum (A. Morassi, Guardi: Tutti i disegni di Antonio, Francesco e Giacomo Guardi, Venedig 1975, Kat.-Nr. 284, Abb. 286).

Eine Zeichnung im Musée des Beaux-Arts in Lille stellt den Bucintoro wie das vorliegende Gemälde auf der Fahrt zum Lido unmittelbar nach der Insel San Giorgio Maggiore das Bacino kreuzend dar (Morassi 1975, Kat.-Nr. 282, Abb. 284). Auf einem weiteren Blatt im Metropolitan Museum of Art in New York ist der Bucintoro der absolute Protagonist. Auf beiden Seiten finden sich Vorzeichnungen für diese Gemälde: auf der Vorderseite für die Fahrt zum Lido und auf der Rückseite für die Rückkehr (siehe Abb. 1); das vor allem fast die gesamte Vorderseite füllende Schiff zeugt von der Faszination, die es auf den Künstler ausübte (Morassi 1975, Kat.-Nr. 291, Abb. 294). Antonio Morassi dachte, dass diese Zeichnung nach der Natur entstanden sei. James Byam Shaw wiederum, der die Skizzen mit einer sorgfältigen Darstellung des Schiffes verglich, die 1772 in Venedig in Form eines Drucks von Teodoro Viero (als „Canaletto del.“; British Museum, London, Inv.-Nr. 1866,1110.1165) erschien, sieht eine Übereinstimmung in Details, obgleich es sich bei der Zeichnung um eine rasche, fast stenografische Skizze handelt (J. Byam Shaw, The Drawings of Francesco Guardi, London 1961, S. 72 f., Kat.-Nr. 52).

Die gleichen Beobachtungen lassen sich auch für das vorliegende Gemälde anstellen, das den Höhepunkt des poetischen Tons des Künstlers widerspiegelt, der hier in einer zusehends umfassender vergeistigten atmosphärischen Behandlung greifbar wird, die mit schnellen und präzisen Strichen erzeugt wird. Das Werk ist in seinen Dimensionen den Zeichnungen ähnlich; es ist auf einer Leinwand aus schwerem Gewebe mit braunem Grund ausgeführt: Unter einem blaugrauen Himmel gleitet das Schiff des Dogen über das grüne Wasser des Bacino, das Rot seiner Ruder, der Seiten und des Bugs sowie die Vergoldung seiner Verzierungen glänzen in voller Pracht. Das Gemälde ist dermaßen emotional aufgeladen, dass es wie ein Miniaturmodell wirkt, das jedes Detail des ursprünglichen Wasserfahrzeugs wiedergibt. Die gewaltige Menge der Gondeln mit ihren winzigen Ruderern, die Guardi mit präzisen Pinseltupfern auf die Leinwand gesetzt hat, liefert einen wunderbaren Beweis für die erstaunliche Virtuosität des Künstlers.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com

10.11.2020 - 16:00

Erzielter Preis: **
EUR 19.350,-
Schätzwert:
EUR 20.000,- bis EUR 30.000,-

Francesco Guardi


(Venedig 1712–1793)
Der Bucintoro bei San Nicolò al Lido in Venedig am Tag des Himmelfahrtsfests,
Öl auf Leinwand, 19 x 29,5 cm, gerahmt

Provenienz:
europäische Privatsammlung

Wir danken Bożena Anna Kowalczyk, die die Zuschreibung bestätigt hat, für ihre Hilfe bei der Katalogisierung des Lots.

Das vorliegende Gemälde stellt einen Neuzugang zum Œuvre Francesco Guardis dar. Mit dieser Komposition griff der Künstler das Thema des Christi-Himmelfahrt-Festes auf. Es war das spektakulärste der traditionellen Feste der Republik, mit dem man der Eroberung Dalmatiens durch den Dogen Pietro II. Orseolo (961‒1009) gedachte. Der regierende Doge begab sich in Begleitung des Senats auf dem Staatsschiff, dem Bucintoro, vom Molo zur Kirche San Nicolò del Lido, um den sposalizio del mare, den Ritus der Vermählung Venedigs mit dem Meer, zu vollziehen. Während der Zeremonie warf er als Symbol für die Herrschaft Venedigs über das Meer, der die Seerepublik ihren Reichtum verdankte, einen goldenen Ring ins Wasser. Diese auch „Festa della Sensa“ genannte Zeremonie war bei die Grand Tour absolvierenden Reisenden besonders beliebt. Es war auch ein äußerst malerisches Ereignis: Das von einer Flotte von Gondeln und anderen Wasserfahrzeugen begleitete prachtvolle Staatsschiff lief nur an diesem einen Tag des Jahres aus dem Arsenale aus.

Luca Carlevarijs (1663‒1730) war der Erste, der dieses Ereignis wählte, um die Pracht Venedigs in Bildern festzuhalten, die sich sicherlich bei ausländischen Besuchern und Sammlern eines beachtlichen Erfolgs erfreuten. Seine Darstellungen der „Festa della Sensa“ stellen jedoch den Bucintoro nach seiner Rückkehr vom Lido oder kurz vor seiner Abfahrt dorthin am Molo liegend dar und zeigen das dahinter von Wasserfahrzeugen durchfurchte schäumende Bacino di San Marco. In den frühen 1730er-Jahren folgte Canaletto dem Beispiel Carlevarijs mit einer Reihe großer Gemälde, die er für ausländische Botschafter in Venedig wie jene Frankreichs und des Heiligen Römischen Reiches und vielleicht auch für König Ludwig XV. sowie für seinen Förderer Joseph Smith schuf. Gegen 1735/36 änderte Canaletto den Blickwinkel und malte das Bacino von Westen her in Richtung Riva degli Schiavoni, wobei er immer mehr Fahrzeuge im Wasser, den Bucintoro aber immer noch am Molo liegend ins Bild setzte. Erst in den Jahren 1763 bis 1766 schuf Canaletto zwei Zeichnungen für die zwölfteilige Serie Feste Dogali [Festlichkeiten des Dogen], in denen der Bucintoro unterwegs auf der Fahrt zum Lido bei San Nicolò dargestellt ist. Diese Zeichnungen wurden von Giambattista Brustolon (1718‒1796) gestochen und von 1775 bis 1778 von Guardi in Gemälde übersetzt (A. Morassi, Guardi: Antonio e Francesco Guardi, Venedig 1973, Bd. I, Kat.-Nr. 247, 248, Bd. II, Abb. 273, 274). Die Vorlagen dienten Guardi als Inspiration für eine umfangreiche Serie gezeichneter und gemalter Darstellungen des Bucintoro im weiten Raum des Beckens von San Marco und der offenen Lagune, die am Horizont die Monumente des Lido oder Venedigs andeuten, während in der Ferne gelegentlich ein Segelboot auftauchen kann. In seinen letzten Lebensjahren gehörte die „Festa della Sensa“ zu Francesco Guardis bevorzugten Themen: Den Bucintoro aus verschiedenen Perspektiven auf dem Weg zum oder vom Lido erfassend, schuf er eine Reihe von Werken, die dank seines wunderbar feinfühligen Strichs die ganze atmosphärische Raffinesse Venedigs im 18. Jahrhundert vermitteln. Von diesen Gemälden sticht das um 1780 entstandene und früher in der Sammlung von Mario Crespi in Mailand aufbewahrte Werkpaar besonders hervor: Der Bucintoro am Lido, Venedig, am Tag des Himmelfahrtsfests und Der Bucintoro bei der Rückkehr vom Lido, Venedig, am Tag des Himmelfahrtsfests (siehe Morassi 1973, Bd. I, Kat.-Nr. 283, 284, Bd. II, Abb. 313, 314). Es sind großartige Werke, die Ansichten von einer hohen, einer Vogelperspektive ähnlichen Position eröffnen, wobei die Weite des Bacino und der Lagune von einer Unzahl von Wasserfahrzeugen durchpflügt wird, die den in der Ferne sichtbaren Bucintoro umgeben, der sich jedoch wie im vorliegenden Gemälde in voller Länge dargestellt findet. Eine Wiedergabe aus geringerer Entfernung wie im gegenwärtigen Fall zeigen Der Bucintoro vor dem Lido, Venedig aus den Jahren 1778‒1780 in der National Gallery of Ireland, Dublin (Morassi 1973, Bd. I, Kat.-Nr. 291, Bd. II, Abb. 323), und ein weiteres Gemälde in einer Privatsammlung namens Der Bucintoro bei San Nicolò al Lido, Venedig (Morassi 1973, Bd. I, Kat.-Nr. 287, Bd. II, Abb. 316). Das letztere Werk erfasst das Staatsschiff ebenso aus einem etwas schrägen Winkel wie eine ziemlich flüchtige Studie im Fogg Art Museum (A. Morassi, Guardi: Tutti i disegni di Antonio, Francesco e Giacomo Guardi, Venedig 1975, Kat.-Nr. 284, Abb. 286).

Eine Zeichnung im Musée des Beaux-Arts in Lille stellt den Bucintoro wie das vorliegende Gemälde auf der Fahrt zum Lido unmittelbar nach der Insel San Giorgio Maggiore das Bacino kreuzend dar (Morassi 1975, Kat.-Nr. 282, Abb. 284). Auf einem weiteren Blatt im Metropolitan Museum of Art in New York ist der Bucintoro der absolute Protagonist. Auf beiden Seiten finden sich Vorzeichnungen für diese Gemälde: auf der Vorderseite für die Fahrt zum Lido und auf der Rückseite für die Rückkehr (siehe Abb. 1); das vor allem fast die gesamte Vorderseite füllende Schiff zeugt von der Faszination, die es auf den Künstler ausübte (Morassi 1975, Kat.-Nr. 291, Abb. 294). Antonio Morassi dachte, dass diese Zeichnung nach der Natur entstanden sei. James Byam Shaw wiederum, der die Skizzen mit einer sorgfältigen Darstellung des Schiffes verglich, die 1772 in Venedig in Form eines Drucks von Teodoro Viero (als „Canaletto del.“; British Museum, London, Inv.-Nr. 1866,1110.1165) erschien, sieht eine Übereinstimmung in Details, obgleich es sich bei der Zeichnung um eine rasche, fast stenografische Skizze handelt (J. Byam Shaw, The Drawings of Francesco Guardi, London 1961, S. 72 f., Kat.-Nr. 52).

Die gleichen Beobachtungen lassen sich auch für das vorliegende Gemälde anstellen, das den Höhepunkt des poetischen Tons des Künstlers widerspiegelt, der hier in einer zusehends umfassender vergeistigten atmosphärischen Behandlung greifbar wird, die mit schnellen und präzisen Strichen erzeugt wird. Das Werk ist in seinen Dimensionen den Zeichnungen ähnlich; es ist auf einer Leinwand aus schwerem Gewebe mit braunem Grund ausgeführt: Unter einem blaugrauen Himmel gleitet das Schiff des Dogen über das grüne Wasser des Bacino, das Rot seiner Ruder, der Seiten und des Bugs sowie die Vergoldung seiner Verzierungen glänzen in voller Pracht. Das Gemälde ist dermaßen emotional aufgeladen, dass es wie ein Miniaturmodell wirkt, das jedes Detail des ursprünglichen Wasserfahrzeugs wiedergibt. Die gewaltige Menge der Gondeln mit ihren winzigen Ruderern, die Guardi mit präzisen Pinseltupfern auf die Leinwand gesetzt hat, liefert einen wunderbaren Beweis für die erstaunliche Virtuosität des Künstlers.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
old.masters@dorotheum.at

+43 1 515 60 403
Auktion: Alte Meister
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 10.11.2020 - 16:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 04.11. - 10.11.2020


** Kaufpreis inkl. Käufergebühr und Mehrwertsteuer

Es können keine Kaufaufträge über Internet mehr abgegeben werden. Die Auktion befindet sich in Vorbereitung bzw. wurde bereits durchgeführt.