Lot Nr. 107 -


Francesco Guardi


Francesco Guardi - Alte Meister I

(Venedig 1712–1793)
San Giorgio Maggiore in Venedig,
Öl auf Holz, 21 x 33 cm, gerahmt

Provenienz:
Sammlung Fritz von Gans (1833–1920), Frankfurt am Main;
Sammlung Robert von Hirsch (1883–1977), Frankfurt am Main/Basel (lt. rückseitigem Klebezettel, Nr. 6);
dessen Auktion, Sotheby’s, London, 1. Oktober 1978, Lot 113 (als Francesco Guardi);
Auktion, Sotheby’s, London, 2. Juli 1986, Lot 124 (als Francesco Guardi);
europäische Privatsammlung

Ausgestellt:
Frankfurt am Main, Städelsches Kunstinstitut, Ausstellung von Meisterwerken alter Malerei aus Privatbesitz, Sommer 1925, Nr. 99 (als Francesco Guardi);
Paris, Gallerie Trotti, 1932

Literatur:
O. Goetz, G. Swarzenski, A. Wolters, Ausstellung von Meisterwerken alter Malerei aus Privatbesitz, Frankfurt am Main 1926, S. 32f., Kat.-Nr. 96, Tafel XC (als Francesco Guardi);
A. Morassi, Guardi. L’opera completa di Antonio e Francesco Guardi, 1973, Bd. I, S. 394, Nr. 446 (als Francesco Guardi)

Die vorliegende Vedute ist ein Spätwerk des venezianischen Malers Francesco Guardi und stellt eine der vielen ikonischen Ansichten der Stadt Venedig dar, denen sich Guardi im Lauf seiner Karriere in verschiedenen Fassungen gewidmet hat.

Francesco Guardi war der letzte große Meister des venezianischen vedutisimo. Er wurde im Familienatelier bei seinem älteren Bruder Gian Antonio ausgebildet und verbrachte sein ganzes Leben in Venedig. Er begann als Figurenmaler und begann sich erst in einem fortgeschrittenen Stadium seiner Karriere, wahrscheinlich um die Mitte der 1750er, in den Jahren seiner Reifezeit, aufgrund der großen Nachfrage der Ansichtenmalerei zu widmen. Guardi war auch ein Historien- und Genremaler, ein Porträtist sowie ein Maler von Landschaften und Capricci, die bei seinen venezianischen Zeitgenossen und Förderern großen Anklang fanden.

In der vorliegenden Komposition wird die Kirche San Giorgio Maggiore vom warmen, rötlich-gelben Licht der Morgensonne beleuchtet. Das ruhige Wasser des Bacino di San Marco wird von Gondeln und anderen Booten belebt. Diese Ansicht von Venedig wurde auch mehrfach von Giovanni Antonio Canal, genannt Il Canaletto, dargestellt, der auch verschiedene Fassungen des Motivs anfertigte. Ein Beispiel dafür ist seine Version der Kirche San Giorgio Maggiore im Museum of Fine Arts in Boston. Francesco Guardi dienten diese Gemälde sicherlich als Vorbilder, an denen er sich messen konnte, distanzierte er sich doch gekonnt von Canalettos Stil und entwickelte eine ganz eigene, sehr persönliche Bildsprache. Im Gegensatz zu der akribisch scharfen und detailversessenen Sichtweise Canalettos sind Guardis Figuren und Gebäude mit lebhaften Pinselstrichen wiedergegeben, die einen Gesamteindruck von poetisch-atmosphärischer Wirkung erzielen. Die Darstellung auf Grundlage genauer Berechnungen, wie sie Canalettos Einsatz einer Camera obscura verrät, wird nun durch Guardis pittura di tocco (Malerei der Berührung) mit ihren freihändig gezogenen Vertikalen sowie kleinen Punkten und Strichen abgelöst, die nichts mehr Solides haben. Plastizität erreicht Guardi durch ein raffiniertes Spiel von Licht und Schatten auf den gemalten Fassaden, Kuppeln und Türmen sowie durch eine lockere Modellierung mit schnell aufgetragenen schwarzen Konturen und weißen Glanzlichtern. Figuren spielen in seinen Veduten oft eine untergeordnete Rolle, da sie meist nur aus einzelnen Farbflecken bestehen, ohne dass bestimmte Merkmale oder Körperteile hervorgehoben werden.

Wie bei der vorliegenden Komposition liegt der zentrale Angelpunkt von Guardis reifen Gemälden in ihrer Leuchtkraft und in der „Phantasmagorie der Farben“ (A. Morassi, Guardi. I dipinti, Bd. I, Mailand 1984, S. 241). Tatsächlich erhellt das helle, klare Licht der Morgensonne die Szene, die Guardi durch dynamische, gestische Pinselstriche vom rechten Rand zur Bildmitte und zum Himmel hin akzentuiert, während er die schillernde Spiegelung im Wasser ruhiger anlegt. Der Übergang vom Wasser zum Himmel ist harmonisch, die Grün- und Blautöne fügen sich gut in die rötlich-braunen Farben ein, die durch eine Abfolge von Ockertönen zusätzlich abgemildert werden. Diese „Ästhetisierung“ des Lichts, die in Werken späterer Künstler wie William Turner oder Claude Monet ihren Höhepunkt erreichen sollte, begann mit Guardis unverwechselbarem Ansatz. Sein improvisatorisches Vorgehen, das wenig mit wissenschaftlichen Analysen optischer Gegebenheiten zu tun hatte, inspirierte den Impressionismus und die äußerst lebhaften Venedig-Ansichten nicht nur Auguste Renoirs, der die Stadt 1881 besuchte, sondern auch Claude Monets (siehe Abb. 1), der 1908 nach Venedig reiste. Ihre Werke spiegeln die nervöse Pinselführung und naturalistische Atmosphäre des großen Rokoko-Meisters wider.

Das vorliegende Gemälde hat eine bedeutende Provenienzgeschichte: Es war einst Teil der Sammlung des deutschen Industriellen und Mäzens Friedrich (Fritz) Ludwig Gans (1833‒1920). 1912 überließ Gans seine Sammlung den Königlichen Museen in Berlin als Schenkung, wofür ihn König Wilhelm II. in den Adelsstand erhob. Zwei seiner Gemälde gingen als Schenkung des Industriellen an das Städel Museum in Frankfurt. Nach seinem Tod im Jahr 1920 verkauften seine Erben den Rest seiner Privatsammlung. Guardis Vedute gelangte in die berühmte Sammlung Robert Hirschs (1883‒1977), der einer Gruppe von Kennern, Sammlern und Wissenschaftlern angehörte, unter denen sich unter anderen Berenson, Bode, von Falke, Mayer und Friedländer fanden. Berenson bezeichnete den geschätzten Sammler als einen der wenigen, die wüssten, was sie sammeln.
1905 lernte der damals 22-jährige Robert Hirsch Georg Swarzenski, den neu ernannten Direktor des Städelschen Kunstinstituts, kennen, unter dessen Anleitung der junge Geschäftsmann seine unvergleichliche Sammlung von Gemälden alter Meister aufbaute ‒ und das in den nur wenigen Jahren von 1907 bis 1933. 1925 stellte der inzwischen geadelte Sammler zwölf Werke aus seinen Beständen für die Ausstellung von Meisterwerken alter Malerei aus Privatbesitz im Städel Museum zur Verfügung, darunter auch das vorliegende Gemälde. Als sich einige Jahre später die politische Entwicklung, die Deutschland nehmen würde, abzuzeichnen begann, verlegte Robert von Hirsch seine geschäftlichen Interessen nach Basel. 1933 entschloss er sich, mit seiner Sammlung in die Schweiz zu emigrieren, suchte um Erlaubnis an und erhielt diese auch. Bis zu seinem Tod im Jahr 1977 lebte er in Basel. Im Jahr darauf wurde seine Sammlung in einer als „Jahrhundertereignis“ angesehenen Auktion in London versteigert.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com

10.11.2021 - 16:00

Schätzwert:
EUR 400.000,- bis EUR 600.000,-

Francesco Guardi


(Venedig 1712–1793)
San Giorgio Maggiore in Venedig,
Öl auf Holz, 21 x 33 cm, gerahmt

Provenienz:
Sammlung Fritz von Gans (1833–1920), Frankfurt am Main;
Sammlung Robert von Hirsch (1883–1977), Frankfurt am Main/Basel (lt. rückseitigem Klebezettel, Nr. 6);
dessen Auktion, Sotheby’s, London, 1. Oktober 1978, Lot 113 (als Francesco Guardi);
Auktion, Sotheby’s, London, 2. Juli 1986, Lot 124 (als Francesco Guardi);
europäische Privatsammlung

Ausgestellt:
Frankfurt am Main, Städelsches Kunstinstitut, Ausstellung von Meisterwerken alter Malerei aus Privatbesitz, Sommer 1925, Nr. 99 (als Francesco Guardi);
Paris, Gallerie Trotti, 1932

Literatur:
O. Goetz, G. Swarzenski, A. Wolters, Ausstellung von Meisterwerken alter Malerei aus Privatbesitz, Frankfurt am Main 1926, S. 32f., Kat.-Nr. 96, Tafel XC (als Francesco Guardi);
A. Morassi, Guardi. L’opera completa di Antonio e Francesco Guardi, 1973, Bd. I, S. 394, Nr. 446 (als Francesco Guardi)

Die vorliegende Vedute ist ein Spätwerk des venezianischen Malers Francesco Guardi und stellt eine der vielen ikonischen Ansichten der Stadt Venedig dar, denen sich Guardi im Lauf seiner Karriere in verschiedenen Fassungen gewidmet hat.

Francesco Guardi war der letzte große Meister des venezianischen vedutisimo. Er wurde im Familienatelier bei seinem älteren Bruder Gian Antonio ausgebildet und verbrachte sein ganzes Leben in Venedig. Er begann als Figurenmaler und begann sich erst in einem fortgeschrittenen Stadium seiner Karriere, wahrscheinlich um die Mitte der 1750er, in den Jahren seiner Reifezeit, aufgrund der großen Nachfrage der Ansichtenmalerei zu widmen. Guardi war auch ein Historien- und Genremaler, ein Porträtist sowie ein Maler von Landschaften und Capricci, die bei seinen venezianischen Zeitgenossen und Förderern großen Anklang fanden.

In der vorliegenden Komposition wird die Kirche San Giorgio Maggiore vom warmen, rötlich-gelben Licht der Morgensonne beleuchtet. Das ruhige Wasser des Bacino di San Marco wird von Gondeln und anderen Booten belebt. Diese Ansicht von Venedig wurde auch mehrfach von Giovanni Antonio Canal, genannt Il Canaletto, dargestellt, der auch verschiedene Fassungen des Motivs anfertigte. Ein Beispiel dafür ist seine Version der Kirche San Giorgio Maggiore im Museum of Fine Arts in Boston. Francesco Guardi dienten diese Gemälde sicherlich als Vorbilder, an denen er sich messen konnte, distanzierte er sich doch gekonnt von Canalettos Stil und entwickelte eine ganz eigene, sehr persönliche Bildsprache. Im Gegensatz zu der akribisch scharfen und detailversessenen Sichtweise Canalettos sind Guardis Figuren und Gebäude mit lebhaften Pinselstrichen wiedergegeben, die einen Gesamteindruck von poetisch-atmosphärischer Wirkung erzielen. Die Darstellung auf Grundlage genauer Berechnungen, wie sie Canalettos Einsatz einer Camera obscura verrät, wird nun durch Guardis pittura di tocco (Malerei der Berührung) mit ihren freihändig gezogenen Vertikalen sowie kleinen Punkten und Strichen abgelöst, die nichts mehr Solides haben. Plastizität erreicht Guardi durch ein raffiniertes Spiel von Licht und Schatten auf den gemalten Fassaden, Kuppeln und Türmen sowie durch eine lockere Modellierung mit schnell aufgetragenen schwarzen Konturen und weißen Glanzlichtern. Figuren spielen in seinen Veduten oft eine untergeordnete Rolle, da sie meist nur aus einzelnen Farbflecken bestehen, ohne dass bestimmte Merkmale oder Körperteile hervorgehoben werden.

Wie bei der vorliegenden Komposition liegt der zentrale Angelpunkt von Guardis reifen Gemälden in ihrer Leuchtkraft und in der „Phantasmagorie der Farben“ (A. Morassi, Guardi. I dipinti, Bd. I, Mailand 1984, S. 241). Tatsächlich erhellt das helle, klare Licht der Morgensonne die Szene, die Guardi durch dynamische, gestische Pinselstriche vom rechten Rand zur Bildmitte und zum Himmel hin akzentuiert, während er die schillernde Spiegelung im Wasser ruhiger anlegt. Der Übergang vom Wasser zum Himmel ist harmonisch, die Grün- und Blautöne fügen sich gut in die rötlich-braunen Farben ein, die durch eine Abfolge von Ockertönen zusätzlich abgemildert werden. Diese „Ästhetisierung“ des Lichts, die in Werken späterer Künstler wie William Turner oder Claude Monet ihren Höhepunkt erreichen sollte, begann mit Guardis unverwechselbarem Ansatz. Sein improvisatorisches Vorgehen, das wenig mit wissenschaftlichen Analysen optischer Gegebenheiten zu tun hatte, inspirierte den Impressionismus und die äußerst lebhaften Venedig-Ansichten nicht nur Auguste Renoirs, der die Stadt 1881 besuchte, sondern auch Claude Monets (siehe Abb. 1), der 1908 nach Venedig reiste. Ihre Werke spiegeln die nervöse Pinselführung und naturalistische Atmosphäre des großen Rokoko-Meisters wider.

Das vorliegende Gemälde hat eine bedeutende Provenienzgeschichte: Es war einst Teil der Sammlung des deutschen Industriellen und Mäzens Friedrich (Fritz) Ludwig Gans (1833‒1920). 1912 überließ Gans seine Sammlung den Königlichen Museen in Berlin als Schenkung, wofür ihn König Wilhelm II. in den Adelsstand erhob. Zwei seiner Gemälde gingen als Schenkung des Industriellen an das Städel Museum in Frankfurt. Nach seinem Tod im Jahr 1920 verkauften seine Erben den Rest seiner Privatsammlung. Guardis Vedute gelangte in die berühmte Sammlung Robert Hirschs (1883‒1977), der einer Gruppe von Kennern, Sammlern und Wissenschaftlern angehörte, unter denen sich unter anderen Berenson, Bode, von Falke, Mayer und Friedländer fanden. Berenson bezeichnete den geschätzten Sammler als einen der wenigen, die wüssten, was sie sammeln.
1905 lernte der damals 22-jährige Robert Hirsch Georg Swarzenski, den neu ernannten Direktor des Städelschen Kunstinstituts, kennen, unter dessen Anleitung der junge Geschäftsmann seine unvergleichliche Sammlung von Gemälden alter Meister aufbaute ‒ und das in den nur wenigen Jahren von 1907 bis 1933. 1925 stellte der inzwischen geadelte Sammler zwölf Werke aus seinen Beständen für die Ausstellung von Meisterwerken alter Malerei aus Privatbesitz im Städel Museum zur Verfügung, darunter auch das vorliegende Gemälde. Als sich einige Jahre später die politische Entwicklung, die Deutschland nehmen würde, abzuzeichnen begann, verlegte Robert von Hirsch seine geschäftlichen Interessen nach Basel. 1933 entschloss er sich, mit seiner Sammlung in die Schweiz zu emigrieren, suchte um Erlaubnis an und erhielt diese auch. Bis zu seinem Tod im Jahr 1977 lebte er in Basel. Im Jahr darauf wurde seine Sammlung in einer als „Jahrhundertereignis“ angesehenen Auktion in London versteigert.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403

oldmasters@dorotheum.com


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
old.masters@dorotheum.at

+43 1 515 60 403
Auktion: Alte Meister I
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 10.11.2021 - 16:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 29.10. - 10.11.2021