Lot Nr. 100


Meister des Hartford Stilllebens


(tätig in Rom Ende des 16. und in der ersten Dekade des 17. Jahrhunderts)
Gläserne Vase mit Narzissen, wilden Lilien, Dahlien und einem Schmetterling auf einem Holzsims,
Öl auf Leinwand, oktogonal, 58 x 43 cm, gerahmt

Provenienz:
Kunsthandel, Bologna, Ende der 1980er-Jahre;
dort erworben durch den jetzigen Besitzer

Literatur:
A. L. Zanotti, A. Iacoviello, Con l’occhio del naturalista. Per un riconoscimento delle specie botaniche nei dipinti di natura morta, in: A. Bacchi, F. Mambelli, E. Sambo (Hrsg.), La natura morta di Federico Zeri, Bologna 2015, S. 290, Abb. 3 (als „Maestro di Hartford“)

Das vorliegende Gemälde ist in der Fototeca Zeri unter Nr. 85815 verzeichnet (als „Maestro di Hartford“).

Das vorliegende Gemälde wurde von Federico Zeri als ein Werk des Meisters des Hartford-Stilllebens identifiziert. Der Kunsthistoriker gruppierte eine Reihe stilistisch verwandter Stillleben um ein im Wadsworth Athenaeum Museum of Art in Hartford aufbewahrtes Gemälde. Die genaue Identität des mit diesem Hilfsnamen benannten Künstlers, ist immer noch Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion.

In einer Ausstellung in der Orangerie in Paris 1952 wurde das Stillleben des Wadsworth Athenaeum Fede Galizia (1527–1596) zugeschrieben (siehe C. Sterling, La Nature morte de l'antiquité à nos jours, Ausstellungskatalog, Paris, 1952, S. 88, Nr. 66). In den 1960er- und 1970er-Jahren gruppierten mehrere Wissenschaftler weitere stilistisch verwandte Gemälde um das Hartford-Bild.

Zeri schlug vor, zwei weitere Stillleben in der Galleria Borghese (Inv.-Nr. 301 und Inv.-Nr. 054) mit dem Hartford-Gemälde in Verbindung zu bringen (siehe F. Zeri, Sull’esecuzione di „nature morte“ nella bottega del Cavalier d’Arpino, e sulla presenza ivi del giovane Caravaggio, Diari di lavoro 2, Turin 1976, S. 92–104). Bezeichnenderweise identifizierte Zeri mit diesen beiden Stillleben der Galleria Borghese zwei Werke, die im Inventar als solche verzeichnet sind, die Papst Paul V. Borghese 1607 von Giuseppe Cesari, gen. Cavalier d’Arpino, beschlagnahmte. Der Papst schenkte diese Werke seinem Neffen Scipione Borghese, der eine berühmte Sammlung aufbaute, zu der auch weitere bei d’Arpinio konfiszierte Werke gehörten, darunter Gemälde Caravaggios: das Selbstbildnis als Bacchus oder Der kranke Bacchus und der Junge mit einem Obstkorb, die beide ebenfalls noch in der Galleria Borghese aufbewahrt werden (Inv.-Nr. 534 und Inv.-Nr. 136).

Zeri brachte die dem Meister von Hartford gegebenen Werke mit der frühen Entwicklung und dem Schaffen Caravaggios in Verbindung. Wie der Künstlerbiograf Giovanni Pietro Bellori festhielt, beschäftigte sich Caravaggio während seiner Zeit in der Werkstatt des Cavalier d’Arpino zunächst mit der Malerei von Früchten und Blumen (siehe G. P. Bellori, Le Vite de’ pittori, scultori, et architetti moderni, Rom 1672, S. 202). Zeris Vorschlag, die Werke des Meisters von Hartford dem jungen Caravaggio zuzuordnen, wurde nicht einstimmig angenommen. In der Folge wurde diese komplexe Angelegenheit zum Gegenstand weiterer Forschungen, die den anonymen Maler des Hartford-Gemäldes in den Kreis der Stilllebenmaler einordneten, die sich im selben kulturellen Milieu wie Caravaggio bewegten, wobei diese Gruppe auf den Kreis des Cavalier d’Arpino eingeschränkt wurde (zu den jüngsten Beiträgen zu diesem Thema siehe A. Morandotti, Il Maestro di Hartford ai primi tempi di Caravaggio a Roma, in: A. Bacchi, D. Benati, M. Natale, Il mestiere del conoscitore – Federico Zeri, Bologna 2021, S. 340–367, und A. Coliva, D. Dotti, L’origine della natura morta in Italia. Caravaggio e il maestro di Hartford, Ausstellungskatalog, Rom 2016).

Das vorliegende Gemälde ist von außergewöhnlicher Qualität und weist die stilistischen Merkmale jener Werke auf, die seinerzeit dem Meister von Hartford zugeschrieben wurden, insbesondere jenes Gemäldes im Wadsworth Athenaeum Museum of Art, nach dem der Künstler benannt ist. Dies zeigt sich vor allem in einer ausgeklügelten, innovativen Herangehensweise, insbesondere in der Art und Weise, wie der Künstler Licht wiedergibt, indem er dessen Auftreffen auf die einzelnen Gegenstände justiert und dadurch eine außergewöhnliche optische Klarheit erzielt – etwa durch die Darstellung der Lichtreflexe oder der Transluzenz der gläsernen Vase. Die Darstellung von Schatten verleiht der Form physisches Volumen – man beachte zum Beispiel die Dreidimensionalität des Schmetterlings, der sich für einen Moment auf dem Stiel einer Blume niedergelassen hat. Solche kompositorischen und stilistischen Lösungen treten in einigen frühen Werken Caravaggios zutage: siehe etwa die Glasvase im Vordergrund des Bildes Knabe, von einer Eidechse gebissenen in der National Gallery in London (Inv.-Nr. NG6504) oder die Glaskaraffe im rechten Vordergrund des Lautenspielers in der Eremitage in Sankt Petersburg (Inv.-Nr. ГЭ-45). Die Form des Glasgefäßes und die Darstellung des Blumenstraußes sind dem vorliegenden Gemälde stilistisch sehr ähnlich.

Wie Zeri feststellte, zeigte der Künstler eine „singuläre Vorliebe für botanische Details und letztlich eine ungewöhnliche Auswahl an Blumen und Früchten“ [„singolare propensione botanica e infine, nell'insolita scelta di fiori e frutti“] (Zeri 1976, S. 95). In der Tat ist die Zahl der auf diesem Gemälde dargestellten Blüten von Interesse, darunter einfache und gefüllte Akelei, Ringelblume, Schöllkraut, Orangenblüte, englische Schwertlilie, Tausendschön, Rose und rotes Mauerblümchen, aber auch eine Pflanze wie die Schwarzaugenbohne, die in der damaligen Stilllebenmalerei selten anzutreffen ist (zur Identifizierung der verschiedenen botanischen Arten siehe Zanotti/Iacoviello 2015, S. 287–319). Die Aufmerksamkeit, die der Darstellung einer solchen Vielfalt von Pflanzen gewidmet wurde, unterstreicht das Ziel des Künstlers, ein getreues und realistisches Bild zu schaffen.

Auch wenn es derzeit keine generelle Einigung über die Identität des Meisters von Hartford gibt, wird anerkannt, dass der Maler in der Werkstatt des Cavalier d’Arpino arbeitete und dass er sich zu Beginn des Seicento als fortschrittlicher Stilllebenmaler in Rom behauptete und das Genre in Italien und ganz Europa revolutionierte.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403

old.masters@dorotheum.com

25.10.2023 - 18:00

Schätzwert:
EUR 400.000,- bis EUR 600.000,-

Meister des Hartford Stilllebens


(tätig in Rom Ende des 16. und in der ersten Dekade des 17. Jahrhunderts)
Gläserne Vase mit Narzissen, wilden Lilien, Dahlien und einem Schmetterling auf einem Holzsims,
Öl auf Leinwand, oktogonal, 58 x 43 cm, gerahmt

Provenienz:
Kunsthandel, Bologna, Ende der 1980er-Jahre;
dort erworben durch den jetzigen Besitzer

Literatur:
A. L. Zanotti, A. Iacoviello, Con l’occhio del naturalista. Per un riconoscimento delle specie botaniche nei dipinti di natura morta, in: A. Bacchi, F. Mambelli, E. Sambo (Hrsg.), La natura morta di Federico Zeri, Bologna 2015, S. 290, Abb. 3 (als „Maestro di Hartford“)

Das vorliegende Gemälde ist in der Fototeca Zeri unter Nr. 85815 verzeichnet (als „Maestro di Hartford“).

Das vorliegende Gemälde wurde von Federico Zeri als ein Werk des Meisters des Hartford-Stilllebens identifiziert. Der Kunsthistoriker gruppierte eine Reihe stilistisch verwandter Stillleben um ein im Wadsworth Athenaeum Museum of Art in Hartford aufbewahrtes Gemälde. Die genaue Identität des mit diesem Hilfsnamen benannten Künstlers, ist immer noch Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion.

In einer Ausstellung in der Orangerie in Paris 1952 wurde das Stillleben des Wadsworth Athenaeum Fede Galizia (1527–1596) zugeschrieben (siehe C. Sterling, La Nature morte de l'antiquité à nos jours, Ausstellungskatalog, Paris, 1952, S. 88, Nr. 66). In den 1960er- und 1970er-Jahren gruppierten mehrere Wissenschaftler weitere stilistisch verwandte Gemälde um das Hartford-Bild.

Zeri schlug vor, zwei weitere Stillleben in der Galleria Borghese (Inv.-Nr. 301 und Inv.-Nr. 054) mit dem Hartford-Gemälde in Verbindung zu bringen (siehe F. Zeri, Sull’esecuzione di „nature morte“ nella bottega del Cavalier d’Arpino, e sulla presenza ivi del giovane Caravaggio, Diari di lavoro 2, Turin 1976, S. 92–104). Bezeichnenderweise identifizierte Zeri mit diesen beiden Stillleben der Galleria Borghese zwei Werke, die im Inventar als solche verzeichnet sind, die Papst Paul V. Borghese 1607 von Giuseppe Cesari, gen. Cavalier d’Arpino, beschlagnahmte. Der Papst schenkte diese Werke seinem Neffen Scipione Borghese, der eine berühmte Sammlung aufbaute, zu der auch weitere bei d’Arpinio konfiszierte Werke gehörten, darunter Gemälde Caravaggios: das Selbstbildnis als Bacchus oder Der kranke Bacchus und der Junge mit einem Obstkorb, die beide ebenfalls noch in der Galleria Borghese aufbewahrt werden (Inv.-Nr. 534 und Inv.-Nr. 136).

Zeri brachte die dem Meister von Hartford gegebenen Werke mit der frühen Entwicklung und dem Schaffen Caravaggios in Verbindung. Wie der Künstlerbiograf Giovanni Pietro Bellori festhielt, beschäftigte sich Caravaggio während seiner Zeit in der Werkstatt des Cavalier d’Arpino zunächst mit der Malerei von Früchten und Blumen (siehe G. P. Bellori, Le Vite de’ pittori, scultori, et architetti moderni, Rom 1672, S. 202). Zeris Vorschlag, die Werke des Meisters von Hartford dem jungen Caravaggio zuzuordnen, wurde nicht einstimmig angenommen. In der Folge wurde diese komplexe Angelegenheit zum Gegenstand weiterer Forschungen, die den anonymen Maler des Hartford-Gemäldes in den Kreis der Stilllebenmaler einordneten, die sich im selben kulturellen Milieu wie Caravaggio bewegten, wobei diese Gruppe auf den Kreis des Cavalier d’Arpino eingeschränkt wurde (zu den jüngsten Beiträgen zu diesem Thema siehe A. Morandotti, Il Maestro di Hartford ai primi tempi di Caravaggio a Roma, in: A. Bacchi, D. Benati, M. Natale, Il mestiere del conoscitore – Federico Zeri, Bologna 2021, S. 340–367, und A. Coliva, D. Dotti, L’origine della natura morta in Italia. Caravaggio e il maestro di Hartford, Ausstellungskatalog, Rom 2016).

Das vorliegende Gemälde ist von außergewöhnlicher Qualität und weist die stilistischen Merkmale jener Werke auf, die seinerzeit dem Meister von Hartford zugeschrieben wurden, insbesondere jenes Gemäldes im Wadsworth Athenaeum Museum of Art, nach dem der Künstler benannt ist. Dies zeigt sich vor allem in einer ausgeklügelten, innovativen Herangehensweise, insbesondere in der Art und Weise, wie der Künstler Licht wiedergibt, indem er dessen Auftreffen auf die einzelnen Gegenstände justiert und dadurch eine außergewöhnliche optische Klarheit erzielt – etwa durch die Darstellung der Lichtreflexe oder der Transluzenz der gläsernen Vase. Die Darstellung von Schatten verleiht der Form physisches Volumen – man beachte zum Beispiel die Dreidimensionalität des Schmetterlings, der sich für einen Moment auf dem Stiel einer Blume niedergelassen hat. Solche kompositorischen und stilistischen Lösungen treten in einigen frühen Werken Caravaggios zutage: siehe etwa die Glasvase im Vordergrund des Bildes Knabe, von einer Eidechse gebissenen in der National Gallery in London (Inv.-Nr. NG6504) oder die Glaskaraffe im rechten Vordergrund des Lautenspielers in der Eremitage in Sankt Petersburg (Inv.-Nr. ГЭ-45). Die Form des Glasgefäßes und die Darstellung des Blumenstraußes sind dem vorliegenden Gemälde stilistisch sehr ähnlich.

Wie Zeri feststellte, zeigte der Künstler eine „singuläre Vorliebe für botanische Details und letztlich eine ungewöhnliche Auswahl an Blumen und Früchten“ [„singolare propensione botanica e infine, nell'insolita scelta di fiori e frutti“] (Zeri 1976, S. 95). In der Tat ist die Zahl der auf diesem Gemälde dargestellten Blüten von Interesse, darunter einfache und gefüllte Akelei, Ringelblume, Schöllkraut, Orangenblüte, englische Schwertlilie, Tausendschön, Rose und rotes Mauerblümchen, aber auch eine Pflanze wie die Schwarzaugenbohne, die in der damaligen Stilllebenmalerei selten anzutreffen ist (zur Identifizierung der verschiedenen botanischen Arten siehe Zanotti/Iacoviello 2015, S. 287–319). Die Aufmerksamkeit, die der Darstellung einer solchen Vielfalt von Pflanzen gewidmet wurde, unterstreicht das Ziel des Künstlers, ein getreues und realistisches Bild zu schaffen.

Auch wenn es derzeit keine generelle Einigung über die Identität des Meisters von Hartford gibt, wird anerkannt, dass der Maler in der Werkstatt des Cavalier d’Arpino arbeitete und dass er sich zu Beginn des Seicento als fortschrittlicher Stilllebenmaler in Rom behauptete und das Genre in Italien und ganz Europa revolutionierte.

Experte: Mark MacDonnell Mark MacDonnell
+43 1 515 60 403

old.masters@dorotheum.com


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
old.masters@dorotheum.at

+43 1 515 60 403
Auktion: Alte Meister
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 25.10.2023 - 18:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 14.10. - 25.10.2023

Warum bei myDOROTHEUM registrieren?

Die kostenlose Registrierung bei myDOROTHEUM ermöglicht Ihnen die komplette Nutzung folgender Funktionen:

Katalog Benachrichtigungen sobald ein neuer Auktionskatalog online ist.
Auktionstermin Erinnerung zwei Tage vor Auktionsbeginn.
Mitbieten Bieten Sie auf Ihre Lieblingsstücke und ersteigern Sie neue Meisterwerke!
Suchservice Sie suchen nach einem bestimmten Künstler oder einer bestimmten Marke? Speichern Sie Ihre Suche ab und werden Sie automatisch informiert, sobald diese in einer Auktion angeboten werden!